»Es gibt kein Anti-Aging-Mittel«
Ernährungsmediziner Cem Ekmekcioglu geht in seinem jüngsten Buch der Frage nach, wie man ein gesundes und auch langes Leben führt – und kommt dabei auf einfache Antworten.
Man weiß, dass man sich gesund ernähren, Sport machen und nicht rauchen soll, um gesund und lang zu leben. Aber was unterschätzen die Leute am meisten?
Cem Ekmekcioglu: Bei Ernährung ist vieles bekannt, etwa der Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und gewissen Krebsarten. Bei anderen Dingen des Lebensstils wissen die Leute weniger. Die Menschen assoziieren mit Bewegung eher Leistungsfähigkeit und Abnehmen. Das stimmt zwar, aber regelmäßige körperliche Aktivität hat universelle gesundheitliche Effekte, wie verbesserte Insulinwirkung, sie schützt vor Typ-2-Diabetes, vor vielen Krebsarten, ist wichtig für den Blutdruck, für das Gehirn, die Kognition. Sie hat zum Beispiel einen deutlichen risikoreduzierenden Einfluss auf das Demenzrisiko.
Was ist regelmäßige körperliche Aktivität? Die WHO empfiehlt mindestens 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche. Moderate Aktivität liegt bei einer Skala von null bis zehn bei fünf. So, dass der Puls und die Atemtätigkeit steigen und ich eventuell leicht ins Schwitzen komme. Schnelles Gehen, Nordic Walken, langsames Laufen.
Was gibt es noch für Missverständnisse?
Bei Schlaf denkt man oft, das ist wichtig für die Konzentration und Leistungsfähigkeit. Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, dass ein chronisch schlechter Schlaf auch das metabolische Risiko erhöht, zum Beispiel das Typ-2-Diabetes-Risiko oder bei älteren Menschen den Bluthochdruck erhöht.
Welche Rolle spielt das Immunsystem?
Es gibt viele Faktoren, die das Immunsystem beeinflussen, die gerade jetzt wichtig sind. Moderate – nicht intensive, da kann der Schuss nach hinten losgehen – körperliche Aktivität ist gut für das Immunsystem. Bei älteren Menschen kann schnelles Gehen die Immunantwort verbessern.
Sie führen in Ihrem Buch auch andere Faktoren wie Optimismus an.
Ich bin ja Ernährungsmediziner, habe mich aber auch mit anderen Gesundheitsthemen befasst und auch ein Buch über Berührungen geschrieben, in dem es auch um Einsamkeit geht. Bei sozialer Isolation denkt der Laie, das macht depressiv. Aber es ist auch schlecht für das Herz-Kreislauf-System, weil es Stresshormone aktiviert und damit den Blutdruck erhöht. Dass chronische Einsamkeit mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit einhergeht, ist weniger bekannt.
Ist das eine Folge der Depression?
Die genauen Mechanismen werden diskutiert, aber zwei Faktoren spielen hier eine Rolle. Einerseits physiologische Faktoren, wie die chronische Aktivierung des Stresssystems. Andererseits gibt es einen indirekten Faktor: ein ungesunder Lebensstil. Wenn ich sozial isoliert bin, vielleicht depressiv bin, dann trink ich vielleicht mehr Alkohol, bewege mich weniger. Bewegung ist auch ein sozialer Faktor.
Aber zurück zum Optimismus.
Was mich bei der Recherche überrascht hat, auch wenn ich es vermutet habe, ist der starke Effekt des Optimismus auf die Überlebenswahrscheinlichkeit. Eine groß angelegte US-amerikanische Studie bei 70.000 Krankenschwestern hat gezeigt, dass die, die optimistisch waren im Vergleich zu den anderen, um etwa 15 Prozent länger gelebt haben. Auch da spielen Stress, physiologische Faktoren, ungesunder Lebensstil eine Rolle.
Sie führen auch ehrenamtliche Tätigkeit als lebensverlängernde Maßnahme an.
Vor allem bei Seniorinnen und Senioren haben Studien gezeigt, dass regelmäßige ehrenamtliche Tätigkeit das Risiko für vorzeitige Sterblichkeit senkt. Hier spielen auch ein höheres Selbstwertgefühl, eine Aufgabe, Ziele im Leben zu haben mit. Eine andere Studie zeigt, Ziele im Leben zu haben, senkt das Demenzrisiko. Freiwillige Tätigkeit ist etwas Soziales, und gerade der soziale Faktor ist im Alter ganz wichtig.
„Älter wirst du sowieso“.
Was wir heute tun können, um morgen gut und gesund zu leben. Cem Ekmekcioglu, Westend-Verlag, 256 Seiten, 20 Euro
Cem Ekmekcioglu
wurde 1965 in Wiesbaden geboren und studierte Medizin in Wien. Er ist
Facharzt für Physiologie, Ernährungsmediziner und mehrfacher Buchautor. Ekmekcioglu lehrt und forscht am Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien.
Bei der Ernährung gibt es viele Trends. Welche Modeerscheinung ist die gefährlichste? Alle stark einseitigen Diäten sind schlecht, da kann es zu Mangelerscheinungen kommen. Und weil sie gerade sehr beliebt ist: Ich empfehle vegane Ernährung nicht bei Kindern und Jugendlichen, eventuell kann sich das auf das Wachstum negativ auswirken. Stark niederkalorisch und vegan ist speziell in der Krise auch nicht optimal, das kann sich ungünstig auf das Immunsystem auswirken. Aber wenn sich ein Übergewichtiger mit Stoffwechselstörungen vegan ernähren will, unterstütze ich das.
Welche Tipps haben Sie bei der Ernährung? Mich fasziniert, wie viele Diätbücher es gibt, alles wird propagiert, auch AntiAging. Aber wenn sich jemand gesund ernähren will, ist das schnell erklärt: Gemüse, Obst, Vollkornprodukte sind ganz wichtig, heutzutage weniger Fleisch, weniger Wurstwaren, keine kalorienhaltigen zuckerhaltigen Getränke, das sind nur ein paar wichtige Punkte. Auch beim Abnehmen ist die Formel einfach: Ich muss weniger essen, als ich verbrauche. Das kann ich durch extreme sportliche Aktivität machen, das macht aber niemand, oder ich muss weniger essen. Es gibt kein Anti-Aging-Mittel, nur einen gesunden Lebensstil, und wenn ich Glück habe, gute Gene und gute Umweltfaktoren.
Das heißt, die vielen Nahrungsergänzungsmittel können wir uns sparen?
Wenn man sich ausgewogen ernährt, braucht man keine, bis auf wenige Ausnahmen, wie Vitamin D im Winter oder Omega-3-Fettsäuren, wenn man keinen Fisch isst, oder für Schwangere. Bei Vitamin D reicht es im Sommer aus, zwei- bis dreimal die Woche 25 Prozent der Haut, also Gesicht, Arme und Unterschenkel, zu exponieren, ungefähr 15 bis 30 Minuten zwischen ca. zehn und 15 Uhr. Aber bei den ganzen Antioxidantien, die über Jahrzehnte propagiert wurden, hat man festgestellt, dass die bei ausgewogener Ernährung keinen Zusatzeffekt haben.