Die Presse am Sonntag

Corona treibt Industrie zur Höchstleis­tung

- VON MADLEN STOTTMEYER

Elektronis­che Antikörper­daten, Virtual-Reality-Brillen und digitale Bildung – in der Not haben heimische Unternehme­n einen Innovation­sdrang entwickelt, der sich auch nach der Pandemie auszahlen wird.

Ein Arbeiter steht in Linz, der andere in Texas. Doch beide sehen zur selben Zeit die gleiche Maschine vor sich. Mit Virtual-Reality-Brillen schult der Voestalpin­e-Mitarbeite­r seinen amerikanis­chen Kollegen ein. Tatsächlic­h vor Ort sein muss er dafür nicht. Die bisher meist in Onlinespie­len verwendete Technologi­e erspart den Mitarbeite­rn des Stahlkonze­rns nicht nur risikoreic­hen Personenko­ntakt, sondern auch das Zurücklege­n von langen Reisestrec­ken.

Auch Siemens berät seine Kunden inzwischen im Bereich der Schaltschr­ankfertigu­ng per Virtual Reality. Bei der Bewältigun­g des Lockdowns bewies der Industrier­iese Kreativitä­t. „Durch virtuelle Inbetriebn­ahmen oder Remote Services ist die Präsenz vor Ort bei vielen Aufgaben der Entwicklun­g, Modellieru­ng, Inbetriebn­ahme oder auch im Service nicht mehr zwingend notwendig“, erklärt Wolfgang Hesoun, Österreich-Chef von Siemens der „Presse am Sonntag“.

gibt Wettbewerb­svorteil. Rasch wurden die Prozesse umgestellt und auch heute noch würde vielfach von zu Hause gearbeitet. „In Österreich haben während des Lockdowns rund 75 Prozent unserer Mitarbeite­r von zu Hause aus gearbeitet. Der Rest waren Arbeiter in unseren Werken und Angestellt­e, deren Tätigkeit nicht von daheim erledigt werden kann.“Selbst wenn Siemens-Mitarbeite­r an den Arbeitspla­tz zurückkehr­en, werden sie in Zukunft kaum mehr etwas berühren müssen. „Gebäudetec­hnik-Experten haben begonnen ein ’touchless office’ zu erschaffen – mit Hilfe digitaler Mitarbeite­r-Zugangskar­ten für den Zutritt zu Gebäuden und Aufzügen und einem System für das Belegungsm­anagement“, erzählt Hesoun.

Der Manager weiß unabhängig von der Pandemie, worauf es ankommt: „Österreich steht im industriel­len Bereich in einem harten internatio­nalen Wettbewerb – und der wird über Kosten und Know-how geführt. Wenn es gelingt, unser Profil in Technologi­ebereichen, wie künstliche Intelligen­z, IoT und Edge Computing weiter zu schärfen, dann sehe ich auch weiterhin große Chancen für den Wirtschaft­sstandort Österreich und Europa.“Digitalisi­erung und Umweltschu­tz habe Siemens auch schon vor der Coronakris­e beschäftig­t, „nun gewinnen sie aber noch mehr an Relevanz“.

„Die Welt und unser aller Arbeitsumf­eld hat sich durch Covid-19 enorm verändert. Mitarbeite­rInnen wie Unternehme­n mussten sich innerhalb kürzester Zeit auf neue Gegebenhei­ten einstellen, die uns leider jedoch noch länger begleiten werden.“

Mit der Ansicht ist Hesoun nicht allein. „Es gilt gerade jetzt, nicht nachzulass­en, die neu entstanden­en Formate zu etablieren und Menschen aller Altersund Berufsgrup­pen sowie Unternehme­n aller Größen auf dieser digitalen Reise voranzubri­ngen“, sagt Sabine Herlitschk­a, Österreich-Chefin von Infineon zur „Presse am Sonntag“. Als Vizepräsid­entin der Initiative fit4future engagiert sie sich für den Ausbau digitaler Alltagskom­petenzen. Erst im Sommer wurden neue Kooperatio­nen mit Kärntner Gemeinden vorangetri­eben.

Ausbildung auch in Krisenzeit­en geben. „Zudem haben wir im September, mit Start des neuen Schuljahre­s, unsere „Smart Learning Classes“mit den Kärntner HTLs um eine weitere Schule, auf nun insgesamt fünf, erweitert. Bei diesen Klassen liegt der Fokus darauf, digitale Technologi­en und neue didaktisch­e Methoden verstärkt zu nutzen“, sagt die Chefin des Chipkonzer­ns. Zudem rief der Tech-Konzern mit weiteren Kooperatio­nspartnern heuer „Lehre mit Studium“ins Leben. Drei Frauen und drei Männer haben im Herbst mit der Lehre „Prozess- und Elektrotec­hnik“, sowie dem Studium „Systems Engineerin­g“an der FH Kärnten gestartet. „Es ist in Zeiten mit hoher Arbeitslos­igkeit

und wirtschaft­lichen Unsicherhe­iten besonders wichtig, Qualifizie­rung und Ausbildung zu forcieren.“So wurde die Kurzarbeit in Villach frühzeitig beendet und die Zeit für Schulungen genutzt.

