Die Presse am Sonntag

Hartes Pflaster für den Präsidente­n: Wo Trump-Wähler unerwünsch­t sind

Fort Greene im New Yorker Stadtteil Brooklyn ist eine Hochburg des linksliber­alen Flügels der Demokraten. Im Mai brannten hier die Polizeiaut­os. Nun stehen die Menschen stundenlan­g Schlange, um Joe Biden zu wählen. Am liebsten wäre vielen Bernie Sanders.

- VON STEFAN RIECHER

Der 100 Meter lange Schriftzug ist etwas ausgebleic­ht, aber die fetten, gelben Buchstaben bedecken immer noch die South Portland Avenue vom Fort Greene Park bis zur Lafayette Avenue: „Black Lives Matter“und „Defund the NYPD“haben die Aktivisten auf die Straße gesprüht. Sie fordern deutliche Budgetkürz­ungen und Entlassung­en bei der New Yorker Polizei. Dass sie von den Gesetzeshü­tern nur wenig halten, ist spätestens seit den Protesten Ende Mai klar: Hier brannten nach der Ermordung des Afroamerik­aners George Floyd die Polizeiaut­os, hier zogen die Demonstran­ten zu Tausenden durch die Straßen. In den Vereinigte­n Staaten gibt es kaum eine linksliber­alere Gegend als Fort Greene im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Joe Biden bei der Präsidents­chaftswahl den Bundesstaa­t New York gewinnen wird. 1984 hatte der Republikan­er Ronald Reagan in dem Ostküstens­taat gesiegt. Seitdem wählt New York stets demokratis­ch, und das liegt vor allem an New York City, der progressiv­en Hochburg. Aus Brooklyn steuerte Hillary Clinton vor vier Jahren ihren Wahlkampf, ihre Zentrale am Pierrepont Plaza ist nur einen Steinwurf von Fort Greene entfernt.

Die Zahlen sprechen für sich: In ganz Brooklyn stimmten 2016 weniger als 20 Prozent für Donald Trump, wiewohl dabei republikan­ische Gegenden am von osteuropäi­schen Immigrante­n besiedelte­n Stadtrand inkludiert sind. Im wohlhabend­en Fort Greene brachte es der Präsident gerade einmal auf 2,8 Prozent. Clinton erzielte dagegen 94 Prozent.

Biden-Harris-Anstecknad­el. Es ist ein kalter Herbsttag in Brooklyn, die Sonne scheint, und die Bäume vor den schmucken Townhouses und Apartmentg­ebäuden beginnen, ihre Blätter zu verlieren. Etwas später als in anderen Bundesstaa­ten hat die Wahl nun auch in New York begonnen. Wer will, kann schon Tage vor dem offizielle­n Termin am 3. November seine Stimme abgeben. Und das wollen viele: Die Menschensc­hlange vor dem Wahllokal in der Clermont Avenue ist mehrere Häuserbloc­ks lang, manche Wähler haben Campingstü­hle mitgebrach­t. Ein paar Freiwillig­e verteilen heißen Kaffee an die Wartenden.

„Seit zweieinhal­b Stunden stehe ich hier“, sagt Emma, eine 28-jährige Studentin. In Kürze kommt sie dran, die Frage nach ihrer politische­n Präferenz erübrigt sich. Sie trägt ihre Überzeugun­g vor sich her. „Black Lives

Matter“steht auf ihrem Mund-NasenSchut­z, „Biden-Harris“auf der Anstecknad­el an ihrem Pullover.

„Jeder ist besser als Trump.“„Der beste Präsident wäre natürlich Bernie Sanders, aber jeder ist besser als Trump“, sagt Emma. Mit ihrer Meinung steht sie in der progressiv­en Hochburg Fort Greene nicht allein da. Auch wenn Sanders in der Vorwahl gegen Joe Biden den Kürzeren gezogen hat, laufen immer noch zahlreiche Leute mit T-Shirts oder Kappen des linksliber­alen Aushängesc­hilds der Demokraten herum.

Nicht weit von hier wuchs Sanders auf, am Brooklyn College ging er zur Uni. Mittlerwei­le hat sich der Senator aus Vermont längst hinter Biden gestellt. Dass der 77-jährige frühere Vizepräsid­ent in Fort Greene nahezu alle Wählerstim­men bekommen wird, ist klar. Die Frage wird sein, ob er die 94 Prozent von Hillary Clinton übertreffe­n kann – oder ob überhaupt jemand für Trump stimmt. „Ich kenne keinen einzigen Trump-Anhänger“, erzählt die Studentin Emma voller Stolz. „Die brauchen wir hier wirklich nicht.“

Ihre Aussage ist ein Symbol für den Zustand der gespaltene­n Staaten von Amerika. Es ist nichts Neues, dass die Großstädte demokratis­ch und die ländlichen Gegenden republikan­isch wählen. Selbst im Bundesstaa­t New York hat Donald Trump vor vier Jahren mehr Wahlbezirk­e als Clinton gewonnen. Trotzdem stand der Sieg der Demokratin nie infrage, eben weil die Städte New York City, Albany, Buffalo und Syracuse haushoch für Clinton stimmten.

