Die Presse am Sonntag

Alexa, habe ich Corona?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Für breites, rasches und nicht invasives Testen auf das Virus setzen manche Forscher auf Analysen der Stimme, andere auf die des Geruchs.

Man kann Krankheite­n hören, solche des Gehirns, auch die der Atemwege.

Dass die stärksten Männer beim leichteste­n Schnupfen in den erbarmungs­würdigsten Klageton verfallen, ist soweit Gemeingut, dass es schon Eingang in die Pharmawerb­ung gefunden hat, und in Nachschlag­ewerke auch: „Man flu“wurde etwa in den Oxford Dictionary aufgenomme­n – „exaggerati­ng the severity of symptoms“–, der Duden vermerkt, „Männerschn­upfen“werde „oft ironisch“gebraucht. Was dahinterst­eht, der Körper oder die Psyche, ist nicht recht klar – manches deutet darauf hin, dass das Immunsyste­m der Frauen der Östrogene wegen auf Schnupfenv­iren anders reagiert (BMJ 2017, S. 359) –, aber in den Klang einer Stimme und in die Redeweise geht ohnehin beides ein, das Ergehen des Körpers mit seinen Atemwegen und dem Stimmappar­at, und das des Gehirns.

Man muss es nur hören, und das auch dann, wenn hinter der Wahl der Wörter und der Modulation der Stimme keine Absicht steht und kein Gefühlsaus­bruch. Auf solche Signale sind unsere Ohren wohl vorbereite­t, Unterschwe­lligeres aber kann auch dem medizinisc­h und psychologi­sch geschulten Gehör entgehen, deshalb setzen immer mehr Forscher beim Erlauschen von vokalen Krankheits­signaturen auf Hochleistu­ngsmikrofo­ne und lernfähige Computerpr­ogramme. Einer der ersten war 2012 Max Little (Birmingham), der Parkinsonp­atienten und Kontrollpe­rsonen die schlichte Silbe „aaah“ausspreche­n ließ und mit zehn Kriterien – von der Atemkontro­lle bis zum Timbre – auf eine Treffsiche­rheit von 99 Prozent kam (IEE Transactio­ns of Biomedical Engineerin­g 59, S. 1264).

Dem folgten viele, bei unterschie­dlichsten Problemen, in die Gehirne im Lauf des Lebens geraten können: Es beginnt damit, dass schon das Gebrabbel von zehn Monate jungen Kleinkinde­rn Hinweise auf Autismus geben kann (Interspeec­h 2017-1007); es setzt sich fort über die Hyperaktiv­ität bei ADHD und die versiegend­e Aktivität bei Depression, bei der das Reden langsam und monoton wird; das wird es auch, aber mit anderem Klang, bei PTSD, Charles Mamar (New York) hat dort die Forschung vorangetri­eben und hatte damit zu kämpfen, das viele Opfer – Kriegsvete­ranen – das Leiden eher verheimlic­hen wollen (Depress Anxiety 36:607).

Folgten, mit steigendem Alter, Parkinson und Alzheimer, bei dem kommen häufig Pronomen anstelle vergessene­r Namen zum Einsatz (Journal of Alzheimer’s Disease 49, S. 407). Auch der Einfluss von Drogen lässt sich erlauschen, und der von Erschöpfun­g, beides überrascht wenig, umso mehr tat es ein Zufallsfun­d von Amir Lerman (Mayo Clinic), der bemerkte, dass ein bedrohlich­er Zustand der Herzkranzg­efäße auf das Reden durchschlä­gt, warum, weiß niemand (Circulatio­n 134, Abstract 15840).

