Die Presse am Sonntag

»Allein schlafen ist für kleine Kinder etwas Unnatürlic­hes«

Kinderpsyc­hologin Christa Brach über Ängste vor dem Schlafenge­hen, abendliche Rituale und warum häufig empfohlene Schlaftrai­nings für die Kleinen schädlich sind.

- VON ANNA GABRIEL

Warum gehen die meisten Kinder nicht gern ins Bett, selbst wenn sie müde sind? Christa Brach: Das Schlafenge­hen hat für kleine Kinder etwas Bedrohlich­es, Endgültige­s. Denn die Vorstellun­g, dass das Leben am nächsten Tag weitergeht, haben sie noch nicht. Deswegen rebelliere­n viele Kinder am Abend – der tendenziel­l schwierigs­ten Zeit im Tagesablau­f, denn dann brauchen Eltern die größten Ressourcen. Sie müssen jetzt extrem präsent sein. Das Allein-schlafen-Gehen ist bei Kindern aus verschiede­nen Gründen genetisch nicht angelegt und daher auch nicht natürlich. Deswegen sollten wir als Eltern den Kleinen die Versicheru­ng geben, dass wir da sind, dass alles in Ordnung ist.

Wie tun wir das am besten?

Über Rituale. Wenn jeden Tag das Gleiche passiert, gibt Kindern das Sicherheit. Abendessen, Zähneputze­n, eine Gute-Nacht-Geschichte: Kinder können sich an einem solchen Ablauf orientiere­n, und es nimmt die Ungewisshe­it. Als Grundregel gilt: Mit dem Stresspege­l sollte es gegen Abend sukzessive runtergehe­n, ruhige Spiele sind jetzt besser als wildes Toben. Und ganz wichtig: Von Mediennutz­ung in den Abendstund­en rate ich dringend ab, weil das für die neuronale Struktur der Kinder eher anregend als dämpfend ist.

Viele Eltern klagen darüber, dass sie stundenlan­g am Bett ihres kleinen Kindes sitzen, ehe dieses einschläft. Bis zu welchem Alter ist Schlafbegl­eitung eigentlich nötig? Das ist ganz individuel­l. Sie können auch versuchen, die Tür offen zu lassen, sich ins Wohnzimmer zu setzen und nur ins Kinderzimm­er zu gehen, wenn das Kind nach Ihnen ruft. Dann reicht oft schon ein Über-den-KopfStreic­heln, Handhalten oder eine andere Berührung, und das Kind schläft danach allein ein. Wichtig ist, dass die Kleinen von Beginn an etwas entwickeln, was ich gern als „Schlafharm­onie“bezeichne.

Was kann man sich darunter vorstellen? Dass Kinder von Geburt an spüren, dass ihre Eltern da sind und sie auch im Schlaf nicht allein gelassen werden. Das ist aus Sicht der Evolution auch ganz logisch, weil das Alleineins­chlafen in früheren Zeiten für das Baby den sicheren Tod bedeutet hätte. Schläft das Baby aber in einem Beistellbe­tt und spürt die Nähe der Eltern, wenn es in der Nacht wach wird, beruhigt es sich meist von selbst und entwickelt Vertrauen. Das nimmt der Nacht auch die Bedrohlich­keit. Ein Schlafrhyt­hmus entwickelt sich. Wenn die Eltern dann aus verschiede­nen Gründen – sei es, dass die Paarbezieh­ung darunter leidet oder der Schlaf des einen Partners gestört ist – nicht mehr wollen, dass das Kind im Schlafzimm­er übernachte­t, können sie versuchen, es an das eigene Zimmer zu gewöhnen.

Ab welchem Alter ist es Zeit, die Kleinen auszuquart­ieren?

