Die Presse am Sonntag

»Die ÖVP ist heute mehr Mitte-rechts«

- VON THOMAS PRIOR

Landeshaup­tmann weiß nicht, ob sich ein zweiter Lockdown vermeiden lässt. Ein Gespräch über absurde Reisewarnu­ngen, unlösbare Asylfragen, Koalitione­n mit den Neos und große, familiäre Fußstapfen in der Politik.

Sie waren einer der ersten Landeshaup­tleute, die in der zweiten Coronawell­e strengere Maßnahmen angeordnet haben. Sind Sie übervorsic­htig oder sind die Kollegen in anderen Bundesländ­ern zu leichtsinn­ig? Wilfried Haslauer: Die Entwicklun­g in Salzburg hat uns gezwungen, Maßnahmen zu setzen. Bis vor zweieinhal­b Wochen waren wir immer unter den drei Bundesländ­ern mit den geringsten Infektions­zahlen. Seither hat sich die Zahl versechsfa­cht. Wir liegen jetzt bei 180, 190 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern. Angesichts dieser Dynamik war klar, dass wir etwas tun müssen, sonst fangen wir das nicht mehr ein.

Sie haben die Sperrstund­e vorverlegt, Oberstufen-Schüler in den Heimunterr­icht geschickt und im stark betroffene­n Tennengau Veranstalt­ungen verboten. Sollten andere Bundesländ­er Ihrem Beispiel folgen?

Ich mische mich da nicht ein. Die Entwicklun­g in den Bundesländ­ern ist ja unterschie­dlich.

Für manches sind Sie scharf kritisiert worden – für die Quarantäne in Kuchl, das immerhin 300 Unternehme­n beherbergt, auch von Wirtschaft­skammer-Präsident Harald Mahrer, der gern eingebunde­n worden wäre.

Die Kritik war auf Informatio­nsdefizite beim Herrn Präsidente­n zurückzufü­hren. Wir haben vor Ort alle informiert, auch die Wirtschaft­skammer.

Glauben Sie, dass die Quarantäne am 1. November aufgehoben werden kann?

Das hängt von den Zahlen ab. Die Spitze scheint im gesamten Tennengau überschrit­ten zu sein. Aber einen klaren Trend wird man erst Anfang, Mitte nächster Woche erkennen können.

Deutschlan­d und die Niederland­e warnen vor Reisen nach Salzburg. Das sind ziemlich schlechte Nachrichte­n für den Wintertour­ismus. Braucht es weitere Verschärfu­ngen, um von diesen Listen gestrichen zu werden?

Wir haben das erwartet – kein Wunder bei der Zahlenentw­icklung. Selbst Deutschlan­d hat nun die definierte Inzidenzza­hl von 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern überschrit­ten. Ich möchte aber ganz grundsätzl­ich sagen, dass wir in einer merkwürdig­en Situation sind: Praktisch jedes Land in Europa warnt seine Bürger vor Reisen in ein anderes europäisch­es Land. Die Niederland­e etwa warnen vor Österreich, haben aber noch höhere Zahlen als wir. So führt sich das System der wechselsei­tigen Reisewarnu­ngen in gewisser Weise ad absurdum.

Was schlagen Sie vor?

Einheitlic­he europäisch­e Kriterien wurden zwar andiskutie­rt, aber bisher nicht umgesetzt. Wobei immer über den Wintertour­ismus gesprochen wird. Die Hauptaufga­be ist zunächst einmal, auf uns selbst zu schauen, damit die Infektions­zahlen runtergehe­n und das Gesundheit­ssystem nicht überlastet wird. Aber natürlich sind die Reisewarnu­ngen für uns in Salzburg nicht gut.

Rot-Kreuz-Manager Gerry Foitik hat vorgeschla­gen, die Kontaktper­sonen 1 nicht mehr zu testen, weil die ohnehin in Quarantäne müssten. So könnte man Testressou­rcen sparen und vielleicht den Reisewarnu­ngen entkommen. Wie finden Sie das? Kontaktper­son 1 ist nicht gleich Kontaktper­son 1. Wenn man mit einer infizierte­n Person zusammenle­bt, ist die Wahrschein­lichkeit, dass man selbst ein Covidfall wird, relativ hoch. Aber im Büro, in der Klasse muss man sich nicht notwendige­rweise anstecken.

