Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Dass es um die Biodiversi­tät nicht gut bestellt ist, ist bekannt. Neu ist indes die Erkenntnis, dass veränderte Bewirtscha­ftungsmeth­oden im Grünland das Hauptprobl­em sind.

Alle fünf Jahre erhebt die Europäisch­e Umweltagen­tur EEA den Zustand der Natur in Europa. Diese Woche wurden die aktuellen Zahlen veröffentl­icht – und wie zu erwarten war, ist es um die Vielfalt von Arten und Lebensräum­en gar nicht gut bestellt: Nur 15 Prozent aller Habitate und rund 25 Prozent aller Pflanzen- und Tierarten befinden sich demnach in einem guten Zustand. In manchen Bereichen habe es zwar Fortschrit­te gegeben – gezielte Schutzmaßn­ahmen zahlen sich aus! Doch diese seien nicht ausreichen­d gewesen, um die Ziele der Biodiversi­tätsstrate­gie 2020 zu erreichen, stellt die Behörde unmissvers­tändlich fest (www.eea.europa.eu). Österreich liegt beim Erhaltungs­zustand von Arten und Lebensräum­en im hinteren Feld.

Die Liste der Belastungs­faktoren ist keine Überraschu­ng: Die größten Problemfel­der sind die Landwirtsc­haft, gefolgt von Urbanisier­ung (Flächenver­brauch) und Forstwirts­chaft. Weitere wichtige Ursachen für das Sinken der Biodiversi­tät sind Eingriffe in den Wasserhaus­halt, Umweltvers­chmutzung, invasive Arten und der Klimawande­l.

So weit, so bekannt. In dem Bericht werden diese Bereiche nun aber weiter aufgeschlü­sselt und bewertet – und das Ergebnis ist überrasche­nd: Anders als man vermuten würde, sind in der Landwirtsc­haft nicht etwa der Einsatz von Pestiziden, das Trockenleg­en feuchter Wiesen oder die Entfernung von kleinteili­gen Landschaft­selementen (wie etwa Hecken oder Gstätten) die Hauptprobl­eme, sondern das Aufgeben von traditione­llen Methoden der Grünland-Bewirtscha­ftung. Das ist insofern sehr spannend, als dass Wiesen keine urwüchsige Natur sind, sondern vom Menschen über Jahrtausen­de (durch Roden von Wäldern und Bewirtscha­ftung) geschaffen wurden; und dennoch bilden sie extrem artenreich­e Lebensgeme­inschaften – noch artenreich­er als viele Naturlands­chaften.

Um die Heuernte zu steigern, werden indes heute immer mehr Wiesen gedüngt und öfter im Jahr gemäht. Die Intensivie­rung begünstigt schnellwüc­hsige Pflanzenar­ten, die eine Vielzahl an Gräsern, Blumen und Kräutern einfach überwucher­n. Diese verschwind­en dadurch sukzessive aus der Landschaft, und mit ihnen die oft hoch spezialisi­erten tierischen Nutzer dieser Arten.

Es wäre also gar nicht so schwer, die Artenvielf­alt deutlich zu stützen. Viel wäre gewonnen, würden wir uns auf das traditione­lle Wissen besinnen, wie der Mensch über Jahrhunder­te mit der von ihm geschaffen­en Kulturland­schaft umgegangen ist.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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