»Ihr wisst selbst, was zu tun ist«
Vor 60 Jahren traf sich der damalige Außenminister, mit Angehörigen des Befreiungsausschusses für Südtirol (BAS), der schon bald Attentate in Italien begehen sollte. Wie der spätere Bundeskanzler direkt und indirekt in den Südtirol-Konflikt eingriff.
Ein Außenminister trifft Anführer einer Untergrundbewegung, die gerade dabei ist, Sprengstoffattentate im benachbarten Ausland vorzubereiten. Genau das hat Bruno Kreisky vor 60 Jahren während des Südtirol-Konflikts getan. Denn Kreisky hegte eine fast schwärmerische Begeisterung für Heimatlose und Guerillas, gleich ob es sich um die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die marokkanische Polisario oder die Sandinisten in Nicaragua handelte. Das war zu einem Gutteil Kreiskys persönlicher Erfahrung von Widerstand, Gefangenschaft und Exil geschuldet.
Als Erstes schrieb er sich die Sache Südtirols auf die Fahnen. Das war auch innenpolitisch motiviert. So konnte Kreisky für die SPÖ ein konservatives Thema besetzen, das sich mit einem damals im Aufwind befindlichen Österreich-Bewusstsein verband. Seit 1959 im Amt, erklärte Kreisky Südtirol also zum Thema Nummer eins der österreichischen Außenpolitik und trug schon bald den Beinamen „Minister für das Äußerste“. Sein Ziel war Selbstbestimmung für die deutschsprachigen Südtiroler im Rahmen einer echten Landesautonomie. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich Österreich und Italien eigentlich auf eine solche Autonomie verständigt. Doch die Umsetzung wurde verschleppt. Der 1958 gegründete Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) protestierte zunächst mit zivilem Ungehorsam. Anfang 1959 kam man aber zur Ansicht, dass nur gewaltsame Mittel Erfolg haben würden.
Kreisky war über den BAS und dessen Absichten im Bilde. Ein Netzwerk – darunter der aus Tirol stammende Chef des Wiener Staatspolizeilichen Büros, Oswald Peterlunger – hielt ihn auf dem Laufenden. Wichtigster Informationsbeschaffer war der Nordtiroler SPÖ-Landesrat Rupert Zechtl. Dieser schrieb am 8. September 1959, wenige Wochen nach Kreiskys Amtsantritt: „Lieber Freund! Möchte Dich über eine in Südtirol bestehende Untergrundbewegung, die sich BAS (Befreiungsausschuss für Südtirol) nennt, informieren. Der Befreiungsausschuss für Südtirol besteht aus einer Anzahl von Südtirolern, die sich durch gegenseitige Eidesleistung
Thomas Riegler
Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm: „Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre. Über Österreichs Nachrichtendienste seit 1945.“
verpflichtet haben, für die Freiheit Südtirols bis zur letzten Konsequenz einzutreten.“
Schon bald war der Wunsch da, die BAS-Leute persönlich kennenzulernen: Im Jänner 1960 kam es in Kreiskys Amtsräumen zu einem ersten Treffen mit dem führenden BAS-Mann Georg Klotz. Die Staatspolizei vermerkte lapidar: „Im Verlaufe der Unterhaltung soll auch die Lage in Südtirol zur Sprache gekommen sein, die von Klotz dargelegt wurde.“Zehn Monate später, am 27. November, hatte Kreisky erneut Gäste aus Südtirol: Neben Karl Titscher und Jörg Pircher kam der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, in die Privatwohnung Kreiskys in der Döblinger Armbrustergasse. Am Abend bat Kreisky in den Heurigen Poldi Kurz, wo sich heute die Residenz der Botschaft Namibias befindet. Zu der abendlichen Runde stießen einige der wichtigsten Verbindungsleute des BAS in Österreich dazu. Darunter waren der spätere ORF-Generaldirektor Gerd Bacher sowie der Verleger Fritz Molden.
So konnte Bruno Kreisky für die SPÖ ein konservatives Thema besetzen.
