»So kalt wird uns das Virus nicht mehr erwischen«
Vizekanzler Werner kogler über die Lehren aus der Krise, die Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz, Message Control und eine
dringend notwendige Plastikabgabe.
Welche Entscheidungen in der Coronakrise würden Sie rückblickend anders treffen? Werner kogler: Gesundheitspolitisch haben die Maßnahmen gepasst. Da waren wir schneller als gedacht am Ziel. Wirtschaftlich, also bei dem einen oder anderen Fonds, hätten wir schneller und großzügiger sein können. Wobei wir mittlerweile nachgebessert haben, selbst beim berühmten Härtefallfonds.
Hätten Sie Kanzler Sebastian Kurz und der ÖVP öfter widersprechen sollen?
Die Ergebnisse müssen passen. Ich wüsste nicht, was wir großartig anders hätten machen sollen. Die Entscheidungen waren ja oft Kompromisse aus zwei Zugängen.
Türkise Strenge versus grüne Eigenverantwortung?
Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit ist eine uralte Debatte in der politischen Ideengeschichte. Da neigen wir Grünen sicher zu mehr Eigenverantwortung. Und im Ergebnis war ja dann viel von dem da: Wir hatten keine Ausgangssperre wie in Italien, sondern eine Ausgangsbeschränkung. Umgekehrt hat sich die ÖVP dafür eingesetzt, dass wir mit den Beschränkungen eine halbe Woche früher dran waren. Und im Nachhinein wissen wir, dass jeder Tag entscheidend war. Insofern war es ein guter Kompromiss.
Die Grünen hätten länger zugewartet?
Wir wollten noch andere Möglichkeiten ausloten.
hier etwas verändert?
Wenn gemeint ist, dass nur in eine einzige Richtung, ohne Nuancierung, gepredigt wird, dann hat sich das mit Sicherheit geändert. Wenn ich mir unsere Ministerinnen und Minister anschaue: großes Lob – alle komplett eigenständige Persönlichkeiten. Die machen eine hervorragende politische Arbeit.
Das impliziert, dass das bei den Kolleginnen und Kollegen der ÖVP nicht der Fall ist. Oder jedenfalls nicht bei allen.
Ich glaube beispielsweise schon, dass der Kollege Faßmann seine Positionen vertritt.
Und die Kolleginnen Tanner, Raab, Aschbacher? Man wirft den ÖVP-Ministerinnen mitunter mangelnde Eigenständigkeit vor.
Das muss man sie selbst fragen, wie sie zu ihren Vorschlägen kommen. Aber mein Gott: Es ist ja nicht nur der Rudi Anschober (grüner Gesundheitsminister, Anm.) in der Lage, Fehler einzugestehen. Wenn ich mich recht erinnere, hat das Verteidigungsministerin Tanner auch getan. Insgesamt lässt sich sagen: Es wird viel kommuniziert, aber das ist etwas anderes als Message Control.
Hat sich Ihre Meinung über Kurz verändert? Ja, aber nicht wegen Corona. Das hat schon während des Wahlkampfs begonnen. Die Krise als Kitt wird überschätzt. Es gab ein Treffen im Sommer 2019, bei dem sich herausgestellt hat, dass man mit Kurz schnell, offen und ehrlich reden kann. Vielleicht war mein Bild davor auch von Klischees geprägt.
Zuletzt war zu hören, dass die ÖVP versuche, Gesundheitsminister Rudolf Anschober anzuschwärzen, weil er den Kanzler in den Beliebtheitsrankings überholt hat.
Das hätten die doch gar nicht nötig. Ich habe jedenfalls nichts wahrgenommen, was in diese Richtung deutet.
Apropos Anschober: Der VfGH hat Verordnungen des Gesundheitsministeriums aufgehoben, etwa jene zu den Ausgangsbeschränkungen. Hätte man den Verfassungsdienst im Kanzleramt einbinden sollen?
In der Regel war er eingebunden, in Einzelfällen offenbar nicht. Ich glaube, es ist im Interesse aller, wenn der Verfassungsdienst regelmäßig mit den juristischen Abteilungen im Gesundheitsministerium eng zusammenarbeitet.
Einige Verfassungsjuristen glauben, dass auch die aktuelle Mund-Nasenschutz-Pflicht verfassungswidrig sein könnte, weil nicht nur in Supermärkten und Banken viele Menschen zusammenkommen.
Ich bin kein Jurist. Aber die Idee, in jenen Bereichen eine Maskenpflicht einzuführen, die Risikogruppen aufsuchen müssen, ist in der Sache völlig richtig.
Es gibt keinen Nachweis, dass sich im Supermarkt jemand mit Covid-19 angesteckt hat. Man darf nicht vergessen, dass die Maskenpflicht als Erstes in den Supermärkten eingeführt wurde. Und dass es dort weitere Vorsichtsmaßnahmen, etwa im Kassenbereich, gibt. Das alles kann ja auch dazu beigetragen haben, dass dort weniger Infektionsverbreitung nachweisbar ist. Dann ist halt die Frage: Was ist jetzt Henne und was Ei?
Jedenfalls fühlen sich viele Menschen bevormundet. Hätten Appelle nicht auch gereicht? Wir haben es ja zwischendurch genau so gemacht. Und das war jetzt eine Reaktion auf die steigenden Zahlen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Menschen ohne Vorgaben unvernünftig werden? Ab einem bestimmten Gefährdungsgrad hat es Sinn, wenn man allgemeine Normen einführt. Wir können ja auch im Straßenverkehr nicht nur auf Eigenverantwortung setzen. Die Frage ist eher, ob die Gefährdungslage richtig eingeschätzt wird. Das wird die große Kunst des Ampelsystems sein, dass wir dann regional reagieren können, aber punktuell vielleicht schärfer.
Was kommt im Herbst auf uns zu? Eine zweite Welle? Ein zweiter Lockdown?
Ich halte das für unwahrscheinlich, weil wir ja dazugelernt haben. So kalt wird uns das Virus nicht mehr erwischen. Wir sollten die Gesundheitsrisken zwar