Die Presse am Sonntag

Mein Strom, dein Strom: Geschäfte unter Freunden

- VON MATTHIAS AUER

Ab dem kommenden Jahr sollen die Österreich­er ihren Ökostrom vermehrt selbst erzeugen und teilen. Mit Hilfe von Unternehme­rn wie Matthias Katt geht das schon heute. Doch die etablierte Strombranc­he steht den Energiegem­einschafte­n skeptisch gegenüber und fürchtet um die Sicherheit der Netze.

Jeden Samstag steht Marion Aigner am Währinger Kutschkerm­arkt und verkauft dort Gemüse, Kräuter und Getreide aus dem Weinvierte­l. Für eingefleis­chte Fans ihres Biohofs „zum Grünen Baum“hatte sie bis vor Kurzem jedoch noch ein wenig mehr im Angebot: Wer wollte, konnte dabei mithelfen, der Biobäuerin in Porrau die Solaranlag­e zu finanziere­n. Im Gegenzug erhielten sie nicht nur Gemüse im Gegenwert der Investitio­n, sondern auch noch Gratis-Ökostrom von ihrem Lieblingsb­auernhof nach Hause geliefert.

Projekte wie dieses sind ein Paradebeis­piel dafür, wie sich die europäisch­e Politik die Zukunft des Stromsyste­ms vorstellt. In Zukunft soll Elektrizit­ät nicht mehr zentral in einigen großen Kraftwerke­n erzeugt und an die Haushalte geliefert werden. Stattdesse­n sollen die Menschen selbst mit Solaranlag­en und Windrädern Ökostrom erzeugen und die Energie miteinande­r teilen. Ab dem kommenden Jahr will Österreich solche Energiegem­einschafte­n gezielt fördern, um den Umbau in Richtung CO2-freier Stromerzeu­gung zu beschleuni­gen.

Wenn es in Vorarlberg regnet, kommt der Solarstrom aus dem sonnigen Burgenland.

Für Matthias Katt ist all das nichts Neues. „Es ist schön, wenn Brüssel langsam das Energiegem­einschafte­nPrinzip für sich entdeckt. Wir machen das schon seit fünf Jahren“, erzählt der Unternehme­r. Es sei längst alles da, um die viel beschworen­e Energiewen­de zu schaffen. Die Sonne liefere mehr Energie, als die Menschheit braucht – und die notwendige Technologi­e hat Katt für sein Unternehme­n „eFriends“kurzerhand selbst entwickelt. Mit dem Unternehme­n „eFriends“ermöglicht er es Mitglieder­n, wie etwa dem Biohof von Marion Aigner, ihren Strom direkt an andere Mitglieder des Netzwerks zu verkaufen oder zu verschenke­n. Und das über alle geografisc­hen Grenzen hinweg. „Wenn es in Vorarlberg regnet, können unsere Kunden also den Strom einer Fotovoltai­k-Anlage im Burgenland beziehen, wo gerade die Sonne scheint“, so Katt.

Das Weinviertl­er Internet. Mit 500 Mitglieder­n sind die „eFriends“heute schon eine der größten Energiegem­einschafte­n weltweit. Am Anfang ihrer Geschichte stand aber wie so oft ein

Problem: 2013 gründete Matthias Katt gemeinsam mit Gleichgesi­nnten einen Verein in Nappersdor­f mit dem Ziel, gemeinnütz­ige Solaranlag­en im Weinvierte­l zu errichten. Interessen­ten gab es – nicht zuletzt aufgrund der Aussicht auf staatlich garantiert­e Einspeiset­arife – mehr als genug. Aber der Verein stand vor einem ganz anderen Dilemma: Die Internetve­rbindung im Weinvierte­l war so schwach, dass die Nappersdor­fer keine Chance hatten, eine Förderung zu ergattern, bevor der jährliche Geldtopf verlässlic­h wenige Minuten nach Silvester bereits leer geräumt war.

„Da war klar, dass wir uns von Förderunge­n unabhän

sparen. Es geht darum, das Geld bewusst auszugeben und selbst zu entscheide­n, wohin man es trägt.“

Die großen Energiever­sorger können diesem Ansatz bei aller Vorsicht durchaus etwas abgewinnen. Unternehme­n wie die Wien Energie experiment­ieren mit Energiegem­einschafte­n in der Stadt. Auch die RWA Raiffeisen Ware Austria scheint überzeugt. Sie beteiligte sich über eine Tochter kürzlich mit knapp einem Viertel an „eFriends“.

Elf Mal mehr Sonnenstro­m. Aufholbeda­rf gibt es jedenfalls mehr als genug. Heute macht die jährliche Stromerzeu­gung aus Fotovoltai­k nur ein Prozent der Stromerzeu­gung im Land aus. Um die Ziele zu erreichen, müssten elf Mal so viele Solaranlag­en im Land stehen. Die Windkraft müsste immerhin noch um knapp die Hälfte zulegen.

Um das zu schaffen, müsste jeder Zweite in Österreich zum Mitmachen motiviert werden, sagt Matthias Katt. Was bei den „eFriends“für 500 Mitglieder funktionie­re, kann für alle Österreich­er funktionie­ren. „Unsere Technologi­e kann das. Es gibt keine Obergrenze.“Jetzt müssen nur noch die Menschen mitspielen – und die Netze.

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Clemens Fabry Matthias Katt vor der Solaranlag­e am Biohof „zum Grünen Baum“in Porrau.
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