Über den Inhalt der mehrstündigen Unterhaltung gingen die Meinungen später auseinander. In seinen Memoiren stellte Kreisky die Sache so dar, dass er die Südtiroler – „integre, ehrliche, knorrige Typen“– vor dem Abgleiten in den Terrorismus bewahren wollte. Laut dem ehemaligen BAS-Mitglied Josef Fontana äußerte sich Kreisky zweideutig: „Ich sag euch nicht, tut’s etwas, und ich sage euch nicht, tut’s nix, ihr wisst selbst, was zu tun ist.“Viele Jahrzehnte später, im Jahr 1999, meldete sich Molden zu Wort. Kreisky habe grundsätzlich gemeint: „Auf a paar Masten mehr oder weniger soll’s mir net ankommen.“Darauf nahm mit Zechtl ein weiterer Gesprächsteilnehmer Stellung: „Kreisky hat alles gewusst, aber er hat sich nicht eingemengt. Er hat nicht gesagt: Das dürft ihr nicht tun.“Es sei von Anfang an ein „politisch-menschliches Gespräch“gewesen, „denn Kreisky hat sich von jedem den Lebenslauf schildern lassen. Besonders beeindruckt war er von der Schilderung Sepp Kerschbaumers.“Über bevorstehende Anschläge sei „nicht gesprochen worden“: „Das hat man wohlweislich vermieden.“
Hinterland. Tatsächlich war das Engagement Kreiskys nur ein Aspekt einer generell starken Unterstützung für den BAS. Österreich war in operationeller, logistischer und politischer Hinsicht das „Hinterland“der Organisation. In Nordtirol stand der BAS – wie es der Journalist Hans Karl Peterlini ausdrückt – „unter der Schirmherrschaft der Tiroler Landesregierung“. Wichtigster Ansprechpartner war der Tiroler ÖVP-Obmann und Landesrat, Aloys Oberhammer. Er wusste vom Aufbau des BAS, stellte finanzielle Mittel zur Verfügung und kannte die Attentatspläne. Außerdem operierte von Innsbruck aus eine BAS-Zelle lokaler Unterstützer, die von dem ehemaligen Widerstandskämpfer Wolfgang Pfaundler angeführt wurde. Im weiteren Umfeld befand sich der Rechtsextre
mist Norbert Burger, der innerhalb deutschnationaler Burschenschaften einen eigenen Anhang rekrutierte.
Neben den politischen Kontakten war Österreich als Quelle der für den Untergrundkampf notwendigen Mittel unerlässlich: Die Aufrüstung des BAS vollzog sich praktisch unter den Augen der Staatsmacht. Bis zum Sommer 1961 wurden insgesamt drei bis vier Tonnen Sprengstoff, Hunderte von Sprengkapseln und Zeitzündern sowie mehrere Dutzend Gewehre nach Südtirol geschmuggelt. Aber was wäre das beste Material in den Händen von ungeschulten Kämpfern? Mittels Sprengkursen wurde Abhilfe geschaffen. Diese fanden auf einem Hof in der Nähe von Innsbruck und teilweise im grenznahen deutschen Mittenwald statt. Als einer der Kursleiter fungierte ein ehemaliger Oberleutnant des WehrmachtGeheimdiensts.
Der Südtirol-Konflikt fiel in die Zeit der Entkolonialisierung. An mehreren Fronten war es „Befreiungsbewegungen“gelungen, überlegene Kräfte zu besiegen. Und zwar, indem sie auf Guerillakrieg und Terrorismus setzten und damit die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. So sollte es laut Kalkül des BAS auch in Südtirol sein, auch wenn man „nur“„Gewalt gegen Sachen“anwenden wollte. 1961 begannen erste Bombenanschläge. In der „Feuernacht“vom 11. auf den 12. Juni 1961 wurden allein 37 Strommasten gesprengt. Doch das Echo blieb verhalten. Laut dem Generalsekretär im Außenamts, Martin Fuchs, meinte Kreisky enttäuscht, die Südtiroler Anschläge hätten in USA wie bei der UNO keinerlei Eindruck gemacht. Dort sei man stärkerem Tobak gewohnt.
Doch in Südtirol selbst kam es zu einer massiven Repressionswelle. Innerhalb kurzer Zeit waren von den rund 200 BAS-Leuten nur mehr Dutzend aktiver Attentäter übrig. Aber die Folter der Gefangenen und der Freispruch von dafür verantwortlichen Carabinieri
schaukelten die Gewalt hoch. Gezielte Attentate lösten die Mastensprengungen ab. Zwischen 1961 und 1967 starben 15 Militärs, Polizisten und Zöllner. Weiters kamen zwei Zivilisten sowie vier Attentäter ums Leben. 57 Personen wurden verletzt. Und in Österreich kam es mehrmals zu Vergeltungsschlägen italienischer Rechtsextremisten, die ein Todesopfer und mehrere Schwerstverletzte forderten.
Einigung. Italien machte aber auch Zugeständnisse: Am 1. September 1961 trat zum ersten Mal die „Neunzehnerkommission“zusammen. Diese prüfte die Südtirol-Frage und arbeitete bis 1964 Lösungsvorschläge aus. Ein erster Autonomieentwurf, den Kreisky maßgeblich mit auf dem Weg gebracht hatte, wurde aber von Nord- und Südtiroler Politikern am 8. Jänner 1965 abgelehnt. Die entscheidenden Verhandlungen fanden ab 1967 inneritalienisch statt. 1969 einigten sich der Obmann der Südtiroler Volkspartei, Silvio Magnago, und Premier Aldo Moro. Das Autonomiestatut wurde am 10. November 1971 beschlossen.
Der Südtirol-Konflikt fiel in die Zeit der Entkolonialisierung, der Befreiungsbewegungen.