»Auch ich habe einige Narben«
Erfahrungen mit Rassismus hat Jazzsänger Gregory Porter schon früh gemacht. Dennoch ist er wieder in seine Heimatstadt gezogen – und erzählt über sie, über Paris und seine Songs.
Seine Familie wurde vom KuKlux-Klan verfolgt, sein Bruder Lloyd ist kürzlich an Covid-19 gestorben, trotzdem legt Gregory Porter mit dem am 28. August erscheinenden „All Rise“ein Album mit optimistischer Grundstimmung vor. Die „Presse am Sonntag“traf ihn in Paris, wo er Teile davon aufgenommen hat – und sprach mit ihm darüber.
Wie ist der Titel „All Rise“gemeint? Gregory Porter: Gute Musik hebt alle Menschen empor. Sie werden mitgerissen, ob sie wollen oder nicht. „All Rise“sagt man auch, wenn ein militärischer Vorgesetzter den Raum betritt und alle aufzuspringen haben. Ähnlich zwingend muss Musik wirken.
Ihre Lieder sind stets voller Empathie. Fühlen Sie sich Menschen nahe, die in ihrem Leben zu kämpfen haben?
Ja. Das hat mit meiner Erziehung und mit der afroamerikanischen Kultur zu tun. Ich habe immer mit Außenseitern sympathisiert. Mein erstes Publikum waren Obdachlose, Prostituierte und Drogensüchtige. Ich bin stolz darauf, vor Queen Elizabeth gesungen zu haben. Aber zu singen begonnen habe ich vor Menschen, die ganz unten waren.
Im Video von „Survival Song“ist der 2015 in Polizeigewahrsam verstorbene Freddie Gray erwähnt. Warum?
Weil das Ereignisse sind, die Afroamerikaner zutiefst verunsichern. Selbstzweifel können nämlich auch durch einen äußeren Stimulus ausgelöst werden. Neben Polizeigewalt sind das schlechte ökonomische Bedingungen, die dich als schwarzen Amerikaner runterbringen: Die Vorstellung, dass du auf immer ein Habenichts sein wirst, der zu wenig Bildung hat, der sich kein gesundes Essen leisten kann, die nagt an der Psyche. Das brachte mich auf die Frage nach der Quelle unserer Kraft. Die liegt traditionellerweise in der Kirche und in unserer eigenen Kultur.
Sie sind in Bakersfield aufgewachsen, wo Sie rassistische Diskriminierung erlebt haben. Jetzt sind Sie wieder dorthin zurückgekehrt. Warum?
Weil ich wieder Teil der Community sein wollte. Ich bin kein Großstadtmensch. Ich habe lang in New York gelebt, auch weil mein jetzt an Covid-19 verstorbener Bruder Lloyd dort eine Bäckerei betrieben hat. Aber in Bakersfield lebt der Rest meiner Familie.
Ist der Rassismus denn verschwunden?
Das wage ich nicht zu behaupten. In Bakersfield herumzufahren stimmt mich nachdenklich. Man hat uns oft die Scheiben unseres Hauses kaputt geschlagen, der Ku-Klux-Klan hat uns attackiert. Trotzdem hege ich auch schöne Erinnerungen. Wenn ich an unserem früheren Haus vorbeifahre, sehe ich einen Baum, der vor langer Zeit gefällt werden sollte. Mein Bruder und ich sind aber hinaufgeklettert, als der Mann mit der elektrischen Säge kam. So konnten wir seine Schlägerung verhindern. Es ist so schön zu sehen, dass der Baum immer noch gedeiht. Mit einigen Narben. Und die habe ich auch.
Wie sehen Sie die Entwicklung seit den Tagen eines Dr. Martin Luther King? Ist eine positive Entwicklung eingetreten?
Ich weiß nicht. Wir leben in befremdlichen Zeiten. Auf Social Media tummeln sich viele, die dem Fortschritt ein Ende machen wollen. Da ist so viel Hass. Und unser Präsident ist da leider auch keine Hilfe.
Ist es, wenn Sie aufnehmen, immer noch so aufregend wie bei Ihren ersten Platten?
Ja, Gott sei Dank! Die Freude steigerte sich mit jedem Tag. Früher hatte ich meine Alben in vier, fünf Tagen im Kasten. Diesmal nahm ich mir mehr Zeit. Es ist sicher mein „produziertestes“Album, aber es steckt jede Menge Menschlichkeit drin.
Wie meinen Sie das?
Nun, wenn ich in „Love Is Overrated“verliebt klinge, dann bin ich es wirklich. Wenn ich am Ende von „Merchants of Paradise“zornig klinge, dann war ich es wirklich. Meine Emotionen sind echt, und das hört man. Auf das bin ich schon ein wenig stolz.
Das Lied „Concorde“fiel Ihnen im Flugzeug ein. Ist das ein Ort, der Sie entspannt?
Auf jeden Fall. Ich steige ja meist müde in den Flieger. Und wenn mich der, wie im Fall der Concorde, mit Überschallgeschwindigkeit wohin bringt, dann löst das auf geradezu magische Weise kreative Schübe aus. Es kann aber auch im Zug passieren. Und „Be Good“ist mir beim Fahrradfahren eingefallen.
Das märchenhafte „Merry Go Round“klingt nach Paris. Ist es hier entstanden?
Ja. Aber selbst, wenn man sich auf amerikanischen Karussells dreht, beamt es einen gefühlsmäßig nach Paris. Mir geht es zumindest so. In dem Lied geht es um ein rostiges Pferd auf einem teilweise renovierten Karussell. Es will für die Kinder attraktiv sein wie die frisch lackierten Kollegen. Und auf geheimnisvolle Weise ist es das auch.
Was ist wichtig beim Songwriting? Essenziell ist eine gute Melodie, die Herz und Hirn gleichermaßen anspricht. Und sehr wichtig ist, dass ein Lied nicht mit Information überfrachtet ist. Es muss atmen können, nur dann brennt es sich in die Herzen der Hörer.
Überarbeiten Sie die Lieder mehr als früher? Auf jeden Fall. Manchmal möchte man aus Egogründen irgendeine Form von Zierrat hinzugeben, manchmal, um den Menschen zu gefallen. Solche Passagen streiche ich dann wieder weg. Poesie kann auch auf engem Raum passieren. Kürze und Pointiertheit wurden mir mit der Zeit wichtiger.
Ich weiß, Sie mögen es nicht, nach Ihrer Kopfbedeckung gefragt zu werden. Machen wir es anders. Welche historischen Jazzhüte und Soulkapperln mögen Sie?
Zuallererst den Pepita-Hut von Nat King Cole. Dann die Kapitänsmütze von Count Basie, Billy Pauls Lederhut und natürlich Donny Hathaways Schiebermütze. Und meine finde ich auch nicht so schlecht . . .