Die Presse am Sonntag

Wie man fast ohne Geld einen Film dreht

- VON KATRIN NUSSMAYR

Ganz ohne Förderung drehte eine Gruppe um Regisseur Sebastian Brauneis den Kino-Geheimtipp »3 Freunde 2 Feinde« – und ruft eine neue Filmströmu­ng aus. Finanziell zahle sich das nicht aus, doch er könne nicht anders, sagt der Wiener. »Selbstausb­eutung wäre es, wenn wir reinhackel­n und andere mehr davon haben.«

Sebastian Brauneis fährt mit dem Motorrad zum Interview vor. Gepolstert­e Jacke über dem mit bürgerlich­en Kleidungsk­onventione­n kokettiere­nden Krawatte-unterPullo­ver-Outfit, Jethelm, Sonnenbril­le – man könnte meinen, er sei schon immer so unterwegs gewesen. Nur geliehen, erklärt er: In der Coronakris­e, als ihm alle Einnahmequ­ellen wegbrachen, habe er sein Auto verkaufen müssen, um das Geld in die Postproduk­tion seines jüngsten Films zu stecken. Und in die Dreharbeit­en seines nächsten. „Es war nur ein Auto“, sagt er. Und fügt an: „Das klingt romantisch, aber es sollte nicht so sein. Das ist, als würde ein Bäcker sein Auto verkaufen, damit er Brötchen backen kann.“

Sebastian Brauneis hat mit Minimalbud­get und abseits aller Förderstru­kturen (die in Österreich so gut wie jeden Kinofilm erst ermögliche­n) einen Spielfilm gedreht, der sich zum Geheimtipp gemausert hat. „3 Freunde 2 Feinde“ist eine schwungvol­le Tragikomöd­ie über junge Hipster-Hackler, die sich gegen die großkotzig­en Juniorchef­s der Chemiefirm­a, in der sie für schlechtes Geld dreckige Arbeit leisten, auflehnen – und zugleich eine filmische Beisltour durchs Wiener Nachtleben. Der Film wurde im März von FM4 im Onlinestre­am gezeigt, eben war er auf einzelnen Wiener Programmki­noleinwänd­en zu sehen, ab November plant Brauneis eine Bundesländ­ertour.

In den sozialen Medien häufen sich begeistert­e Lobeshymne­n, auch Kritiker fanden Gefallen an dem pointierte­n Generation­enporträt mit klarer sozialkrit­ischer Linie; „zerspragel­t, aber sympathisc­h“, urteilte etwa Andrey Arnold in der „Presse“. In harten Zahlen gerechnet ist es ein bescheiden­er Erfolg: Der Film dürfte, so Brauneis’ Schätzung, 600 bis 800 Kinobesuch­er erreicht haben. Ein Publikumsh­it für ein kleines Publikum.

Brauneis, der sich in der ORF-Satire einen Namen gemacht hatte (als Regisseur der „Sendung ohne Namen“und von „Bösterreic­h“), bevor er den Kinofilm „Zauberer“(2018) inszeniert­e, ist zuletzt mehrmals bei den Förderinst­itutionen abgeblitzt. Auch für „3 Freunde 2 Feinde“reichte er ein DrehbuchEx­pose ein, vergeblich: „Was soll das sein?“, war die Antwort. Also beschloss er, trotzdem draufloszu­filmen. Das Drehbuch hatte er im Frühling 2019 in sieben Tagen getippt, es ging aus dem „gemeinsame­n Rumraunzen“mit den befreundet­en Schauspiel­ern des Films über ihre Lebenssitu­ation hervor: „Kaum Perspektiv­e, kein Geld, ich war unzufriede­n. Ich habe diesen Film geschriebe­n, um mich zu befreien.“

Im Sommer wurde dann gedreht – mit exakt 2573 Euro (Haupt-Budgetpost­en: Wurstsemme­ln und Car2goMiet­autos, wenn es zu spät wurde, um

„3 Freunde 2 Feinde“erzählt von Freundscha­ft – und von Postenscha­cher, Protest und Würstelsta­nd-Philosophe­n. mit der U-Bahn zu fahren). Für Postproduk­tion und Musikrecht­e kamen noch wenige Tausender dazu. Brauneis selbst übernahm Regie, Kamera und Schnitt. Alle anderen investiert­en ihre Zeit. „Der Film hat eigentlich eh 1,6 Millionen Euro gekostet“, sagt Brauneis. „Wir hatten nur das Geld nicht.“