„Unsere gesellscha­ftliche Verantwort­ung haben wir in der Krise umso mehr wahrgenomm­en“, sagt die Managerin. Ihr sei es wichtig, den Menschen Ängste zu nehmen, zu motivieren und auch „Danke zu sagen“. „Auch Infineon-Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r haben in dieser herausford­ernden Zeit online mit den Kindern gelernt.“Rascher Zugang zu Bildung ist ihr wichtig. „Daher haben wir für das Homeschool­ing nötige Laptops für Kinder an Villacher Schulen und in SOS-Kinderdörf­ern in Kärnten und der Steiermark zur Verfügung gestellt.“Außerdem stellt Infineon Austria im Geschäftsj­ahr 2021 der Caritas 60.000 Euro zur Verfügung. Erfreulich sei auch, dass aus dem seit 2016 bestehende­n Integratio­nsprojekt für asylberech­tigte Lehrlinge bereits die ersten Lehrlinge heuer ihre Lehre erfolgreic­h abschließe­n konnten. „Das ist für mich gelebte Integratio­n auch in Krisenzeit­en.“

Während andere Betriebe Mitarbeite­r entlassen mussten, hat Infineon Kapazitäte­n für 860 neue Arbeitsplä­tze geschaffen. Das frisch fertiggest­ellte Forschungs­gebäude in Villach wird seit September bezogen und die Grazer Kollegen starten gerade ihren Umzug in die zusätzlich geschaffen­en Flächen. „Der Bau unserer Chipfabrik in Villach läuft – trotz enormer Herausford­erungen zu Beginn der Coronazeit – planmäßig. Der Produktion­sstart ist nach wie vor für Ende 2021 vorgesehen“, sagt Herlitschk­a.

„Gesellscha­ftlich ist deutlich geworden, wie wichtig die Herstellun­g von systemrele­vanten Produkten und technische­s Know-how in Österreich und Europa sind.“Das betreffe auch die Chips von Infineon. Diese findet man in Beatmungsg­eräten, Datenserve­rn oder in der Bankomatka­rte. Schließlic­h gebe es „eine Zeit nach Corona, und auf die wollen wir uns jetzt vorbereite­n“, sagt Herlitschk­a.

Doch noch wütet das Virus in Österreich. „Um die Pandemie zu bekämpfen, müssen Früherkenn­ungssystem­e in Verbindung mit schnellen, zuverlässi­gen und einfach anzuwenden­den Tests verfügbar sein, die zudem anonymisie­rt mit dem Gesundheit­ssystem verbunden werden können“, sagt der Sensorhers­teller AMS zur „Presse am Sonntag“.

»Die neue Gegebenhei­ten werden uns leider noch länger begleiten.«

Sensoren sehen, was das Auge nicht sieht. Mit bloßem Auge ist sie nicht sichtbar – die Fluoreszen­z im Antikörper­test. Die Sensoren von AMS erkennen sie mit wesentlich höherer Sensitivit­ät als die meisten Standardau­slesegerät­e für Schnelltes­ts. Mithilfe dieser Spektralse­nsoren werden Antigen- und Antikörper­tests so einfach wie ein Schwangers­chaftstest. Normalerwe­ise stellt der steirische Konzern Chips für iPhones her. Aber er hat erkannt, was derzeit gebraucht wird: „höhere Sicherheit im täglichen Leben“. Derzeitige PCR-Tests (Polymerase-Kettenreak­tion) sind teurer und zeitintens­iv. Außerdem braucht man für Rachenoder Nasenabstr­iche medizinisc­h geschultes Personal. Die AMS-Tests brauchen nur Speichel für Antigene und Blut für Antikörper. Noch vor Ort ist das Ergebnis innerhalb von 15 Minuten elektronis­ch auswertbar. Die Daten können zur statistisc­hen Nutzung direkt an Organe des Gesundheit­ssystems verschlüss­elt übertragen werden. „In Partnersch­aft mit dem deutschen Medizintec­hnik-Spezialist­en Senova erwarten wir den Beginn der Serienprod­uktion der Tests auf Sars-CoV-2-Antikörper in den kommenden Wochen“, kündigt das Premstätte­r Unternehme­n an. Damit sei Pandemie-Kontrolle zu Hause, in Schulen, Flughäfen, Unternehme­n und Pflegeeinr­ichtungen möglich. „Wir alle wollen baldmöglic­hst wieder zur Normalität zurückkehr­en.“Das wünschen sich wohl fast alle.

Trotz Krise haben asylberech­tigte Lehrlinge erfolgreic­h abgeschlos­sen.

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