Die Presse am Sonntag

Monumental­e Emotions-Projektion­en

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er bei den Worten Textilien und Vorarlberg an Hemden, Hosen und Vorhänge denkt, der ist ein paar Jahrzehnte zu spät dran. Ja, in den 1960er-Jahren hatte das westlichst­e Bundesland noch einen Anteil von 70 Prozent an der heimischen Textilprod­uktion. Seit den 1980er-Jahren ging dieser Anteil aber kontinuier­lich zurück, die Hersteller konnten mit der internatio­nalen Konkurrenz nicht mithalten.

Aber noch immer ist Vorarlberg ein Textilland – nur hat man mittlerwei­le den Sprung ins 21. Jahrhunder­t gemacht. Etwa mit Qus, einem „intelligen­ten“, waschbaren T-Shirt für Spitzenspo­rtler. Über spezielle, im Gewebe integriert­e Sensoren lassen sich Körperdate­n ablesen. Herzschlag, Atemfreque­nz, Positions- und Bewegungsd­aten sowie Kalorienve­rbrauch werden von eingenähte­n Sensoren erfasst, an eine On-Board-Unit im Nackenbere­ich des T-Shirts weitergele­itet und können von dort ausgelesen werden.

„Ja, das ist recht speziell“, sagt der Vorarlberg­er Günter Grabhe r, dessen Forschungs­firma V-Trion die Sensoren entwickelt hat. „Man muss kreativ und innovativ sein, wenn man in der Textilbran­che bestehen will.“

Dass Grabher kreativ und entschloss­en ist, das hat er heuer im Frühjahr bewiesen, als sich das Coronaviru­s rasend schnell in Europa ausbreitet­e und die Mund-Nasen-Schutzmask­en knapp wurden. „Es gab Anfragen aus China nach Masken“, erinnert sich Grabher. „Da wussten wir, dass es kritisch wird, weil China der weltweit größte Hersteller von Masken ist.“

Wie kritisch es geworden ist, hat man in den Krankenhäu­sern in Vorarlberg gesehen. „Die Ärzte und das Pflegepers­onal haben sich aus alten Operations­hosen und Lei ntüchern notdürftig­e Masken geschneide­rt. Das war erschrecke­nd.“

Also organisier­te der 51-Jährige gemeinsam mit der Wirtschaft­sstandort Vorarlberg GmbH (Wisto) eine Taskforce zur Herstellun­g der Masken. Neben der Grabher Group nahmen fünf weitere Unternehme­n teil, heu te produziert die Firma Getzner die Stoffe, Bandex die Haltebände­r, Hämmerle ist für den Stickerei prozess zuständig, Tecnoplast macht die Nasenbügel und das Atemventil, Grabhers Unternehme­n verantwort­et die Plasmavere­delung und die Nanofilter­medien. Anfangs war auch Wolford dabei.

„Alle haben mitgemacht. Es war schön zu sehen, wie kreativ die Unternehme­n sind und mit wie viel Leidenscha­ft sie dabei sind.“Etwa, als kurzfristi­g 600 Näher organisier­t werden mussten, als die Bäckerei Ölz die Verschluss­clips für die Nasenbügel lieferte oder als es um die Programmie­rung einer Lager- und Logistikso­ftware ging. „Das hat die Firma Kapsch in weniger als 48 Stunden geschafft. Normalerwe­ise dauert so etwas Monate.“

1,8 Millionen Stück. Die Masken werden unter dem Namen V-Protect vermarktet, seit März wurden 1,8 Millionen Stück produziert. Darunter etwa 600.000 hochwertig­e FFP2- und FFP3Masken, die im Gesundheit­sbereich eingesetzt werden und eine Filterleis­tung von 94 Prozent aufweisen müssen, damit sie eine spezielle CPA-Zulassung bekommen.

Grabher hat für diese Masken mit seiner Smart-Textiles-Plattform zwei spezielle Lösungen erarbeitet. Einerseits weist der aufwendig beschichte­te Stoff Wasser, Blut und Öl ab und kann bis zu 20 Mal gewaschen und wiederverw­endet werden. Anderersei­ts setzt man bei den Filtern auf eine elektrosta­tische Ladung: Das Coronaviru­s habe eine negative Ladung, erklärt Grabher. Also habe man auch die Masken negativ geladen, damit werde das Virus abgestoßen. Diese Ladung könne man mehrmals erneuern.

Somit rechnet sich auch der höhere Preis, den man für die Masken aus Vorarlberg bezahlen muss. Acht Euro kostet eine der speziellen heimischen FFP-Masken, in China kann man sie üblicherwe­ise um zwei Euro einkaufen, während der Krise kletterte der P reis auf fünf Euro. Im Gegens atz zu den V-Protect-Masken sind jene der chinesisch­en Mitbewerbe­r aber nicht wiederverw­endbar.

Grabher hat für seine Initiative viel Anerkennun­g bekommen, unter anderem war er heuer für die „Presse“-Aktion „Österreich­er des Jahres“nominiert. Die Zahl der Partnerunt­ernehmen für die Maskenfert­igung ist mittlerwei­le auf 20 gewachsen.

Der Vorarlberg­er, der mit 25 Jahren sein erstes Textilunte­rnehmen gegründet hat und 2018 zum Unternehme­r des Jahres gewählt wurde, hat noch Großes vor. Neben den intelligen­ten T-Shirts arbeite man mit einem Partner auch an einer intelligen­ten Schuhsohle. Mit den „klugen“Textilien wolle man die Vorhersage von Herzinfark­ten und Schlaganfä­llen ermögliche­n.

»Ärzte haben aus alten Operations­hosen Masken geschneide­rt.«

 ?? Aus der Batliner-Sammlung der Albertina ??
Aus der Batliner-Sammlung der Albertina
 ?? Frederick Sams ?? Günter Grabher hat mit 25 Jahren sein erstes Textilunte­rnehmen gegründet.
Frederick Sams Günter Grabher hat mit 25 Jahren sein erstes Textilunte­rnehmen gegründet.

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