Die Presse am Sonntag

Nicht ohne mein Bett: Der Boom der Wohnmobile

- VON TIMO VÖLKER

Camping ist nicht erst seit dem Ausbruch der Coronakris­e eine Wachstumss­parte: Die Hersteller der mobilen Wohnräume kommen der Nachfrage nicht hinterher. Mit Campingpla­tz-Romantik hat das aber weniger zu tun als man glauben würde.

Für die große Freiheit reicht manchmal ein Kleinwagen, wie der rote Ford Fiesta von Hans und Luise. Die beiden sind um die 70, seit 40 Jahren ein Paar, und ebenso lang pflegen sie ihre Art des Campingurl­aubs: Sparsam, schweigsam, routiniert – die notwendige­n Handgriffe könnten Hans und Luise auch blind ausführen (oder im Stockdunkl­en, was zuweilen ja durchaus gefragt ist). Im Nu ist das im Fiesta verstaute Zelt entfaltet und aufgestell­t, sind alle Accessoire­s an ihrer Stelle und ist der Gaskocher entflammt, um die nachmittäg­liche Ankunft am Campingpla­tz mit einem ordentlich­en Kaffee begehen zu können.

So tun die beiden Wiener es immer schon, und so können sie es wohl auch noch eine Zeit lang praktizier­en, denn der Pfadfinder-Komfort hält sie sichtlich fit. Über die Art und Weise, wie sich ihre mobile Nachbarsch­aft über die Jahrzehnte indes verändert hat, können sie einiges erzählen.

Dabei reicht schon die Momentaufn­ahme. Die Kombinatio­n Alltagsaut­o und Zelt sind auf diesem wie auf den meisten anderen Campingplä­tzen längst die Ausnahme. Regelrecht umringt zeigt sich das bescheiden­e Ensemble von den vielen Straßenkre­uzern im Format von Hochseecon­tainern, samt Vorzelt, mit Sat-Schüsseln und Klimaanlag­e auf dem Dach.

Schweizerm­esser. Auch unser rollendes Eigenheim – hätten wir es nicht nur zu Testzwecke­n ausgeführt – repräsenti­ert die andere Welt des Campings, obschon der knallrote VW California zu den Kleineren am Platze zählt. Der „Cali“gilt als Schweizerm­esser auf Rädern, kompakt, durchdacht, hochwertig ausgeführt. Und weit entfernt von günstig.

Als Camper auf Transporte­r-Basis ist er kleiner als typische Wohnmobile, die in aller Regel über Klo und Dusche verfügen. In der Grundversi­on sind beim California das charakteri­stische Hochdach und eine Markise samt Sitzmöbel dabei, aber weder Kühlschran­k, Herd noch Abwasch.

Als ich Hans und Luise den Preis des Gefährts nenne, erstaunen sie höflich, halten mich aber vermutlich für einen Aufschneid­er, der noch dazu fantasiert: 95.000 Euro sollen für das Exemplar zu Buche stehen („Das reicht für zwanzig Jahre Sommerurla­ub im Luxushotel!“, errechnet Hans).

Gewiss, der Edel-Camper fährt sich traumhaft, hat Allrad, Automatik, Abstandsha­lter und 150 PS, und im Federkernb­ett unter dem (in unserem Fall manuell) ausfahrbar­en Hochdach schläft es sich fast besser als zu Hause. Aber den Kaffee mache ich ebenso wie meine frugalen Stellplatz-Nachbarn: draußen, auf dem Gaskocher aus dem Camping-Laden. Die Küchenzeil­e an Bord würde nochmals extra kosten.

Und doch gilt der California als Bestseller: Seit 2004, seit VW das Vehikel im eigenen Haus baut (statt wie bis dahin beim Spezialist­en Westfalia), hat sich der Absatz verzehnfac­ht, auf fast 20.000 Exemplare im Jahr. In Österreich ist derzeit jeder fünfte verkaufte VW-Transporte­r ein California – ergibt immerhin deutlich über 1000 Stück.

»Schreberga­rtenhaus auf Rädern« versus Autarkie für Hobby und Outdoor-Erlebnis.

Thors Imperium. Aber sich derlei Gerätschaf­t leisten zu können, ist die eine Sache – bekommen die andere: Die Hersteller produziere­n derzeit am Limit; Fahrbares aus der Kategorie Camping ist durchwegs ausverkauf­t, teilweise auf zwei, drei Jahre hinaus, weiß Johannes Mautner Markhof.

Der Journalist und PR-Berater hat sich auf das Gebiet spezialisi­ert („ichcampe.at“) und bevorzugt auch persönlich den Urlaub auf Rädern. Zum Einstieg ins Fach, „um ein Gefühl für die Sache zu kriegen“, verbrachte er 100 Tage durchgehen­d im Camper, streifte samt Familienan­hang vier Monate durch die USA. Dort könne man Camping-Kultur in profession­ellster Ausprägung erleben, dabei laufe trotzdem alles „locker und easy“ab, so Mautner Markhof, etwa das auch bei Touristen beliebte Mietgeschä­ft.

Man ist auch andere Gerätschaf­t gewohnt – ungleich größere. Rollende Apartments sind in Amerika die Norm, nicht selten mit einem Auto im Schlepptau. VW bietet den California auf dem Markt gar nicht erst an: zu zierlich für den US-Geschmack und -Bedarf, dabei viel zu teuer.

Dafür waren Amerikaner in Europa auf Einkaufsto­ur. 2017 übernahm der US–Marktführe­r Thor Industries aus

 ?? Henke ?? Edel-Camping, auch Glamping genannt, mit VWs Bestseller California.
Henke Edel-Camping, auch Glamping genannt, mit VWs Bestseller California.
 ?? Werk ?? Bescheiden­e Anfänge: Ein VW Bulli der Sixties als Vorläufer des California – mit Ausstattun­g von Westfalia.
Werk Bescheiden­e Anfänge: Ein VW Bulli der Sixties als Vorläufer des California – mit Ausstattun­g von Westfalia.

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