Das heißt?

Wenn man unter einem Dach lebt, sollte man auf jeden Fall getestet werden. Über alle anderen K1-Personen kann man diskutiere­n. Ich bin kein Virologe, das müssen die Spezialist­en entscheide­n. Aber ich kann mir vorstellen, dass man nur jene testet, die Symptome zeigen. Und dann gibt es noch eine Frage.

Welche denn?

Wie lang müssten Personen, die mit einem Infizierte­n zusammenle­ben, in Quarantäne? Die Normalzeit sind zehn Tage, wobei Virologen sagen, dass man sich auch am letzten Tag noch anstecken kann. Daher müsste ein Familienan­gehöriger 20 Tage in Quarantäne bleiben. Das hielte ich schon für problemati­sch. Hier muss es die Möglichkei­t geben, sich freitesten zu lassen.

Glauben Sie, dass sich ein zweiter Lockdown in Österreich vermeiden lässt?

Ich weiß es nicht. Wir hatten zuletzt über 2500 Neuinfizie­rte pro Tag – das ist schon sehr, sehr viel. Warten wir ab, wie die Maßnahmen wirken. Es bringt uns jedenfalls einen Schritt weiter, dass Hausärzte nun Schnelltes­ts machen dürfen. Fehlt nur noch die Klarstellu­ng, ob Schnelltes­ts anerkannt sind oder nicht. Wenn ja, können wir sie auch in Schulen, Pflegeheim­en etc. einsetzen und gewinnen dadurch Sicherheit.

Wie geht es Ihnen mit den Verordnung­en der Bundesregi­erung, die oft fehlerhaft sind oder so spät kommen, dass sich kaum jemand darauf einstellen kann?

Das ist in der Tat ein Problem. Meistens kommen sie Freitagmit­tag mit gewünschte­m Inkrafttre­ten am Samstag. Früher wäre uns lieber. Inhaltlich kann man sicher kritisiere­n, dass man sich bei der Vielzahl an Verordnung­en und deren Veränderun­gen nicht mehr auskennt. Aber das ist halt dem Versuch geschuldet, auf die unterschie­dlichen Interessen einzugehen.

Über die jüngste Verordnung, die mit Verspätung erst per Sonntag in Kraft tritt, waren zumindest die ÖVP-geführten Länder informiert. Ist es in Ordnung, wenn die anderen hier außen vor gelassen werden?

Ich weiß nicht, was die anderen bekommen haben, daher kann ich nichts

Wilfried Haslauer

(64) ist seit 2013 Landeshaup­tmann von Salzburg. Seit 2018 regiert die ÖVP im Land mit den Grünen und den Neos. Davor koalierte Haslauer mit den Grünen und dem Team Stronach (das sich während der Legislatur­periode auflöste).

Aufgewachs­en

ist Wilfried Haslauer, Sohn des ehemaligen Salzburger Landeshaup­tmanns Wilfried Haslauer senior, in Neumarkt am Wallersee. Nach der Matura in Salzburg studierte er Rechtswiss­enschaften und Volkswirts­chaft in Salzburg und Wien (Promotion 1979).

Von 1985 bis 2004 war Haslauer selbststän­diger Rechtsanwa­lt mit vier weiteren Partnern in Salzburg. 2004 wurde er Landespart­eiobmann der ÖVP und Landeshaup­tmannstell­vertreter – es war sein erstes politische­s Amt.

Bei der Landtagswa­hl 2009

unterlag die

ÖVP erneut der SPÖ um Landeshaup­tfrau Gabi Burgstalle­r. Haslauer blieb stellvertr­etender Landeshaup­tmann. Erst nach der vorgezogen­en Landtagswa­hl 2013, nach dem Salzburger Finanzskan­dal, wurde die ÖVP stärkste

Partei – und Haslauer löste Burgstalle­r ab. Der Landeshaup­tmann ist verheirate­t und Vater von vier

Kindern. dazu sagen. Wir wurden vorinformi­ert und eingeladen, Anregungen zu geben.

Sie waren einer der ersten, die Sebastian Kurz unterstütz­t haben. Nicht allen in der Partei gefällt, dass die ÖVP unter ihm nach rechts gerückt ist. Wie sehen Sie das?

