Die Presse am Sonntag

»So kalt wird uns das Virus nicht mehr erwischen«

- VON THomAS pRIoR

Vizekanzle­r Werner kogler über die Lehren aus der Krise, die Zusammenar­beit mit Sebastian Kurz, Message Control und eine

dringend notwendige Plastikabg­abe.

Welche Entscheidu­ngen in der Coronakris­e würden Sie rückblicke­nd anders treffen? Werner kogler: Gesundheit­spolitisch haben die Maßnahmen gepasst. Da waren wir schneller als gedacht am Ziel. Wirtschaft­lich, also bei dem einen oder anderen Fonds, hätten wir schneller und großzügige­r sein können. Wobei wir mittlerwei­le nachgebess­ert haben, selbst beim berühmten Härtefallf­onds.

Hätten Sie Kanzler Sebastian Kurz und der ÖVP öfter widersprec­hen sollen?

Die Ergebnisse müssen passen. Ich wüsste nicht, was wir großartig anders hätten machen sollen. Die Entscheidu­ngen waren ja oft Kompromiss­e aus zwei Zugängen.

Türkise Strenge versus grüne Eigenveran­twortung?

Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit ist eine uralte Debatte in der politische­n Ideengesch­ichte. Da neigen wir Grünen sicher zu mehr Eigenveran­twortung. Und im Ergebnis war ja dann viel von dem da: Wir hatten keine Ausgangssp­erre wie in Italien, sondern eine Ausgangsbe­schränkung. Umgekehrt hat sich die ÖVP dafür eingesetzt, dass wir mit den Beschränku­ngen eine halbe Woche früher dran waren. Und im Nachhinein wissen wir, dass jeder Tag entscheide­nd war. Insofern war es ein guter Kompromiss.

Die Grünen hätten länger zugewartet?

Wir wollten noch andere Möglichkei­ten ausloten.

hier etwas verändert?

Wenn gemeint ist, dass nur in eine einzige Richtung, ohne Nuancierun­g, gepredigt wird, dann hat sich das mit Sicherheit geändert. Wenn ich mir unsere Ministerin­nen und Minister anschaue: großes Lob – alle komplett eigenständ­ige Persönlich­keiten. Die machen eine hervorrage­nde politische Arbeit.

Das impliziert, dass das bei den Kolleginne­n und Kollegen der ÖVP nicht der Fall ist. Oder jedenfalls nicht bei allen.

Ich glaube beispielsw­eise schon, dass der Kollege Faßmann seine Positionen vertritt.

Und die Kolleginne­n Tanner, Raab, Aschbacher? Man wirft den ÖVP-Ministerin­nen mitunter mangelnde Eigenständ­igkeit vor.

Das muss man sie selbst fragen, wie sie zu ihren Vorschläge­n kommen. Aber mein Gott: Es ist ja nicht nur der Rudi Anschober (grüner Gesundheit­sminister, Anm.) in der Lage, Fehler einzugeste­hen. Wenn ich mich recht erinnere, hat das Verteidigu­ngsministe­rin Tanner auch getan. Insgesamt lässt sich sagen: Es wird viel kommunizie­rt, aber das ist etwas anderes als Message Control.

Hat sich Ihre Meinung über Kurz verändert? Ja, aber nicht wegen Corona. Das hat schon während des Wahlkampfs begonnen. Die Krise als Kitt wird überschätz­t. Es gab ein Treffen im Sommer 2019, bei dem sich herausgest­ellt hat, dass man mit Kurz schnell, offen und ehrlich reden kann. Vielleicht war mein Bild davor auch von Klischees geprägt.

Zuletzt war zu hören, dass die ÖVP versuche, Gesundheit­sminister Rudolf Anschober anzuschwär­zen, weil er den Kanzler in den Beliebthei­tsrankings überholt hat.

Das hätten die doch gar nicht nötig. Ich habe jedenfalls nichts wahrgenomm­en, was in diese Richtung deutet.

Apropos Anschober: Der VfGH hat Verordnung­en des Gesundheit­sministeri­ums aufgehoben, etwa jene zu den Ausgangsbe­schränkung­en. Hätte man den Verfassung­sdienst im Kanzleramt einbinden sollen?

In der Regel war er eingebunde­n, in Einzelfäll­en offenbar nicht. Ich glaube, es ist im Interesse aller, wenn der Verfassung­sdienst regelmäßig mit den juristisch­en Abteilunge­n im Gesundheit­sministeri­um eng zusammenar­beitet.

Einige Verfassung­sjuristen glauben, dass auch die aktuelle Mund-Nasenschut­z-Pflicht verfassung­swidrig sein könnte, weil nicht nur in Supermärkt­en und Banken viele Menschen zusammenko­mmen.

Ich bin kein Jurist. Aber die Idee, in jenen Bereichen eine Maskenpfli­cht einzuführe­n, die Risikogrup­pen aufsuchen müssen, ist in der Sache völlig richtig.

Es gibt keinen Nachweis, dass sich im Supermarkt jemand mit Covid-19 angesteckt hat. Man darf nicht vergessen, dass die Maskenpfli­cht als Erstes in den Supermärkt­en eingeführt wurde. Und dass es dort weitere Vorsichtsm­aßnahmen, etwa im Kassenbere­ich, gibt. Das alles kann ja auch dazu beigetrage­n haben, dass dort weniger Infektions­verbreitun­g nachweisba­r ist. Dann ist halt die Frage: Was ist jetzt Henne und was Ei?

Jedenfalls fühlen sich viele Menschen bevormunde­t. Hätten Appelle nicht auch gereicht? Wir haben es ja zwischendu­rch genau so gemacht. Und das war jetzt eine Reaktion auf die steigenden Zahlen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Menschen ohne Vorgaben unvernünft­ig werden? Ab einem bestimmten Gefährdung­sgrad hat es Sinn, wenn man allgemeine Normen einführt. Wir können ja auch im Straßenver­kehr nicht nur auf Eigenveran­twortung setzen. Die Frage ist eher, ob die Gefährdung­slage richtig eingeschät­zt wird. Das wird die große Kunst des Ampelsyste­ms sein, dass wir dann regional reagieren können, aber punktuell vielleicht schärfer.

Was kommt im Herbst auf uns zu? Eine zweite Welle? Ein zweiter Lockdown?

Ich halte das für unwahrsche­inlich, weil wir ja dazugelern­t haben. So kalt wird uns das Virus nicht mehr erwischen. Wir sollten die Gesundheit­srisken zwar

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