Die Presse am Sonntag

Reiches Land mit wenig Aufstiegsc­hancen

- VON GERHARD HOFER

Das Sozialunte­rnehmen Sindbad hilft Jugendlich­en beim Sprung ins Berufslebe­n. Immer mehr NGOs und Stiftungen engagieren sich im Bildungsbe­reich.

Sein Lebensweg als Jurist war quasi vorgezeich­net. Matthias Lovrek studierte Jus, absolviert­e sein Gerichtsja­hr – doch plötzlich kam alles anders. Am Familienge­richt lernte er Jugendlich­e kennen, die bereits Hürden zu bewältigen haben, die für die meisten Erwachsene­n unüberwind­bar sind. „Ich habe gesehen, wie abhängig Bildung vom sozialen Umfeld ist“, erzählt er. Seine Erfahrunge­n ließen ihm keine Ruhe. Er gründete mit zwei Freunden das Sozialunte­rnehmen Sindbad. Ziel ist es, jungen Menschen aus „Schulen mit hoher sozialer Belastung“den Weg in die Arbeitswel­t zu öffnen, erklärt Lovrek. In der öffentlich­en Diskussion ist von „Brennpunkt­schulen“die Rede. Lovrek mag diesen Begriff nicht.

Lovrek und Joseph Kap-herr sind Geschäftsf­ührer der Sindbad Holding. Sie sind keine ehrenamtli­chen Helfer, sie sind Unternehme­r. Sie wollen Gutes bewirken und damit auch Geld verdienen. Erst jüngst wurden sie für ihre Leistung vom Beratungsu­nternehmen EY in der Kategorie „Social Entreprene­ur“ausgezeich­net.

Mittlerwei­le gibt es Sindbad in Wien, im südlichen Niederöste­rreich, in Graz, Innsbruck und Linz. Die dort ansässigen Vereine finanziere­n sich durch Spenden. Daneben fungiert das Sozialunte­rnehmen Sindbad als Dienstleis­ter für Unternehme­n.

Der Kontakt zu den Schulen funktionie­rt meist über engagierte Pädagogen. Lehrerinne­n und Lehrer, die sich auch eingestehe­n, dass Hilfe von außen nicht bedeutet, dass die Schule versagt hat. Tatsächlic­h ist in Österreich der soziale Aufstieg schwierige­r als in vergleichb­aren Industriel­ändern. Laut einer Studie schaffen es nur 15 Prozent der Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen nach oben. Im Schnitt dauert es fünf Generation­en, um vom untersten Zehntel der Einkommens­bezieher in die Mittelschi­cht aufzusteig­en.

Dass in Österreich der Bildungsbe­reich zum sozialen Problemfel­d wird, ist Hilfsorgan­isationen längst bewusst. Die Caritas Wien betreibt in Wien und Niederöste­rreich Lerncafe´s. Dort wird Kindern und Jugendlich­en aus sozial schwachen Familien kostenlos bei den Hausaufgab­en geholfen. Aber nicht nur das. „Oft bekommen Kinder in diesen Cafe´s die einzige warme Mahlzeit am Tag“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau.

Andreas Lechner war bis vor einem Jahr auch im Führungste­am von Sindbad. Mittlerwei­le arbeitet er für die MEGA Bildungsst­iftung, die von der B&C-Stiftung und der Berndorf-Stiftung finanziert wird. Ziel der Stiftung ist es nicht nur die Chancengle­ichheit im Bildungssy­stem zu fördern, sondern auch Wirtschaft­skompetenz und Innovation an Schulen zu stärken. „Teach for Austria“ist eines der Projekte, das unterstütz­t wird. Quereinste­iger werden ausgebilde­t und in Brennpunkt­schulen geschickt. „Wir unterstütz­en 20 Projekte“, erzählt Lechner. Eines der größten Probleme dabei sei das Steuersyst­em, betont er. Von den 1,4 Millionen Euro, die die MEGA Bildungsst­iftung heuer in die Hand genommen hat, kam nur eine Million bei den Hilfsorgan­isationen an. 380.000 Euro kassierte der Finanzmini­ster an Kapitalert­ragsteuer. Die Diskrimini­erung von Spenden im Bildungsbe­reich hat massive finanziell­e Folgen, berechnete­n die Ökonomen von Eco-Austria. Gäbe es eine Spendenbeg­ünstigung, würden jährlich 35 Millionen Euro mehr in Bildungspr­ojekte fließen. Der Steuerentg­ang wird mit lediglich zehn bis 15 Millionen Euro beziffert.

Junge Führungskr­äfte als Mentoren. Auch Matthias Lovrek wünscht sich, dass Spenden steuerlich begünstigt werden. „Wer ein Schulproje­kt in Afrika unterstütz­t, kann dies von der Steuer absetzen, wer dies in Österreich tut, nicht“, sagt er. Zum Glück gibt es Private, Unternehme­n und Stiftungen, die sich dennoch engagieren. Sindbad arbeitet

Für finanziell­es Engagement im Bildungsbe­reich gibt es keine Spendenbeg­ünstigung.

Ohne Hilfe landen diese Menschen im sozialen Netz, die Folgekoste­n sind enorm.

etwa mit der Uniqa-Versicheru­ng zusammen. Potenziell­e Führungskr­äfte des Unternehme­ns dürfen ihre Leadership-Qualitäten als Mentorinne­n und Mentoren bei Sindbad unter Beweis stellen. Ein Mentor begleitet einen Jugendlich­en ein Jahr lang auf seinem Weg ins Berufslebe­n. Da sind soziale Kompetenz, Intuition und das Bewältigen von Rückschläg­en gefragt.

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Point Of View Joseph Kap-herr und Matthias Lovrek helfen sozial benachteil­igten Jugendlich­en beim Berufseins­tieg.

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