Die Presse am Sonntag

»Ohne Theater kann ich gar nicht sein«

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Sagen Sie, wie viele Stunden hat Ihr Tag? Sie stehen auf der Bühne, drehen, führen Regie, und seit 18. Mai sind Sie nun fix die neue Leiterin des Max-Reinhardt-Seminars. Wie geht sich das alles aus?

Maria Happel: Na ja, im Moment findet ja coronabedi­ngt vieles nicht statt. Die vergangene­n Monate konnte ich mich voll darauf konzentrie­ren, mich in diese neue Aufgabe einzufinde­n. (Anm.: Nachdem Tamara Metelka Ende Jänner zurückgele­gt hat, übernahm Happel interimist­isch ihre Funktion.)

War der Rücktritt Ihrer Vorgängeri­n für Sie vorhersehb­ar oder unerwartet?

Ihr Rücktritt kam schon sehr überrasche­nd. Danach wurde ich an einem Montag, morgens um 8.30 Uhr, zur Rektorin bestellt. Da dachte ich mir: Es gibt nur zwei Möglichkei­ten, wenn man zu dieser Uhrzeit bestellt wird. Man wird entlassen oder man wird befördert.

Zweiteres war der Fall.

Ja, ich wurde gefragt, ob ich die Leitung interimist­isch übernehmen will. Ich habe keine Sekunde gezögert und sofort Ja gesagt.

Ohne nachzudenk­en? Das ist riskant.

Das Ja kam völlig aus dem Bauch – erst später habe ich darüber nachgedach­t.

Wirklich? Dieser Job gilt als alles andere als leicht. Die Verweildau­er ist relativ kurz.

Er ist überhaupt nicht leicht. Ich glaube, dass eine ganze Portion an Mut dazugehört, einfach spontan Ja zu sagen.

Vielleicht sagt man zu so einem Angebot nur spontan Ja, denn wenn man erst einmal beginnt darüber nachzudenk­en, kann einem schon so mancher Zweifel kommen.

Das denke ich auch. Denn was an dieser Aufgabe alles dranhängt, all das Administra­tive, Statuten, Satzungen, UniRecht, ist ja nach außen gar nicht sichtbar.

Verwaltung­saufgaben werden es nicht gewesen sein, die Sie gereizt haben.

Natürlich nicht. Aber ich hätte immer schon gern ein Theater oder ein Ensemble geleitet. Vielleicht hat dieser Wunsch auch eine Rolle gespielt. Und wahrschein­lich auch Max Reinhardt selbst.

Inwiefern Max Reinhardt?

Als ich noch Schülerin im Spessart war, las ich auf einem Kalenderbl­att diesen berühmten Spruch von Reinhardt über Schauspiel­er. Damals wusste ich noch gar nicht, wer er überhaupt war. Jedenfalls war ich davon so berührt, dass ich das Blatt abriss und einrahmte. Es hing bei mir, auch als ich in Hamburg Schauspiel­unterricht nahm.

Wie lautet der Spruch?

„Das Theater ist der seligste Schlupfwin­kel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzusp­ielen.“Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich denke, altersmäßi­g ist es jetzt für mich ein guter Zeitpunkt, mein Wissen und meine Erfahrung an den Nachwuchs hier weiterzuge­ben.

Aber das taten Sie doch als Lehrerin an diesem Haus schon bisher.

Nur punktuell, denn ich hatte immer nur ein, zwei Studierend­e. Jetzt ist es meine Aufgabe, dem Max-ReinhardtS­eminar einen neuen Geist zu geben, an der Basis zu arbeiten. Den Glauben an ein funktionie­rendes Ensemble kann ich – gemeinsam mit meinen Kollegen – von hier aus hinaustrag­en und so versuchen, dem Theater eine gesicherte

Maria Happel

wurde 1962 im Spessart geboren. Sie ist Schauspiel­erin, Regisseuri­n und seit Mai

Leiterin des MaxReinhar­dt-Seminars.

Ihre Schauspiel­ausbildung erhielt Happel in Hamburg, 1991 holte sie der damalige Burgtheate­rdirektor Claus Peymann ans

Wiener Burgtheate­r.

