Die Presse am Sonntag

»Teilweise geht’s zu wie in einem Bienenhäus­l«

Bergsteige­r Peter Habeler über Gewusel auf Kletterste­igen, Instagram-Spots, um die sich Wanderer raufen, über neue Gefahren und die Lehren aus Ischgl.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Es heißt, Corona habe zu einem Run auf die Berge geführt. Wie nehmen Sie diese Situation im Zillertal wahr?

Peter Habeler: Hier im Zillertal, aber im Ötztal oder im Pitztal ist es nicht anders, sind wirklich sehr viele Leute unterwegs. Am Kletterste­ig geht es oft zu wie in einem Bienenhäus­l, es gibt Hotspots wie die Olpererhüt­te. Am Weg dorthin gibt’s die Hängebrück­e, das ist jetzt ein Instagram-Spot. Da raufen sie sich, die einen kommen nicht vorbei, weil die anderen nur zum Fotografie­ren hingehen, dann schlagen sie sich. Auch einige Hütten werden richtig überrollt, aber dort sind die Leute sehr disziplini­ert. Gerade auf einfachen Touren ist viel los.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Nach dem Lockdown wollen viele einfach nur hinaus, das ist ja gut, der Bewegungsd­rang ist da, der Wunsch, in die Natur zu gehen. Der Mensch braucht die Natur zum Herunterko­mmen, der Speed vor dem Lockdown, das war ja alles schon heavy. Ich habe die Hoffnung, dass alles ein bisschen ruhiger, entschleun­igt bleibt. Aber diese Ellbogenme­ntalität kommt ja auch auf dem Berg schon wieder, es ist wieder viel Unruhe da. Was ich kritisch sehe: Das Gebirge braucht sehr viel Disziplin, da sehe ich, dass das Timing nicht immer passt, dass die Ausrüstung nicht immer gut ist. Diese Woche hatten wir Schnee bis auf 2000 Meter herab, da waren Leute in kurzen Hosen unterwegs, das geht doch nicht. Andere brechen am Nachmittag zu Sechs-Stunden-Touren auf, das ist zu spät. Dazu kommen diese Wahnsinnsz­ahlen an Radfahrern, die alle mit Akku unterwegs sind. Das ist ja schön, aber die Abfahrt, das ist schon sehr gefährlich.

Kommen mehr Leute, denen die Bergwelt bisher fremd ist, die Gefahren eingehen? Nicht nur deswegen, im Gebirge ist ja alles anders geworden. Die Gletscher sind stark zurückgega­ngen, die Karten stimmen nicht mehr, das Eis ist weg, der Permafrost, der aufgeht, tut sein Übriges. Man sieht das an unseren 3000ern, es gibt viel mehr Hänge, die rutschen. Das Gebirge ist gefährlich­er geworden, man muss höllisch aufpassen, dass nichts passiert.

Mit den vielen Nutzern kommen Probleme E-Biker, Kuh-Unfälle. Geht der respektvol­le Umgang mit der Bergwelt verloren?

Es sind viele unterwegs, grundsätzl­ich taugt mir das ja schon. Aber man muss im Gebirge immer aufpassen, ich sehe die Leute im Gehen auf dem

Steig mit dem Handy in der Hand, da gibt es viele Unfälle. Dieses „Ich kann alles machen“ist ein Zeichen der Zeit. Corona war ein Dämpfer, aber diese Mentalität kommt wieder. Da kommt Lieschen Müller aus Castrop-Rauxel, es kann der Fritz aus Innsbruck genauso sein, zu uns auf die Alm und die Kuh steht da, die Kalberl stehen da, sie hat vielleicht ein Kind mit, da will sie die Kuh natürlich angreifen. Es hat immer Unfälle gegeben, mir ist auch öfter ein Stier nachgerann­t. Aber jetzt sind eben mehr Leute auf den Almen, da bin ich auch vorsichtig geworden und halte mich zurück, wo ich mir früher nichts gedacht hätte. Und mit den Hunden ist es sowieso blöd. Aber vielleicht mögen die Kühe einfach die Menge an Menschen nicht, die da marschiere­n.

Stichwort Massen. Denken Sie, dass sich nach Ischgl, nach Debatten um Gletschers­kigebiete, um Gipfelspre­ngungen in Tirol etwas verändern wird?

Bei uns im Zillertal versucht man das schon zu dämpfen, Mayerhofen setzt auf einen sanfteren Tourismus, der Tourismusv­erband hat zum Beispiel ein Alkoholver­bot auf öffentlich­en Plätzen vorgeschla­gen. Man ist guten Willens, versucht wirklich etwas zu ändern, hat aus Ischgl vielleicht gelernt. Aber der Alkohol, die Aggressivi­tät, die vielen Menschen an einem Platz, das ist schon ein Luder. Ich hoffe, dass viel von dem, was vorher war, die Aggressivi­tät, gemildert wird. Aber ob das gelingt, weiß ich nicht.

Erwarten Sie einen Schaden für Tirol? Nein. Das ist rein meine Meinung, aber: Bei uns im Zillertal sicher nicht. Da geht es rund, von oben sehe ich oft die Menge an Autos, die da reinund rausfahren. Wirtschaft­lich ist es für viele sicher schwierig, aber die Hotels bei uns und vor allem die Appartemen­ts sind sehr gut ausgelaste­t. Aber schauen wir, was im Winter ist.

Sie sind ja nach wie vor oft auf Gipfeln in aller Welt unterwegs. Wie geht es Ihnen damit, da heuer so eingeschrä­nkt zu sein? Ich wäre im Herbst nach Bhutan gefahren, das ist natürlich abgesagt, es hat mich schon auch ein bissl getroffen. Ich bin ein aktiver Mensch, will jeden Tag wo auffi, das hat mich schon erschreckt, dass das auf einmal nicht ging. Ich habe auch viele Touren abgesagt, im Glocknerge­biet zum Beispiel, weil in der Hütte sitzt man doch wieder eng beieinande­r. Ich bin echt hin- und hergerisse­n, so ganz passt mir das heuer wirklich nicht.

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