»Die ÖVP ist heute mehr Mitte-rechts«
Landeshauptmann weiß nicht, ob sich ein zweiter Lockdown vermeiden lässt. Ein Gespräch über absurde Reisewarnungen, unlösbare Asylfragen, Koalitionen mit den Neos und große, familiäre Fußstapfen in der Politik.
Sie waren einer der ersten Landeshauptleute, die in der zweiten Coronawelle strengere Maßnahmen angeordnet haben. Sind Sie übervorsichtig oder sind die Kollegen in anderen Bundesländern zu leichtsinnig? Wilfried Haslauer: Die Entwicklung in Salzburg hat uns gezwungen, Maßnahmen zu setzen. Bis vor zweieinhalb Wochen waren wir immer unter den drei Bundesländern mit den geringsten Infektionszahlen. Seither hat sich die Zahl versechsfacht. Wir liegen jetzt bei 180, 190 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern. Angesichts dieser Dynamik war klar, dass wir etwas tun müssen, sonst fangen wir das nicht mehr ein.
Sie haben die Sperrstunde vorverlegt, Oberstufen-Schüler in den Heimunterricht geschickt und im stark betroffenen Tennengau Veranstaltungen verboten. Sollten andere Bundesländer Ihrem Beispiel folgen?
Ich mische mich da nicht ein. Die Entwicklung in den Bundesländern ist ja unterschiedlich.
Für manches sind Sie scharf kritisiert worden – für die Quarantäne in Kuchl, das immerhin 300 Unternehmen beherbergt, auch von Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, der gern eingebunden worden wäre.
Die Kritik war auf Informationsdefizite beim Herrn Präsidenten zurückzuführen. Wir haben vor Ort alle informiert, auch die Wirtschaftskammer.
Glauben Sie, dass die Quarantäne am 1. November aufgehoben werden kann?
Das hängt von den Zahlen ab. Die Spitze scheint im gesamten Tennengau überschritten zu sein. Aber einen klaren Trend wird man erst Anfang, Mitte nächster Woche erkennen können.
Deutschland und die Niederlande warnen vor Reisen nach Salzburg. Das sind ziemlich schlechte Nachrichten für den Wintertourismus. Braucht es weitere Verschärfungen, um von diesen Listen gestrichen zu werden?
Wir haben das erwartet – kein Wunder bei der Zahlenentwicklung. Selbst Deutschland hat nun die definierte Inzidenzzahl von 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern überschritten. Ich möchte aber ganz grundsätzlich sagen, dass wir in einer merkwürdigen Situation sind: Praktisch jedes Land in Europa warnt seine Bürger vor Reisen in ein anderes europäisches Land. Die Niederlande etwa warnen vor Österreich, haben aber noch höhere Zahlen als wir. So führt sich das System der wechselseitigen Reisewarnungen in gewisser Weise ad absurdum.
Was schlagen Sie vor?
Einheitliche europäische Kriterien wurden zwar andiskutiert, aber bisher nicht umgesetzt. Wobei immer über den Wintertourismus gesprochen wird. Die Hauptaufgabe ist zunächst einmal, auf uns selbst zu schauen, damit die Infektionszahlen runtergehen und das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Aber natürlich sind die Reisewarnungen für uns in Salzburg nicht gut.
Rot-Kreuz-Manager Gerry Foitik hat vorgeschlagen, die Kontaktpersonen 1 nicht mehr zu testen, weil die ohnehin in Quarantäne müssten. So könnte man Testressourcen sparen und vielleicht den Reisewarnungen entkommen. Wie finden Sie das? Kontaktperson 1 ist nicht gleich Kontaktperson 1. Wenn man mit einer infizierten Person zusammenlebt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst ein Covidfall wird, relativ hoch. Aber im Büro, in der Klasse muss man sich nicht notwendigerweise anstecken.
Das heißt?
Wenn man unter einem Dach lebt, sollte man auf jeden Fall getestet werden. Über alle anderen K1-Personen kann man diskutieren. Ich bin kein Virologe, das müssen die Spezialisten entscheiden. Aber ich kann mir vorstellen, dass man nur jene testet, die Symptome zeigen. Und dann gibt es noch eine Frage.
Welche denn?
Wie lang müssten Personen, die mit einem Infizierten zusammenleben, in Quarantäne? Die Normalzeit sind zehn Tage, wobei Virologen sagen, dass man sich auch am letzten Tag noch anstecken kann. Daher müsste ein Familienangehöriger 20 Tage in Quarantäne bleiben. Das hielte ich schon für problematisch. Hier muss es die Möglichkeit geben, sich freitesten zu lassen.
Glauben Sie, dass sich ein zweiter Lockdown in Österreich vermeiden lässt?
Ich weiß es nicht. Wir hatten zuletzt über 2500 Neuinfizierte pro Tag – das ist schon sehr, sehr viel. Warten wir ab, wie die Maßnahmen wirken. Es bringt uns jedenfalls einen Schritt weiter, dass Hausärzte nun Schnelltests machen dürfen. Fehlt nur noch die Klarstellung, ob Schnelltests anerkannt sind oder nicht. Wenn ja, können wir sie auch in Schulen, Pflegeheimen etc. einsetzen und gewinnen dadurch Sicherheit.
Wie geht es Ihnen mit den Verordnungen der Bundesregierung, die oft fehlerhaft sind oder so spät kommen, dass sich kaum jemand darauf einstellen kann?
Das ist in der Tat ein Problem. Meistens kommen sie Freitagmittag mit gewünschtem Inkrafttreten am Samstag. Früher wäre uns lieber. Inhaltlich kann man sicher kritisieren, dass man sich bei der Vielzahl an Verordnungen und deren Veränderungen nicht mehr auskennt. Aber das ist halt dem Versuch geschuldet, auf die unterschiedlichen Interessen einzugehen.