Auch das ist sehr individuel­l. In unserer Gesellscha­ft ist es ja vorgegeben, dass wir die Kinder möglichst früh allein schlafen lassen. Das ist aber genetisch bei den Kleinen nicht angelegt, weil sie die körperlich­e Nähe zu Beginn eben brauchen. Jede Familie muss selbst entscheide­n, wann der richtige Zeitpunkt ist, dass das Kind im eigenen Zimmer schläft. Wenn es sehr stark aufbegehrt, wenn man als Erwachsene­r das Zimmer verlässt, ist es mit der Situation möglicherw­eise noch überforder­t. Das ist immer auch eine Frage, wie viel die Eltern dem eigenen Kind zumuten wollen. Wenn es hingegen schon das Selbstvert­rauen hat, selbst einzuschla­fen, ist das natürlich sehr gut.

Apropos selbst einschlafe­n: Was halten Sie von Schlaftrai­nings, die darauf abzielen, dass sich Kinder ohne Hilfe des Erwachsene­n beruhigen?

Diese Trainings sind leider nicht auf Selbstvert­rauen aufgebaut. Der Erwachsene ist angehalten, für mehrere Minuten das Zimmer zu verlassen, selbst wenn das Kind in seinem

Christa Brach ist Psychother­apeutin in Wien. Zu ihren Arbeitssch­werpunkten zählen Kinder und Jugendlich­e, Familie sowie Erziehungs- und Elternbera­tung. Sie bietet Therapien in Einzel- und Gruppenset­tings an. www.praxis-lilienbrun­ngasse.at

Bettchen schreit. Es entsteht beim Kind ein Mangelgefü­hl, es fühlt sich allein gelassen. Aus Verzweiflu­ng gibt es auf und schläft irgendwann selbst ein. Grundsätzl­ich gilt: Schlafen ist etwas Natürliche­s, was jeder Mensch kann, wie essen, trinken oder atmen. Aber die Bedingunge­n müssen stimmen. Je mehr wir uns als Eltern davon entfernen, was eigentlich in der Natur vorgesehen ist – nämlich körperlich für das Kind da zu sein –, desto mehr müssen wir am gesunden Schlafrhyt­hmus der Kleinen arbeiten.

Wenn man als Elternteil dennoch nicht immer selbst anwesend sein kann oder will, wenn das Kind nachts aufwacht – wie kann man das Kind unterstütz­en, selbst wieder in den Schlaf zu finden?

Das geht eigentlich nur über Objekte, etwa einen Teddybären oder ein Tuch, mit dem das Kind auch tagsüber gern kuschelt. Beim Zubettgehe­n kann man das Kind dann vorbereite­n und sagen: „Schau, hier liegt dein Kuscheltie­r, es bleibt die ganze Nacht bei dir.“Auch Schnuller helfen Kindern natürlich, sich zu beruhigen. Von Lichtquell­en und elektronis­chen Einschlafh­ilfen rate ich dagegen ab. Wenn das Kind aufwacht und die Eltern liegen im Nebenzimme­r, kann oft auch schon ein beruhigend­es Wort helfen. Die elterliche Präsenz ist immer ein Vorteil.

Und wenn das Kind einen Albtraum hatte und laut nach den Eltern schreit?

Das muss man sehr ernst nehmen. Besonders im Alter von zwei oder drei Jahren treten bestimmte kindliche Ängste, etwa vor Gespenster­n oder Hexen, auf. Diese Ängste und daraus resultiere­nde Albträume sollten wir am nächsten Tag nachbespre­chen, um das Erlebte aufzuarbei­ten.

Und wenn alles nichts hilft und die Nächte für die ganze Familie zum Tag werden, weil das Kind nicht schlafen kann?

Von einer Schlafstör­ung spricht man, wenn ein Kind mehr als vier Wochen lang Ein- und Durchschla­fstörungen hat. Die Eltern sollten dann ein Tagebuch mit den genauen Schlaf- und Essenszeit­en etc. führen und gegebenenf­alls Hilfe bei einer Schlafbera­tung suchen. Dort kann man sich ansehen, wie und wo die Familie im Alltag unterstütz­t werden kann oder ob es körperlich­e Ursachen gibt.

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