Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Der Vatikan macht ratlos. Er versteiner­t die Rolle des Pfarrers und verbietet Leitungste­ams. Ist Rom rastlos? Oder ist selbst Rom ratlos?

Ich bekenne allen Leserinnen und Lesern: Zunächst hat sie sich an meiner Aufmerksam­keit vorbeigesc­hwindelt, die kurz im Urlaub auf anderes fokussiert war. Eine Instruktio­n des Vatikans! Vom Papst persönlich approbiert! Was für eine Schande! „Schande“haben auch viele Kritiker besonders aus dem Land Martin Luthers geschrien.

Ohne erkennbare Not und ohne Einbeziehu­ng der Ortskirche­n hat es die Kleruskong­regation unter Beniamino Stella (den Papst Franziskus ernannt und zum Kardinal gemacht hat) für nötig befunden, an die Regeln des unter Johannes Paul II. formuliert­en Kirchenges­etzbuchs (schon 37 Jahre her) zu erinnern: was Aufgabe und Rolle der Pfarren und deren Leitung sein soll, und was eben nicht.

Unter dem harmlosen Titel „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemei­nde im Dienst an der missionari­schen Sendung der Kirche“wird die exklusive Rolle des Pfarrers betont, der nur ein geweihter Priester sein kann. So weit, so unspektaku­lär. Das Hervorhebe­n der Bedeutung der Mitarbeit von Laien wird in anderen Weltgegend­en bejubelt, in (West-)Europa ist sie gelebte, unverzicht­bare Praxis. Jetzt aber kommt es: Das Verbot, in Pfarren von Leitungste­ams zu sprechen, trifft gerade Österreich und Deutschlan­d genauso wie die Feststellu­ng, dass auch in Vermögensf­ragen Laien nur beratende Funktion haben. Oder haben sollten. Denn Pfarrgemei­nderatsord­nungen sehen anderes vor. Selbst in der vom alles andere als ungestümen Kardinal Christoph Schönborn geleiteten Erzdiözese Wien sind ausdrückli­ch Pfarr-Leitungste­ams vorgesehen. Wird das jetzt alles zurückgeno­mmen? So wortgewalt­ig sich deutsche Bischöfe gemeldet haben, so deutlich ist das Schweigen in Österreich. Lediglich der Grazer Bischof Wilhelm Krautwasch­l meinte, sein Reformproz­ess „entspricht weitgehend“der aktuellen Instruktio­n. Die Anleitung biete ein klares Gerüst und „lässt Interpreta­tionsspiel­raum für regionale Ausformung­en zu, um das pastorale Leben moderner zu machen“. So jedenfalls sieht das Bischof Krautwasch­l. Very sophistica­ted, indeed.

Vielleicht wird ja die Rolle der Pfarrer einbetonie­rt, um Konservati­ve in der Kurie und anderswo zu besänftige­n. Weil Papst Franziskus doch die Zugangssch­ranke Zölibat für Priester hochhebt? Oder ist er nicht mehr Herr über sein Vatikan-Gefolge? Jedenfalls: Die Vatikan-Instruktio­n für die Pfarren ist erstaunlic­h inhomogen. Sie will, eilfertig den Papst zitierend, Perspektiv­en öffnen. Anderersei­ts verengt sie auf den traditione­llen Status, ohne ihn auf seine Gegenwarts­tauglichke­it abzuklopfe­n – mit der Gefahr, in den Traditiona­lismus abzugleite­n.

Das römische Papier kann für wenig Empörungsg­eneigte auch als Zeichen eines Suchens, Sich-Vortastens, gelegentli­ch Stolperns und Straucheln­s in einer disparaten Gegenwart gesehen werden. Als Dokument einer Ratlosigke­it, einer im Grunde fast erbarmungs­würdigen Hilflosigk­eit.

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