»Allein schlafen ist für kleine Kinder etwas Unnatürliches«
Kinderpsychologin Christa Brach über Ängste vor dem Schlafengehen, abendliche Rituale und warum häufig empfohlene Schlaftrainings für die Kleinen schädlich sind.
Warum gehen die meisten Kinder nicht gern ins Bett, selbst wenn sie müde sind? Christa Brach: Das Schlafengehen hat für kleine Kinder etwas Bedrohliches, Endgültiges. Denn die Vorstellung, dass das Leben am nächsten Tag weitergeht, haben sie noch nicht. Deswegen rebellieren viele Kinder am Abend – der tendenziell schwierigsten Zeit im Tagesablauf, denn dann brauchen Eltern die größten Ressourcen. Sie müssen jetzt extrem präsent sein. Das Allein-schlafen-Gehen ist bei Kindern aus verschiedenen Gründen genetisch nicht angelegt und daher auch nicht natürlich. Deswegen sollten wir als Eltern den Kleinen die Versicherung geben, dass wir da sind, dass alles in Ordnung ist.
Wie tun wir das am besten?
Über Rituale. Wenn jeden Tag das Gleiche passiert, gibt Kindern das Sicherheit. Abendessen, Zähneputzen, eine Gute-Nacht-Geschichte: Kinder können sich an einem solchen Ablauf orientieren, und es nimmt die Ungewissheit. Als Grundregel gilt: Mit dem Stresspegel sollte es gegen Abend sukzessive runtergehen, ruhige Spiele sind jetzt besser als wildes Toben. Und ganz wichtig: Von Mediennutzung in den Abendstunden rate ich dringend ab, weil das für die neuronale Struktur der Kinder eher anregend als dämpfend ist.
Viele Eltern klagen darüber, dass sie stundenlang am Bett ihres kleinen Kindes sitzen, ehe dieses einschläft. Bis zu welchem Alter ist Schlafbegleitung eigentlich nötig? Das ist ganz individuell. Sie können auch versuchen, die Tür offen zu lassen, sich ins Wohnzimmer zu setzen und nur ins Kinderzimmer zu gehen, wenn das Kind nach Ihnen ruft. Dann reicht oft schon ein Über-den-KopfStreicheln, Handhalten oder eine andere Berührung, und das Kind schläft danach allein ein. Wichtig ist, dass die Kleinen von Beginn an etwas entwickeln, was ich gern als „Schlafharmonie“bezeichne.
Was kann man sich darunter vorstellen? Dass Kinder von Geburt an spüren, dass ihre Eltern da sind und sie auch im Schlaf nicht allein gelassen werden. Das ist aus Sicht der Evolution auch ganz logisch, weil das Alleineinschlafen in früheren Zeiten für das Baby den sicheren Tod bedeutet hätte. Schläft das Baby aber in einem Beistellbett und spürt die Nähe der Eltern, wenn es in der Nacht wach wird, beruhigt es sich meist von selbst und entwickelt Vertrauen. Das nimmt der Nacht auch die Bedrohlichkeit. Ein Schlafrhythmus entwickelt sich. Wenn die Eltern dann aus verschiedenen Gründen – sei es, dass die Paarbeziehung darunter leidet oder der Schlaf des einen Partners gestört ist – nicht mehr wollen, dass das Kind im Schlafzimmer übernachtet, können sie versuchen, es an das eigene Zimmer zu gewöhnen.
Ab welchem Alter ist es Zeit, die Kleinen auszuquartieren?
Auch das ist sehr individuell. In unserer Gesellschaft ist es ja vorgegeben, dass wir die Kinder möglichst früh allein schlafen lassen. Das ist aber genetisch bei den Kleinen nicht angelegt, weil sie die körperliche Nähe zu Beginn eben brauchen. Jede Familie muss selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist, dass das Kind im eigenen Zimmer schläft. Wenn es sehr stark aufbegehrt, wenn man als Erwachsener das Zimmer verlässt, ist es mit der Situation möglicherweise noch überfordert. Das ist immer auch eine Frage, wie viel die Eltern dem eigenen Kind zumuten wollen. Wenn es hingegen schon das Selbstvertrauen hat, selbst einzuschlafen, ist das natürlich sehr gut.
Apropos selbst einschlafen: Was halten Sie von Schlaftrainings, die darauf abzielen, dass sich Kinder ohne Hilfe des Erwachsenen beruhigen?
Diese Trainings sind leider nicht auf Selbstvertrauen aufgebaut. Der Erwachsene ist angehalten, für mehrere Minuten das Zimmer zu verlassen, selbst wenn das Kind in seinem
Christa Brach ist Psychotherapeutin in Wien. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Kinder und Jugendliche, Familie sowie Erziehungs- und Elternberatung. Sie bietet Therapien in Einzel- und Gruppensettings an. www.praxis-lilienbrunngasse.at
Bettchen schreit. Es entsteht beim Kind ein Mangelgefühl, es fühlt sich allein gelassen. Aus Verzweiflung gibt es auf und schläft irgendwann selbst ein. Grundsätzlich gilt: Schlafen ist etwas Natürliches, was jeder Mensch kann, wie essen, trinken oder atmen. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Je mehr wir uns als Eltern davon entfernen, was eigentlich in der Natur vorgesehen ist – nämlich körperlich für das Kind da zu sein –, desto mehr müssen wir am gesunden Schlafrhythmus der Kleinen arbeiten.
Wenn man als Elternteil dennoch nicht immer selbst anwesend sein kann oder will, wenn das Kind nachts aufwacht – wie kann man das Kind unterstützen, selbst wieder in den Schlaf zu finden?
Das geht eigentlich nur über Objekte, etwa einen Teddybären oder ein Tuch, mit dem das Kind auch tagsüber gern kuschelt. Beim Zubettgehen kann man das Kind dann vorbereiten und sagen: „Schau, hier liegt dein Kuscheltier, es bleibt die ganze Nacht bei dir.“Auch Schnuller helfen Kindern natürlich, sich zu beruhigen. Von Lichtquellen und elektronischen Einschlafhilfen rate ich dagegen ab. Wenn das Kind aufwacht und die Eltern liegen im Nebenzimmer, kann oft auch schon ein beruhigendes Wort helfen. Die elterliche Präsenz ist immer ein Vorteil.
Und wenn das Kind einen Albtraum hatte und laut nach den Eltern schreit?
Das muss man sehr ernst nehmen. Besonders im Alter von zwei oder drei Jahren treten bestimmte kindliche Ängste, etwa vor Gespenstern oder Hexen, auf. Diese Ängste und daraus resultierende Albträume sollten wir am nächsten Tag nachbesprechen, um das Erlebte aufzuarbeiten.
Und wenn alles nichts hilft und die Nächte für die ganze Familie zum Tag werden, weil das Kind nicht schlafen kann?
Von einer Schlafstörung spricht man, wenn ein Kind mehr als vier Wochen lang Ein- und Durchschlafstörungen hat. Die Eltern sollten dann ein Tagebuch mit den genauen Schlaf- und Essenszeiten etc. führen und gegebenenfalls Hilfe bei einer Schlafberatung suchen. Dort kann man sich ansehen, wie und wo die Familie im Alltag unterstützt werden kann oder ob es körperliche Ursachen gibt.