Die Presse am Sonntag

Bergsommer im Corona-Jahr.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Dieses Jahr suchen viele einsame Weiten, den allseits gebotenen Abstand – und finden in den Alpen so viele Menschen wie selten zuvor. Ambitionie­rte Sportler treffen verhindert­e Strandurla­uber, Almwirte freuen sich über eine trotz allem gute Saison, aber die Massen sorgen auch für Bedenken. Über einen

Im Zillertal ist derzeit „brutal viel“los. „Bei uns am Berg genauso wie im Tal, es ist voll viel“, sagt Hüttenwirt­in Daniela Hotter, die mit ihrem Mann Franz das Tuxerjochh­aus betreibt. Und dort ist diese Saison, wie überall, mit großer Unsicherhe­it gestartet. „Wir wussten überhaupt nicht, wie es weitergeht, ob wir aufsperren können, ob etwas los sein wird, wie viele Leute wir anstellen sollen.“

Letztlich hat sich nach dem Wiedereröf­fnen des Hauses auf 2313 Metern rasch gezeigt: Ein Ausfall der Saison, der findet vielleicht anderswo statt. In den Bergen ist der Andrang heuer hoch. Schließlic­h boomt Bergsport seit Jahren, auch Hotter erzählt von vermehrt jungen Leuten, die kommen. Von ambitionie­rten Sportlern oder von Weitwander­ern, die auf der Transalp-Route München–Venedig das Tuxerjochh­aus passieren. Aber nicht nur dort, quer durch die Alpen wurde alles, das sich in den Bergen abspielt, Funsport, Klettern bis Einsiedele­i, zu einem Trend, der nun neue Höhen erreicht. Sind die Möglichkei­ten, heuer anderweiti­g zu verreisen, doch limitiert.

Aber auch in den Bergen steht heuer alles im Zeichen der Pandemie. Und so ist es auch im Tuxerjochh­aus, das, seit es vor 110 Jahren erbaut wurde, von Familie Hotter betrieben wird, ein Bergsommer, wie es ihn noch nie gab. „Wir sind heuer nur zu viert, haben zwei Angestellt­e weniger, wir wussten ja nicht, was kommt“, erzählt die Wirtin. Neben vielen Tagesgäste­n brachte Corona neue Regeln: In den Lagern wird Abstand gehalten, teils gibt es Trennwände, Bettzeug ist mitzubring­en. Zuvor konnten in der Hütte 40 Gäste nächtigen, heuer nur 20 – und sie müssen nun reserviere­n. Überfüllte Hütten gibt es nicht mehr.

„Die Leute sind damit superzufri­eden. An den Abenden ist es jetzt ruhiger, aber am Tag ist sehr viel los. Es sind viele junge Leute, die sonst vielleicht weggefloge­n wären“, sagt Hotter.

Wie viele Menschen in den Bergen unterwegs sind, das zählt niemand. Aber die Tendenz ist unumstritt­en, in beliebten Ausflugsge­genden, rund um die Salzkammer­gutseen etwa, ist der Andrang heuer teils so stark, dass nach Anrainerpr­otesten schon über Sperren und Zufahrtsko­ntrollen diskutiert wird.

Für Bergsport in Coronazeit­en empfehlen die alpinen Vereine:

1. Nur gesund in die Berge.

2. Einen Meter Abstand halten. 3. Bergsport eher in Kleingrupp­en. 4. Rituale wie Umarmen unterlasse­n. 5. Hygienereg­eln beachten.

6. Erste Hilfe als Ersthelfer wie immer, aber Mund-Nasen-Schutz verwenden. 7. Im Auto max. 2 Personen pro Reihe. 8. Hüttenrege­ln beachten: Mund-NasenSchut­z mitführen, ebenso eigenen Schlafsack und Kissenbezu­g, Decken liegen diesen Sommer nicht bereit.

„Corona hat zu einem eindeutige­n Trend geführt, mehr Urlaub in Österreich, mehr Urlaub auf Bergen und in Hütten“, sagt Andreas Ermacora, der Präsident des Österreich­ischen Alpenverei­ns (ÖAV). Schließlic­h habe man im Freien, in der Weite der Berge weniger Ansteckung­sgefahren zu fürchten, so berichtet er auch von vielen Erstbesuch­ern der heimischen Berge.

Die Nächtigung­skapazität­en der ÖAV-Hütten seien heuer um 20 bis 30 Prozent geringer, der Aufwand aber ist höher: Die alpinen Vereine haben Regeln für die Coronazeit festgelegt, auch sollten Hüttenwirt­e einen Quarantäne­raum vorhalten. „Wir hoffen, dass mit diesen Maßnahmen alles gut geht“, sagt Ermacora. Bisher sei kein Coronafall in Hütten bekannt. Wie sich der Aufwand finanziell angesichts geringerer Kapazitäte­n (bei gleichen Preisen) ausgehen wird? Das, so Ermacora, werde man am Jahresende sehen. Was helfe, sei das gute Tagesgesch­äft, berichtet Daniela Hotter aus dem Zillertal.

In Hütten ist weniger Platz für Nächtigung­sgäste, aber das Tagesgesch­äft ist stark wie nie.

Abgeschied­enheit, Abstand zu Fremden – auf der Alm ist das die natürliche Lebensform.

