»Wegen Corona gehen Menschen weniger Risiko ein«
Durch die Pandemie ist die allgemein gefühlte Basisunsicherheit größer, sagt Verhaltensökonom Ernst Fehr. Wer dennoch vor allem Chancen sieht, bekam dies meist bereits vom Elternhaus mitgegeben.
Die Coronapandemie brachte die größte Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Was könnte sie aus verhaltensökonomischer Sicht langfristig bedeuten? Ernst Fehr: Was den Wirtschaftseinbruch angeht, ist es eine extrem starke Krise. Da wir aber einen ausgebauten Wohlfahrts- und Sozialstaat haben, schlägt sie wesentlich geringer durch als in den 1930er-Jahren. In Bereichen wie dem Fremdenverkehr gibt es zwar große Schäden, aber wir sind weit von der damaligen Massenarbeitslosigkeit entfernt. In der jetzigen Krise werden vor allem Tendenzen beschleunigt, die es schon gegeben hat. Etwa die Digitalisierung – vor allem beim Handel und der Kommunikation. Langfristig die größten Auswirkungen wird sie auf die Generation haben, die jetzt ins Berufsleben einsteigt. Wir wissen aus der Forschung, dass es Menschen jahrzehntelang nachhängt, wenn sie in einer wirtschaftlich schlechten Situation auf den Arbeitsmarkt kommen. Diese Generationen haben dauerhaft geringere Einkommen als jene vor oder nach ihnen.
Sie haben in einem früheren Gespräch von einem Versuch erzählt, bei dem Menschen Investitionsentscheidungen treffen sollten. Ein Teil davon war dabei unabhängig vom Investitionsverhalten dem Risiko eines Stromschlags ausgesetzt. Diese Menschen entschieden deutlich weniger riskant, weil sie verunsichert waren. Ist die Coronakrise so ein Stromschlag für unsere Gesellschaft? Die subjektiv wahrgenommene Basisunsicherheit ist definitiv größer. Das Coronavirus führt vermutlich dazu, dass viele Menschen grundsätzlich weniger bereit sind, Risken einzugehen. Natürlich gibt es auch in dieser Phase unternehmerische Individuen, die neue Chancen sehen. Der Durchschnittsbürger kann aber nur ein gewisses Gesamtrisiko auf sich nehmen. Wenn das Basisrisiko steigt, dann verändert sich dadurch das Verhalten. Man überlegt sich also doppelt, ob man eine größere Anschaffung macht oder den Job wechselt.
Wie lang werden wir als Gesellschaft brauchen, um das zu verdauen?
Das hängt von der Dauer der Krise ab.
Gibt es nächstes Jahr einen Impfstoff und das Thema ist nach spätestens 1,5 Jahren beendet, dann halten sich die langfristigen Effekte wohl im Zaum. Wirkt der Impfstoff aber nicht und dauert das Ganze noch länger an, dann gibt es schon Veränderungen, beispielsweise durch die Einschränkungen der sozialen Kontakte. So ist es ja unserer Kultur völlig „widernatürlich“,
sich nicht die Hände zur Begrüßung zu geben. Für einige Monate hält man physische und soziale Distanzierung aus, aber nicht auf Dauer. Der Mensch ist ein soziales Wesen und lebt in der Gemeinschaft. Welche langfristigen Auswirkungen es hat, wenn man ihm das nimmt, ist noch nicht abzuschätzen.
Es ist durchaus möglich, dass dieses emotionale Vertrauen – das etwa beim Abschluss von Verträgen wichtig ist – dadurch verloren geht. Denn dabei handelt es sich ja nicht nur um eine rationale Abschätzung, sondern auch um ein Bauchgefühl. Manche Geschäfte, aber auch andere Entscheidungen wie das Einstellen eines wichtigen Mitarbeiters, lassen sich nur schwer ohne persönliches Zusammentreffen durchführen. Elektronische Kommunikation kann im Vorfeld zwar Zeit sparen, aber schlussendlich muss man sich treffen.
Die Krise sorgte bei vielen Menschen dazu, sich nach Sicherheit zu sehnen. Gleichzeitig gab es doch manche, die gerade jetzt investierten oder eine Übernahme machten. Kann man erklären, warum einige risikobereiter sind als andere?
Das hat sehr viel mit dem sozialen Umfeld zu tun, in dem man aufwächst, und den dort verfügbaren Vorbildern. Ich bin beispielsweise in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen. Mein Bruder ist Unternehmer, und auch ich fühle mich in der Wissenschaft als sehr unternehmerischer Akteur, der gern Innovationen – die immer mit einem gewissen Risiko verbunden sind – vorantreibt. Wir hatten immer das Vorbild, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und es nicht als von Gott oder der Umwelt vorgegeben hinzunehmen.
Sie beschäftigen sich ja auch mit Neuroökonomie. Gibt es hier Unterschiede im Hirn zwischen Menschen, die anpacken und jenen, die eher Angst davor haben?
Das Hirn wird ja auch sozial geformt und nicht nur biologisch. Wenn man in einem Elternhaus aufwächst, in dem das Teilen eine große Rolle gespielt hat, dann funktioniert das Hirn anders, als wenn man in einem Elternhaus aufgewachsen ist, in dem sich jeder selbst der Nächste war. Wir wissen zwar, dass es auch eine genetische Prädisposition für mehr oder weniger Risikobereitschaft gibt. Der Anteil der Gene am gesamten Risikoverhalten ist aber eher gering und liegt bei weit weniger als zehn Prozent. Der Großteil ist Prägung.
Wer ist bei dieser Prägung entscheidend? Das Elternhaus ist natürlich sehr entscheidend. Aber auch die sogenannten Peers – also Freunde und Bekannte – sind wichtig. Wobei auch diese oft vom sozialen Umfeld des Elternhauses mitbestimmt