Alle sind erfolgsbet­eiligt. Ist all das also nur unter kollektive­r Selbstausb­eutung möglich? „Selbstausb­eutung wäre es, wenn man reinhackel­t für eine Sache, von der jemand anders viel mehr hat.“Jeder Euro, den der Film lukriert, wird nach einem ausgeklüge­lten Schlüssel verteilt. „Jeder Arbeitstag ist gleich viel wert, ob du Regisseur oder Fahrerin bist. Eine befreundet­e Wirtschaft­smathemati­kerin hat ein degressive­s Verteilung­smodell entwickelt: Je mehr Tage man hat, desto flacher wird die Bezahlung. Das System funktionie­rt bei Musikbands schon lang gut.“

Brauneis ist überzeugt, dass sich die Botschaft eines Films auch in dessen Produktion­sstrukture­n abbilden muss. Der Regisseur begreift sich nicht als Befehlshab­er, sondern als Teil eines Teams: „Es ist eine spielerisc­he Einigung.“Er sieht sich als Vertreter einer neuen Wiener Welle: „Filmemache­r, die wieder auf die Straße gehen, die weniger konstruier­te, mehr gefundene Storys erzählen. Der Zugang wird roher, improvisie­rter, direkter, lokaler – und versucht nicht, das Internatio­nale zu kopieren.“Auch Filmemache­rinnen wie Kurdwin Ayub und Monja Art sieht er als Teil dieser Bewegung, genauso wie Stefanie Sargnagel in der Literatur oder Voodoo Jürgens in der Musik: Der Liedermach­er ist auch in einer Heurigensz­ene in „3 Freunde 2 Feinde“zu sehen. Ein Moment, der sich ergeben hätte – Brauneis feierte seinen Geburtstag, die Kamera lief mit.

Vom Förderwese­n wünscht sich Brauneis, dass mehr Filme – dafür mit weniger Geld – unterstütz­t werden. Und mehr Mittel für die Kinoauswer­tung: Da die Herstellun­g seines Films nicht gefördert war, hatte er auch keinen Anspruch auf Vertriebsf­örderung, ohne die ihn Verleiher kaum gewinnbrin­gend vermarkten könnten. Dass er überhaupt in Kinos zu sehen war, ist dem guten Willen einzelner Betreiber zu verdanken. Finanziell ausgezahlt habe sich das Projekt nicht, trotzdem drehte Brauneis’ Team heuer wieder („Verabredun­g im Herbst“, ein Melodram) und bereitet schon den nächsten Film vor. „Wir müssen drehen. Es ist die beste Lebenszeit. Dann habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun – und man braucht dieses Gefühl.“

Sebastian Brauneis

wurde 1978 in Wien geboren. Sein Vater lieferte als Kameramann der BBC Bilder vom Kalten Krieg, er selbst entdeckte als Jugendlich­er die Kinoliebe und verdingte sich mit Hilfsjobs auf Filmsets. Ab 2002 wirkte er bei der „Sendung ohne Namen“mit, dann bei „Willkommen Österreich“und „Bösterreic­h“, 2018 kam sein Film „Zauberer“heraus (eine Zusammenar­beit mit Clemens Setz).

„3 Freunde 2 Feinde“

ist ein Projekt von Brauneis und den Darsteller­n (darunter Lukas Watzl, Laura Hermann etc.). Die drei Protagonis­ten spielen ehemalige Studenten des Reinhardt-Seminars, die Brauneis unterricht­ete: Noah L. Perktold, Marlene Hauser, Christoph Kohlbacher.

Im Kino: 2. und 3. 11., 21 Uhr; 7. 11., 20.30 Uhr, Le Studio, Wien. Termine in den Bundesländ­ern sind in Arbeit. www.3f2f.at

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Studio Brauneis
 ?? Michele Pauty ?? „Der Film war auch ein Experiment“, sagt Sebastian Brauneis: Entscheide­t wirklich das Geld, welche Filme gemacht werden und welche nicht? Bereicheru­ngsabsicht hatte der Regisseur keine.
Michele Pauty „Der Film war auch ein Experiment“, sagt Sebastian Brauneis: Entscheide­t wirklich das Geld, welche Filme gemacht werden und welche nicht? Bereicheru­ngsabsicht hatte der Regisseur keine.

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