Über die jüngste Verordnung, die mit Verspätung erst per Sonntag in Kraft tritt, waren zumindest die ÖVP-geführten Länder informiert. Ist es in Ordnung, wenn die anderen hier außen vor gelassen werden?
Ich weiß nicht, was die anderen bekommen haben, daher kann ich nichts
Wilfried Haslauer
(64) ist seit 2013 Landeshauptmann von Salzburg. Seit 2018 regiert die ÖVP im Land mit den Grünen und den Neos. Davor koalierte Haslauer mit den Grünen und dem Team Stronach (das sich während der Legislaturperiode auflöste).
Aufgewachsen
ist Wilfried Haslauer, Sohn des ehemaligen Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer senior, in Neumarkt am Wallersee. Nach der Matura in Salzburg studierte er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in Salzburg und Wien (Promotion 1979).
Von 1985 bis 2004 war Haslauer selbstständiger Rechtsanwalt mit vier weiteren Partnern in Salzburg. 2004 wurde er Landesparteiobmann der ÖVP und Landeshauptmannstellvertreter – es war sein erstes politisches Amt.
Bei der Landtagswahl 2009
unterlag die
ÖVP erneut der SPÖ um Landeshauptfrau Gabi Burgstaller. Haslauer blieb stellvertretender Landeshauptmann. Erst nach der vorgezogenen Landtagswahl 2013, nach dem Salzburger Finanzskandal, wurde die ÖVP stärkste
Partei – und Haslauer löste Burgstaller ab. Der Landeshauptmann ist verheiratet und Vater von vier
Kindern. dazu sagen. Wir wurden vorinformiert und eingeladen, Anregungen zu geben.
Sie waren einer der ersten, die Sebastian Kurz unterstützt haben. Nicht allen in der Partei gefällt, dass die ÖVP unter ihm nach rechts gerückt ist. Wie sehen Sie das?
Die Partei ist jünger und weiblicher geworden. Sie hat sich eine neue Farbe verpasst, einen personellen Relaunch durchgemacht. Und sie hat ein schärferes Profil bekommen. Die ÖVP ist heute sicher mehr Mitte-rechts als Mitte-Mitte. Dieser Weg war erfolgreich, wie die Wahlen zeigen. Trotzdem ist der Kern der ÖVP immer noch ein sehr bürgerlich-christlich-sozialer. Daran wird die neue Positionierung nichts ändern.
Moria ist ein ganz schwieriges Thema, bei dem auch ich mir extrem schwertue. Die erste Reaktion ist natürlich: Na selbstverständlich nehmen wir Leute auf. Beim zweiten Hinsehen tauchen Fragen auf: Wenn wir 100, 500 oder 1000 Leute aufnehmen, was ist dann mit den anderen 12.000? Mit den vielen Flüchtlingen auf anderen griechischen Inseln, in der Türkei, im Libanon?
Haben Sie einen Lösungsvorschlag?
Ich denke, dass der Weg, den die Bundesregierung gegangen ist, nämlich für schnelle Hilfe vor Ort zu sorgen, schon vertretbar war. Was natürlich nichts an der verzweifelten Situation der Menschen ändert. Es ist nicht lösbar. Ich verstehe auch die Position der Kirche, die sagt: Jede gerettete Seele ist ein Himmelreich. Aber die Politik muss nach Akzeptanz und Lösungen suchen.
Sich also der Mehrheitsmeinung beugen? Wenn wir Menschen aufnehmen, stellt sich wieder die Frage der Flüchtlingskrise 2015/16: Wie viele? Wann kippt die Stimmung in der Bevölkerung? Bei diesem Thema versagt die Politik, auch in Europa. Weil sie versagen muss.
In Wien denkt die SPÖ über Rot-Pink nach. Sie regieren seit 2018 mit den Grünen und den Neos. Welche Erfahrungen können Sie dem Kollegen Ludwig berichten?
Ich habe seit 2013 Erfahrungen mit Dreierkoalitionen. Zunächst mit den Grünen und dem Team Stronach, jetzt mit Grünen und Neos. Das funktioniert schon. Natürlich gibt es unterschiedliche Zugänge, aber man muss das moderieren. Ganz wichtig ist, dass es ein gutes persönliches Einvernehmen gibt. Das ist meistens noch entscheidender als das Parteiprogramm.
Ihre Tochter, Elisabeth Mayerhofer, wird ab Jänner Direktorin der Politischen Akademie der ÖVP. Was erwarten Sie – nicht als Vater, sondern inhaltlich?
Ich war sehr überrascht, als sie mich informiert hat. Sie ist ja an sich selbstständig. Aber dass sie ausgewählt wurde, hat mich als Vater natürlich gefreut. Die Aufgabe ist ihr als politisch denkendem, zukunftsorientiertem Menschen auf den Leib geschneidert. Ich bin sicher, dass sie das gut machen wird.
Ist es schwierig, wenn die Fußstapfen so groß sind? Sie kennen das: Ihr Vater war einst – von 1977 bis 1989 – auch Landeshauptmann von Salzburg.
Kinder leiden immer ein bisschen darunter. Einerseits ist man stolz, andererseits vielleicht auch besonderen Erwartungen ausgesetzt. Aber ich denke, meine Kinder können damit umgehen. Die gehen ihren eigenen Weg. Genau wie ich. Ich war ja auch nicht immer in der Politik, habe sie anfangs sogar abgelehnt, weil ich bei meinem Vater gesehen habe, wie das ist. Ich wollte etwas anderes machen, bin Anwalt gewesen. Dann kam, völlig überraschend, der Ruf in die Landesregierung. Und ja: Die weitere Geschichte ist bekannt.