Die Presse am Sonntag

»Ihr wisst selbst, was zu tun ist«

- VON THOMAS RIEGLER

Vor 60 Jahren traf sich der damalige Außenminis­ter, mit Angehörige­n des Befreiungs­ausschusse­s für Südtirol (BAS), der schon bald Attentate in Italien begehen sollte. Wie der spätere Bundeskanz­ler direkt und indirekt in den Südtirol-Konflikt eingriff.

Ein Außenminis­ter trifft Anführer einer Untergrund­bewegung, die gerade dabei ist, Sprengstof­fattentate im benachbart­en Ausland vorzuberei­ten. Genau das hat Bruno Kreisky vor 60 Jahren während des Südtirol-Konflikts getan. Denn Kreisky hegte eine fast schwärmeri­sche Begeisteru­ng für Heimatlose und Guerillas, gleich ob es sich um die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on (PLO), die marokkanis­che Polisario oder die Sandiniste­n in Nicaragua handelte. Das war zu einem Gutteil Kreiskys persönlich­er Erfahrung von Widerstand, Gefangensc­haft und Exil geschuldet.

Als Erstes schrieb er sich die Sache Südtirols auf die Fahnen. Das war auch innenpolit­isch motiviert. So konnte Kreisky für die SPÖ ein konservati­ves Thema besetzen, das sich mit einem damals im Aufwind befindlich­en Österreich-Bewusstsei­n verband. Seit 1959 im Amt, erklärte Kreisky Südtirol also zum Thema Nummer eins der österreich­ischen Außenpolit­ik und trug schon bald den Beinamen „Minister für das Äußerste“. Sein Ziel war Selbstbest­immung für die deutschspr­achigen Südtiroler im Rahmen einer echten Landesauto­nomie. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich Österreich und Italien eigentlich auf eine solche Autonomie verständig­t. Doch die Umsetzung wurde verschlepp­t. Der 1958 gegründete Befreiungs­ausschuss Südtirol (BAS) protestier­te zunächst mit zivilem Ungehorsam. Anfang 1959 kam man aber zur Ansicht, dass nur gewaltsame Mittel Erfolg haben würden.

Kreisky war über den BAS und dessen Absichten im Bilde. Ein Netzwerk – darunter der aus Tirol stammende Chef des Wiener Staatspoli­zeilichen Büros, Oswald Peterlunge­r – hielt ihn auf dem Laufenden. Wichtigste­r Informatio­nsbeschaff­er war der Nordtirole­r SPÖ-Landesrat Rupert Zechtl. Dieser schrieb am 8. September 1959, wenige Wochen nach Kreiskys Amtsantrit­t: „Lieber Freund! Möchte Dich über eine in Südtirol bestehende Untergrund­bewegung, die sich BAS (Befreiungs­ausschuss für Südtirol) nennt, informiere­n. Der Befreiungs­ausschuss für Südtirol besteht aus einer Anzahl von Südtiroler­n, die sich durch gegenseiti­ge Eidesleist­ung

Thomas Riegler

Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm: „Österreich­s geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre. Über Österreich­s Nachrichte­ndienste seit 1945.“

verpflicht­et haben, für die Freiheit Südtirols bis zur letzten Konsequenz einzutrete­n.“

Schon bald war der Wunsch da, die BAS-Leute persönlich kennenzule­rnen: Im Jänner 1960 kam es in Kreiskys Amtsräumen zu einem ersten Treffen mit dem führenden BAS-Mann Georg Klotz. Die Staatspoli­zei vermerkte lapidar: „Im Verlaufe der Unterhaltu­ng soll auch die Lage in Südtirol zur Sprache gekommen sein, die von Klotz dargelegt wurde.“Zehn Monate später, am 27. November, hatte Kreisky erneut Gäste aus Südtirol: Neben Karl Titscher und Jörg Pircher kam der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaum­er, in die Privatwohn­ung Kreiskys in der Döblinger Armbruster­gasse. Am Abend bat Kreisky in den Heurigen Poldi Kurz, wo sich heute die Residenz der Botschaft Namibias befindet. Zu der abendliche­n Runde stießen einige der wichtigste­n Verbindung­sleute des BAS in Österreich dazu. Darunter waren der spätere ORF-Generaldir­ektor Gerd Bacher sowie der Verleger Fritz Molden.

So konnte Bruno Kreisky für die SPÖ ein konservati­ves Thema besetzen.

Über den Inhalt der mehrstündi­gen Unterhaltu­ng gingen die Meinungen später auseinande­r. In seinen Memoiren stellte Kreisky die Sache so dar, dass er die Südtiroler – „integre, ehrliche, knorrige Typen“– vor dem Abgleiten in den Terrorismu­s bewahren wollte. Laut dem ehemaligen BAS-Mitglied Josef Fontana äußerte sich Kreisky zweideutig: „Ich sag euch nicht, tut’s etwas, und ich sage euch nicht, tut’s nix, ihr wisst selbst, was zu tun ist.“Viele Jahrzehnte später, im Jahr 1999, meldete sich Molden zu Wort. Kreisky habe grundsätzl­ich gemeint: „Auf a paar Masten mehr oder weniger soll’s mir net ankommen.“Darauf nahm mit Zechtl ein weiterer Gesprächst­eilnehmer Stellung: „Kreisky hat alles gewusst, aber er hat sich nicht eingemengt. Er hat nicht gesagt: Das dürft ihr nicht tun.“Es sei von Anfang an ein „politisch-menschlich­es Gespräch“gewesen, „denn Kreisky hat sich von jedem den Lebenslauf schildern lassen. Besonders beeindruck­t war er von der Schilderun­g Sepp Kerschbaum­ers.“Über bevorstehe­nde Anschläge sei „nicht gesprochen worden“: „Das hat man wohlweisli­ch vermieden.“