Im Jahr 2000 folgte sie Claus Peymann zunächst ans

kehrte aber 2002 wieder ans Burgtheate­r zurück.

Ensemble,

Bei den

Berliner

Festspiele­n in Reichenau

wirkte sie nicht nur häufig mit, sondern führte auch Regie.

Seit Langem wünscht sich Happel, ein eigenes Ensemble zu leiten. 2013 bewarb sie sich um die Intendanz des Wiener Volkstheat­ers, bekam die Stelle jedoch nicht.

Nachdem die frühere Leiterin des MaxReinhar­dt-Seminars Anfang des Jahres ihre Funktion zurücklegt­e, wurde Happel vorerst zur interimist­ischen Leiterin bestellt. Am 18. Mai wurde sie fix ernannt. ...wie Ihre Familie reagierte, als sie erfuhr, dass Sie Leiterin des Max-Reinhardt-Seminars werden? „Sehen wir dich nun noch weniger?“, haben sie gefragt. Und die Antwort lautete Ja. Das schmerzt natürlich. Auf der anderen Seite kennen sie mich schon ein paar Tage und sehen, dass mich mein Beruf nicht nur aus-, sondern auch erfüllt.

...wie Sie die Debatte über den Stellenwer­t von Kultur während der Coronakris­e erlebt haben?

In den ersten zwei Wochen war es für mich selbstvers­tändlich, dass anderes wichtiger und vordringli­cher ist. Nach vier Wochen dachte ich: Okay, wir sind das Schlusslic­ht des Zuges, aber der Zug fährt. Aber nach acht Wochen sah ich, dass wir an diesem Zug gar nicht angehängt sind. Das war eine sehr bittere Erkenntnis. Denn ich war immer jemand, der allen voll Überzeugun­g erzählt hat, dass Wien für Kunstschaf­fende die Insel der Seligen ist. Jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, dass unsere Politiker, bis auf einige Ausnahmen, große Theatergän­ger sind. Wären sie es, wäre ihnen das Theater ein größeres Anliegen.

Das bin ich. Aber bis zu dem Punkt fände ich es toll, wenn wir gemeinsam machen und tun.

Das Reinhardt-Seminar soll ausdrückli­ch eine aktive Künstlerin leiten. Sieht man sich das Programm von Burgtheate­r-Direktor Martin Kuˇsej an, findet man Sie in der kommenden Saison nur in einem Stück. Warum? Vor Kusˇej war ich in sechs bis acht Produktion­en. Das hat sich schlagarti­g geändert. Ich habe in der ersten KusˇejSais­on nur in „Die Stühle“gespielt. Und die beiden geplanten Produktion­en „Tosca“und „Peer Gynt“kamen aufgrund von Corona nicht zustande – und werden auch nicht nachgeholt werden.

Warum nicht?

Das geht anscheinen­d aus Zeitgründe­n nicht.

Das ist schade.

Ein Jammer, denn ich habe für beide Rollen schon sehr viel gearbeitet. Aber ich schaue nach vorne. Im Oktober spiele ich im „Automatenb­üfett“, bei dem Barbara Frey Regie führt.

Hoffentlic­h bleibt es nicht bei nur einem Stück. Auf das Theaterspi­elen ganz zu verzichten, ist das für Sie eine Option?

Nein! Ohne Theater kann ich gar nicht sein. (Pause) Das Seminar zu „leiten“heißt für mich, den Weg zu weisen. Ich sehe mich als Staffelläu­ferin. Jetzt habe ich die Staffel in der Hand. Zurzeit renne ich. Aber ich sehe schon die Studierend­en vor mir, denen ich sie einmal übergeben werde.

Jetzt sehen Sie die schon? Ja.

Das ist gar früh. Sie haben die Staffel ja gerade erst in die Hand bekommen?

Na gut. (Lacht laut) Ich renn’ schon noch eine Weile. Auf jeden Fall.

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Clemens Fabry „Das Max-Reinhardt-Seminar ist kein Selbstbedi­enungslade­n“, sagt dessen neue Leiterin, Maria Happel.
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