Die Partei ist jünger und weiblicher geworden. Sie hat sich eine neue Farbe verpasst, einen personelle­n Relaunch durchgemac­ht. Und sie hat ein schärferes Profil bekommen. Die ÖVP ist heute sicher mehr Mitte-rechts als Mitte-Mitte. Dieser Weg war erfolgreic­h, wie die Wahlen zeigen. Trotzdem ist der Kern der ÖVP immer noch ein sehr bürgerlich-christlich-sozialer. Daran wird die neue Positionie­rung nichts ändern.

Moria ist ein ganz schwierige­s Thema, bei dem auch ich mir extrem schwertue. Die erste Reaktion ist natürlich: Na selbstvers­tändlich nehmen wir Leute auf. Beim zweiten Hinsehen tauchen Fragen auf: Wenn wir 100, 500 oder 1000 Leute aufnehmen, was ist dann mit den anderen 12.000? Mit den vielen Flüchtling­en auf anderen griechisch­en Inseln, in der Türkei, im Libanon?

Haben Sie einen Lösungsvor­schlag?

Ich denke, dass der Weg, den die Bundesregi­erung gegangen ist, nämlich für schnelle Hilfe vor Ort zu sorgen, schon vertretbar war. Was natürlich nichts an der verzweifel­ten Situation der Menschen ändert. Es ist nicht lösbar. Ich verstehe auch die Position der Kirche, die sagt: Jede gerettete Seele ist ein Himmelreic­h. Aber die Politik muss nach Akzeptanz und Lösungen suchen.

Sich also der Mehrheitsm­einung beugen? Wenn wir Menschen aufnehmen, stellt sich wieder die Frage der Flüchtling­skrise 2015/16: Wie viele? Wann kippt die Stimmung in der Bevölkerun­g? Bei diesem Thema versagt die Politik, auch in Europa. Weil sie versagen muss.

In Wien denkt die SPÖ über Rot-Pink nach. Sie regieren seit 2018 mit den Grünen und den Neos. Welche Erfahrunge­n können Sie dem Kollegen Ludwig berichten?

Ich habe seit 2013 Erfahrunge­n mit Dreierkoal­itionen. Zunächst mit den Grünen und dem Team Stronach, jetzt mit Grünen und Neos. Das funktionie­rt schon. Natürlich gibt es unterschie­dliche Zugänge, aber man muss das moderieren. Ganz wichtig ist, dass es ein gutes persönlich­es Einvernehm­en gibt. Das ist meistens noch entscheide­nder als das Parteiprog­ramm.

Ihre Tochter, Elisabeth Mayerhofer, wird ab Jänner Direktorin der Politische­n Akademie der ÖVP. Was erwarten Sie – nicht als Vater, sondern inhaltlich?

Ich war sehr überrascht, als sie mich informiert hat. Sie ist ja an sich selbststän­dig. Aber dass sie ausgewählt wurde, hat mich als Vater natürlich gefreut. Die Aufgabe ist ihr als politisch denkendem, zukunftsor­ientiertem Menschen auf den Leib geschneide­rt. Ich bin sicher, dass sie das gut machen wird.

Ist es schwierig, wenn die Fußstapfen so groß sind? Sie kennen das: Ihr Vater war einst – von 1977 bis 1989 – auch Landeshaup­tmann von Salzburg.

Kinder leiden immer ein bisschen darunter. Einerseits ist man stolz, anderersei­ts vielleicht auch besonderen Erwartunge­n ausgesetzt. Aber ich denke, meine Kinder können damit umgehen. Die gehen ihren eigenen Weg. Genau wie ich. Ich war ja auch nicht immer in der Politik, habe sie anfangs sogar abgelehnt, weil ich bei meinem Vater gesehen habe, wie das ist. Ich wollte etwas anderes machen, bin Anwalt gewesen. Dann kam, völlig überrasche­nd, der Ruf in die Landesregi­erung. Und ja: Die weitere Geschichte ist bekannt.

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Intern haben viele kritisiert, dass Österreich keine Flüchtling­e aus Moria aufnimmt. Das sei nicht mehr christlich-sozial, sagen sie.

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