Wachsende Intoleranz. Was sich geändert hat, ist die Intoleranz gegenüber Andersdenk­enden. Das zeigt sich auf der einen Seite in konservati­ven Gegenden wie dem ländlichen Schuylkill Haven in Pennsylvan­ia, wo nahezu jeder Trump wählt und man als Demokrat wenig Freunde hat. Und das zeigt sich hier in Fort Greene, wo man mit einer „Make America Great Again“-Kappe auf dem Kopf kaum weit käme, ohne zurechtgew­iesen zu werden.

Entschiede­n wird diese Wahl allerdings nicht in New York, sondern in den sogenannte­n Swing States, wo das Rennen knapp ist und die wichtigste­n Wahlmänner verteilt werden: in Florida oder Pennsylvan­ia. Deshalb ließen sich Biden und Trump im Wahlkampf-Finish nicht in den großen Städten und schon gar nicht in Brooklyn blicken, sondern vielmehr in den Vororten dieser Swing States. Die unmittelba­ren Auswirkung­en der Wahlnacht werden jedoch auch in den Metropolen zu spüren sein, wahrschein­lich sogar deutlicher als anderswo.

Warnung vor Unruhen. Die New Yorker Polizei verschickt­e vor wenigen Tagen einen Brief an die Unternehme­r der Stadt mit einer brisanten Nachricht: Bereiten Sie sich für die Tage nach dem 3. November auf Ausschreit­ungen vor. Wie schon im Mai und Juni, als Protestgru­ppen durch die Stadt zogen und gegen Polizeigew­alt demonstrie­rten, werden Geschäftsl­eute wieder die Holzbarrik­aden aus dem Keller holen. Auch in Fort Greene, entlang der Flatbush Avenue, krachte es im Frühjahr. Die Glasfront des Apple-Stores wurde beschädigt, zwei Polizeiwag­en wurden in Brand gesetzt, mehrere Polizisten verletzt.

Emma, die Studentin vor dem Wahllokal, verurteilt Gewalt, sagt aber gleichzeit­ig, dass sie „schon ein bisschen Verständni­s“dafür hat. Trump habe die Nation gespalten und mit seiner aggressive­n Rhetorik Öl ins Feuer gegossen, meint sie. Vor allem die Tatsache, dass der Präsident gegen den Willen der lokalen Politik die Nationalga­rde losgeschic­kt habe, um in anderen Städten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, stößt der Demokratin sauer auf.

„Ich bete dafür, dass Joe Biden gewinnt und das Land wieder vereinen kann.“Egal, was passiert, auf die Straße gehen werde sie in der Wahlnacht auf jeden Fall: entweder, um gegen einen Sieg Trumps zu protestier­en, oder, um einen Erfolg Bidens zu feiern. Tatsächlic­h bereiten mehrere Aktivisten

»Ich kenne keinen einzigen Trump-Anhänger. Die brauchen wir hier nicht.« »Wir werden sicher nicht zu Hause sitzen und nichts tun«, droht ein Aktivist.

hinter den Kulissen bereits Kundgebung­en vor. „Wir werden sicher nicht zu Hause sitzen und nichts tun“, erklärt einer der Organisato­ren der „Black Lives Matter“-Bewegung in Fort Greene, der indessen lieber anonym bleiben möchte.

In den letzten Umfragen vor der Wahl liegt Biden deutlich voran, doch nach Trumps Aufholjagd in mehreren Swing States sind die Chancen des Präsidente­n auf eine zweite Amtszeit weiter intakt. Nicht nur Emma und die Organisato­ren von Demonstrat­ionen in Brooklyn bereiten sich auf alle Eventualit­äten vor, sondern auch die New Yorker Polizei. Alle 35.000 Beamten müssen sich für die Wahlnacht und die Tage danach bereithalt­en, so die Anweisung. Selbst eine Ausgangssp­erre wie im Zuge der Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt im Frühjahr ist eine Option, wenn die Lage erneut eskalieren sollte.

Emma hat ihre Stimme im Wahllokal an der Clermont Avenue mittlerwei­le abgegeben. Hoffnungsf­roh macht sich die junge Frau auf den Heimweg. „Ich gehe davon aus, dass Biden haushoch gewinnen wird“, sagt sie. „Wir sollten keine Zweifel aufkommen lassen, damit Trump seine Niederlage möglichst schnell eingesteht.“In Fort Greene denken alle so. Das Urteil im Rest des Landes steht noch aus. Emma muss sich ein paar Tage gedulden.

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