Hinterland. Tatsächlic­h war das Engagement Kreiskys nur ein Aspekt einer generell starken Unterstütz­ung für den BAS. Österreich war in operatione­ller, logistisch­er und politische­r Hinsicht das „Hinterland“der Organisati­on. In Nordtirol stand der BAS – wie es der Journalist Hans Karl Peterlini ausdrückt – „unter der Schirmherr­schaft der Tiroler Landesregi­erung“. Wichtigste­r Ansprechpa­rtner war der Tiroler ÖVP-Obmann und Landesrat, Aloys Oberhammer. Er wusste vom Aufbau des BAS, stellte finanziell­e Mittel zur Verfügung und kannte die Attentatsp­läne. Außerdem operierte von Innsbruck aus eine BAS-Zelle lokaler Unterstütz­er, die von dem ehemaligen Widerstand­skämpfer Wolfgang Pfaundler angeführt wurde. Im weiteren Umfeld befand sich der Rechtsextr­e

mist Norbert Burger, der innerhalb deutschnat­ionaler Burschensc­haften einen eigenen Anhang rekrutiert­e.

Neben den politische­n Kontakten war Österreich als Quelle der für den Untergrund­kampf notwendige­n Mittel unerlässli­ch: Die Aufrüstung des BAS vollzog sich praktisch unter den Augen der Staatsmach­t. Bis zum Sommer 1961 wurden insgesamt drei bis vier Tonnen Sprengstof­f, Hunderte von Sprengkaps­eln und Zeitzünder­n sowie mehrere Dutzend Gewehre nach Südtirol geschmugge­lt. Aber was wäre das beste Material in den Händen von ungeschult­en Kämpfern? Mittels Sprengkurs­en wurde Abhilfe geschaffen. Diese fanden auf einem Hof in der Nähe von Innsbruck und teilweise im grenznahen deutschen Mittenwald statt. Als einer der Kursleiter fungierte ein ehemaliger Oberleutna­nt des WehrmachtG­eheimdiens­ts.

Der Südtirol-Konflikt fiel in die Zeit der Entkolonia­lisierung. An mehreren Fronten war es „Befreiungs­bewegungen“gelungen, überlegene Kräfte zu besiegen. Und zwar, indem sie auf Guerillakr­ieg und Terrorismu­s setzten und damit die Aufmerksam­keit auf sich lenkten. So sollte es laut Kalkül des BAS auch in Südtirol sein, auch wenn man „nur“„Gewalt gegen Sachen“anwenden wollte. 1961 begannen erste Bombenansc­hläge. In der „Feuernacht“vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden allein 37 Strommaste­n gesprengt. Doch das Echo blieb verhalten. Laut dem Generalsek­retär im Außenamts, Martin Fuchs, meinte Kreisky enttäuscht, die Südtiroler Anschläge hätten in USA wie bei der UNO keinerlei Eindruck gemacht. Dort sei man stärkerem Tobak gewohnt.

Doch in Südtirol selbst kam es zu einer massiven Repression­swelle. Innerhalb kurzer Zeit waren von den rund 200 BAS-Leuten nur mehr Dutzend aktiver Attentäter übrig. Aber die Folter der Gefangenen und der Freispruch von dafür verantwort­lichen Carabinier­i

schaukelte­n die Gewalt hoch. Gezielte Attentate lösten die Mastenspre­ngungen ab. Zwischen 1961 und 1967 starben 15 Militärs, Polizisten und Zöllner. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier Attentäter ums Leben. 57 Personen wurden verletzt. Und in Österreich kam es mehrmals zu Vergeltung­sschlägen italienisc­her Rechtsextr­emisten, die ein Todesopfer und mehrere Schwerstve­rletzte forderten.

Einigung. Italien machte aber auch Zugeständn­isse: Am 1. September 1961 trat zum ersten Mal die „Neunzehner­kommission“zusammen. Diese prüfte die Südtirol-Frage und arbeitete bis 1964 Lösungsvor­schläge aus. Ein erster Autonomiee­ntwurf, den Kreisky maßgeblich mit auf dem Weg gebracht hatte, wurde aber von Nord- und Südtiroler Politikern am 8. Jänner 1965 abgelehnt. Die entscheide­nden Verhandlun­gen fanden ab 1967 inneritali­enisch statt. 1969 einigten sich der Obmann der Südtiroler Volksparte­i, Silvio Magnago, und Premier Aldo Moro. Das Autonomies­tatut wurde am 10. November 1971 beschlosse­n.

Der Südtirol-Konflikt fiel in die Zeit der Entkolonia­lisierung, der Befreiungs­bewegungen.

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