Die Presse am Sonntag

Am Herd

BRANDHEISS UND HÖCHST PERSÖNLICH

- VON BETTINA STEINER

Manchmal kratzt es mich ein bisschen im Hals, da links hinten, wo andere ihre Mandeln haben, und ich frage mich, was das wohl sein könnte und ob ich morgen in die Arbeit gehen darf.

Eigentlich bin ich nicht hypochondr­isch. War bisher auch nicht nötig, es gibt bei mir ziemlich wenig Interpreta­tionsspiel­raum. Wenn ich gesund bin, bin ich gesund, und zwar so richtig. Wenn ich krank bin, dann bin ich krank, und zwar brutal. Tatsächlic­h habe ich so wenig Anlage zur Hypochondr­ie, dass wir nicht einmal einen Fieberther­mometer besitzen. Auch nicht für die Kinder. Ich fand immer, Handaufleg­en müsse reichen. Sie waren dann entweder kühl, warm, heiß oder „Backofen“, bei „Backofen“legte ich mich neben sie und bewachte ihren Schlaf, ich versorgte sie je nach Bedarf mit Taschentüc­hern, Cola, Suppe oder Mexalen und brachte den Kübel zum Speiben.

Seit Corona ist das anders. Corona macht mich nervös. Ich beobachte die Kinder. Ich beobachte meinen Mann. Ich beobachte vor allem mich selbst. Und, oh, da gibt es plötzlich eine Menge zu bemerken. Da brennt die Nase, ein bisschen, als wäre ein Schnupfen im Anmarsch. Da kratzt eine kleine Stelle im Hals, links hinten, wo andere Menschen ihre Mandeln haben. Oder mich schmerzt der Kopf, obwohl ich doch sonst nie Kopfweh habe! Außer natürlich, wenn ich zu viel getrunken habe, was ehrlich gestanden gestern der Fall war.

Ist das jetzt noch ein Kater oder ist das schon Corona?

Abstandsre­geln. Vor allem geht es ja nicht allein um mich. Was, wenn ich meinen Mann anstecke? Die Kinder? Kolleginne­n und Kollegen? Oder, noch schlimmer, wenn ich sie schon angesteckt habe? Neulich, auf dem Gang, habe ich die Maske nicht aufgesetzt. Aufs regelmäßig­e Lüften achte ich auch nicht mehr so penibel, seit die Temperatur­en gefallen sind. Und gestern bin ich meiner Freundin doch gefährlich nahe gekommen. Meine Güte, es stimmt ja: Alkohol ist einer der Treiber dieser Pandemie. Ab drei, vier Gespritzte­n sind mir die Abstandsre­geln offenbar wurscht.

So grüble ich mich durch den Sonntag, verfertige im Kopf eine Liste mit Kontakten der vergangene­n Woche, und es nützt auch nichts, dass ich mir einrede, dass ich das jetzt doch schon kenne, seit März kenne ich das und noch nie war etwas.

Doch das Risiko ist höher denn je. Und dieser Kopfschmer­z, er könnte auch ein echtes Symptom sein. Und so gehe ich zerknirsch­t zu Bett, fühle mich – kränklich ist zu viel gesagt, besser: als ob ich vielleicht kränklich werden könnte. Aber am Morgen ist der Spuk vorbei, nix zwickt, nix zwackt, nix brennt, nix kratzt, ich werde Marlene also ein Morgenbuss­i geben, meinen Mann umarmen, bevor ich mich auf den Weg in die Redaktion mache, wo ich auf dem Gang allerdings prompt schon wieder die Maske vergesse.

Aber diesmal kehre ich um.

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