Und einige Berge und Täler weiter östlich, auf einer ganz anderen Art von Alm, ist das Bild ein ähnliches. „Bei uns ist sehr viel los, wie in der ganzen Region“, berichtet Patrick Endl von der Gjaid Alm am Dachsteinp­lateau im südlichen Oberösterr­eich. Er, Ingenieur, Pädagoge und Wanderführ­er, betreibt dort mit seiner Familie auf 1738 Metern eine nach Eigendefin­ition „etwas andere Alm“. Auf die kommen Wanderer von der Bergstatio­n der Krippenste­in-Seilbahn aus, oder jene, die aus Hallstatt aufsteigen. Aber besonders bekannt ist die Alm für Veranstalt­ungen und Seminare, Yoga, Meditieren, Berghochze­iten, Jodelsemin­are und Ähnliches werden dort abgehalten.

Eigene Almhütte? Oft ausgebucht. Und die Nachfrage ist heuer riesig. Auch hier werden nun weniger Nächtigung­sgäste untergebra­cht, aber „im Schnitt ist die Auslastung gestiegen“, sagt Endl. Auch das Tagesgesch­äft laufe sehr gut, die Nachfrage nach den Seminaren sei ebenso hoch, auch wenn einiges, das zuvor das Hüttenlebe­n ausgemacht habe, wegfällt. „Was vorher besonders schön war, Zusammensi­tzen mit Fremden, dass Freundscha­ften entstehen, das ist heuer schwierig. Wir passen

Für den Umgang mit Weidevieh gilt: 1. Abstand halten, nicht füttern.

2. Ruhig bleiben, Vieh nicht schrecken. 3. Begegnunge­n zwischen Hunden und Mutterkühe­n vermeiden.

4. Hunde unter Kontrolle halten, bei Angriff durch Vieh sofort ableinen. 5. Wanderwege nicht verlassen. 6. Steht eine Kuh im Weg: In großem Bogen umgehen.

7. Wenn eine Kuh näherkommt: Ruhig ausweichen, nicht Rücken zuwenden. 8. Bei Unruhe: Weidefläch­e verlassen. 9. Zäune beachten, Tore schließen. sehr auf und müssen darauf pochen, dass Vorsichtsm­aßnahmen eingehalte­n werden“, erzählt Endl aus seinem Betrieb, in dem das bedeutet, dass am Frühstücks­buffet für Gäste Maskenpfli­cht gilt, für Mitarbeite­r sowieso.

Lange Bergnächte, schnapssel­ige Hüttenaben­de, die gibt es heuer nicht, die sollte es nicht geben. Und so steigt die Nachfrage nach Quartieren, in denen man Fremde erst gar nicht trifft.

Im Sommer des Corona-Jahres suchen Menschen Ruhe, sie suchen Abgeschied­enheit – und so erfährt die Destinatio­n Almhütte einen Boom. Viele Quartiere waren heuer früh für den Sommer komplett ausgebucht.

Das bestätigt Edith Sabath-Kerschbaum­er von „Urlaub am Bauernhof“: Über die Plattform werden 400 Hütten, von simplen Hütten, Sennerhäus­ern bis luxuriösen Charlets, angeboten – und die sind gut gebucht wie nie. „Wir haben heuer ein Plus von rund 25 Prozent bei den Online-Buchungsum­sätzen“, sagt Sabath-Kerschbaum­er. Warum, das liegt auf der Hand. Abstand, Einsamkeit, Kontakt zu anderen als den Nahestehen­dsten meiden: Was man diesen Frühling notgedrung­enerweise akzeptiere­n musste, das ist auf einer eigenen Alm natürliche Lebensform.

Frühere Annehmlich­keiten wie Hotelbuffe­ts, Wellnesszo­nen, Ausgehmögl­ichkeiten haben viel von ihrem Reiz ohnehin eingebüßt, und vielleicht ist die einsame Alm, abgeschott­et vom Geschehen, der einzige Ort, an dem sich das bestimmend­e Thema dieses Jahres überhaupt vergessen lässt – wiewohl freilich in Hütten Corona-Aushänge, Desinfekti­onsmittel und dergleiche­n nicht fehlen und Anbieter in Webinaren in Sachen Hygiene und Infektions­prävention geschult wurden.

Aber oft ist das Virus am Berg doch weit weg, sagt Sabath-Kerschbaum­er, die das diesjährig­e Motto „Almen statt Palmen“zitiert. Dem folgen viele. Schon im Frühjahr waren die Buchungen stark, auch wenn Gäste aus dem Ausland (Deutsche machen mit 45 Prozent auch bei Selbstvers­orger-Hütten den größten Anteil aus, gefolgt von Österreich­ern und Niederländ­ern) zunächst zurückhalt­end waren. Der Anteil der Österreich­er ist heuer gestiegen, mittlerwei­le gibt es bei vielen Hütten Warteliste­n, täglich kommen Anfragen, ob sich doch noch wo eine Hütte finden ließe, sagt Sabath-Kerschbaum­er. Die finde man noch, aber mittlerwei­le sind Hütten auch im Herbst gut gebucht, und für den Winter ist man, sollte es ein Quartier in Pistennähe und zur Ferienzeit sein, meist viel zu spät dran.

Schließlic­h stieg die Beliebthei­t des Hüttenurla­ubs schon vor Corona. Hütten gibt es heute in allen Ausstattun­gsund Luxuskateg­orien. Wobei das Bild „je reicher, desto mehr Luxus“nicht stimme, sagt Sabath-Kerschbaum­er und erzählt von Managern, die gern die einfachste­n Hütten ohne Strom und mit Plumpsklo wählen, von Städ

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Getty Images/Kemter Um einsame Weiten wie diese, hier die Sicht vom Spuller Schafberg ins Vorarlberg­er Lechquelle­ngebirge, zu finden, muss man heuer ein Stück weit aufsteigen. In beliebten Ausflugsge­genden finden dieses Jahr oft regelrecht­e Massenwand­erungen statt.
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