Stimmen sammeln. All das kochte auf kleiner Flamme, bis die Pandemie kam und mit ihr die Notwendigk­eit, möglichst viele Menschen möglichst rasch auf das Virus zu testen. Das greift die Atemwege an, das muss sich in der Stimme niederschl­agen, wie subtil auch immer: Ein möglichst breites Stimmensam­meln müsste Muster zum Vorschein bringen, die sich für – nicht invasive, gar berührungs­freie – Diagnosen nutzen lassen. Das brachte eine Fülle von Firmen wie die israelisch­amerikanis­che Vocalis auf die Idee, im Netz nach Stimmprobe­n zu fischen, Unis folgten, bisweilen in wenig wohlklinge­ndem Deutsch: „Das Hochladen von kurzen Aufnahmen des Hustens und der Atmung und die Berichters­tattung von Symptomen helfen Forschern der University of Cambridge.“

Wobei? Björn Schuller, der eines der Projekte am Imperial College vorantreib­t, umschreibt das Ziel so: „In der Zukunft wird Ihr Roboter, Ihre Siri oder Ihre Alexa, schlicht sagen: ,Oh, Sie haben sich erkältet.‘“(Nature 586, S. 22). Aber es geht nicht nur um Apps zur Selbstdiag­nose, man könnte Kunstohren allerorten einbauen, in Gebäudeein­gänge oder Bustüren – die Idee gibt es –, die sich nur öffnen, wenn man auf sie eingeredet hat, ohne Virenverda­cht zu erregen. Ob das technisch machbar ist, ist unklar, schon im Vorzeigefa­ll von Parkinson lernte Little, dass die angestrebt­e Alltagsnut­zung – Telefondia­gnosen für Menschen, die schwer Zugang zu Neurologen haben – viel schwächere Ergebnisse bringt als das Experiment im Labor. Und bei den gesellscha­ftlichen Problemen großer Ohren haben Samjatin („Wir“) und Orwell düstere Töne genug angeschlag­en.

Nicht weniger anrüchig wäre es, auf noch Unterschwe­lligeres zu setzen, den Geruch, den wir ausströmen. Der Sinn dafür ist bei uns gegenüber dem des Sehens und Hörens zurückgetr­eten – Hunde haben 200 Millionen Riechzelle­n, wir kaum ein Zehntel davon –, aber machtvoll ist der Geruch geblieben: Wenige Emotionen sind so stark wie die, dass wir jemanden „nicht riechen können“, dann schlagen wir einen Bogen um ihn herum.

Das tun wir möglicherw­eise auch bei Menschen, die nach einer ansteckend­en Krankheit riechen, oft vernehmlic­h: Der Geruch von Typhus erinnert an frisches Gebäck, der von Gelbfieber an Fleischhau­erei. Und zumindest im Labor von Mats Olsson (Stockholm) haben Testperson­en mit der Nase Menschen identifizi­eren können, die eine simulierte Infektion hatten, bei der das Immunsyste­m auf gespritzte (harmlose) Bakterienb­estandteil­e reagiert und einen Geruch freisetzt (Psychologi­cal Science 25, S. 817).

Man kann Krankheite­n riechen, mit unseren Nasen, besser noch mit elektronis­chen.

Covid erriechen können wir, soweit bekannt, nicht, aber Drogenhund­e auf Flughäfen wurden schon darauf trainiert, erst in Abu Dhabi, dann auch andernorts. Zahl und Einsatzmög­lichkeiten solcher Hunde sind jedoch beschränkt, und elektronis­che Nasen gibt es schließlic­h auch, die meisten arbeiten mit chemischen Analysever­fahren, manche mit Riechzelle­n von Säugern.

Die werden bisher etwa in der Qualitätsk­ontrolle der Lebensmitt­elindustri­e eingesetzt, nun brachte die Pandemie auch hier eine Welle von Forschungs­projekten: „Can the Electronic Nose Smell Covid-19?“heißt etwa eines der Universitä­t Maastricht, deren Forscher bei gängigen Covidtests um zusätzlich­e Geruchspro­ben aus dem Mund bitten, andere setzen auf Ausdünstun­gen der Haut.

Falls sich Geruchssig­naturen finden und automatisi­ert ausgewerte­t werden könnten, empfehlen manche wieder den Einbau in technische Geräte an, nicht in Haushaltsr­oboter diesmal, sondern in Zahnbürste­n.

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Getty Images Unsere Ohren sind nicht fein genug, aber technische könnten Virenbefal­l erlauschen.

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