Hartes Pflaster für den Präsidenten: Wo Trump-Wähler unerwünscht sind
Fort Greene im New Yorker Stadtteil Brooklyn ist eine Hochburg des linksliberalen Flügels der Demokraten. Im Mai brannten hier die Polizeiautos. Nun stehen die Menschen stundenlang Schlange, um Joe Biden zu wählen. Am liebsten wäre vielen Bernie Sanders.
Der 100 Meter lange Schriftzug ist etwas ausgebleicht, aber die fetten, gelben Buchstaben bedecken immer noch die South Portland Avenue vom Fort Greene Park bis zur Lafayette Avenue: „Black Lives Matter“und „Defund the NYPD“haben die Aktivisten auf die Straße gesprüht. Sie fordern deutliche Budgetkürzungen und Entlassungen bei der New Yorker Polizei. Dass sie von den Gesetzeshütern nur wenig halten, ist spätestens seit den Protesten Ende Mai klar: Hier brannten nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd die Polizeiautos, hier zogen die Demonstranten zu Tausenden durch die Straßen. In den Vereinigten Staaten gibt es kaum eine linksliberalere Gegend als Fort Greene im New Yorker Stadtteil Brooklyn.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl den Bundesstaat New York gewinnen wird. 1984 hatte der Republikaner Ronald Reagan in dem Ostküstenstaat gesiegt. Seitdem wählt New York stets demokratisch, und das liegt vor allem an New York City, der progressiven Hochburg. Aus Brooklyn steuerte Hillary Clinton vor vier Jahren ihren Wahlkampf, ihre Zentrale am Pierrepont Plaza ist nur einen Steinwurf von Fort Greene entfernt.
Die Zahlen sprechen für sich: In ganz Brooklyn stimmten 2016 weniger als 20 Prozent für Donald Trump, wiewohl dabei republikanische Gegenden am von osteuropäischen Immigranten besiedelten Stadtrand inkludiert sind. Im wohlhabenden Fort Greene brachte es der Präsident gerade einmal auf 2,8 Prozent. Clinton erzielte dagegen 94 Prozent.
Biden-Harris-Anstecknadel. Es ist ein kalter Herbsttag in Brooklyn, die Sonne scheint, und die Bäume vor den schmucken Townhouses und Apartmentgebäuden beginnen, ihre Blätter zu verlieren. Etwas später als in anderen Bundesstaaten hat die Wahl nun auch in New York begonnen. Wer will, kann schon Tage vor dem offiziellen Termin am 3. November seine Stimme abgeben. Und das wollen viele: Die Menschenschlange vor dem Wahllokal in der Clermont Avenue ist mehrere Häuserblocks lang, manche Wähler haben Campingstühle mitgebracht. Ein paar Freiwillige verteilen heißen Kaffee an die Wartenden.
„Seit zweieinhalb Stunden stehe ich hier“, sagt Emma, eine 28-jährige Studentin. In Kürze kommt sie dran, die Frage nach ihrer politischen Präferenz erübrigt sich. Sie trägt ihre Überzeugung vor sich her. „Black Lives
Matter“steht auf ihrem Mund-NasenSchutz, „Biden-Harris“auf der Anstecknadel an ihrem Pullover.
„Jeder ist besser als Trump.“„Der beste Präsident wäre natürlich Bernie Sanders, aber jeder ist besser als Trump“, sagt Emma. Mit ihrer Meinung steht sie in der progressiven Hochburg Fort Greene nicht allein da. Auch wenn Sanders in der Vorwahl gegen Joe Biden den Kürzeren gezogen hat, laufen immer noch zahlreiche Leute mit T-Shirts oder Kappen des linksliberalen Aushängeschilds der Demokraten herum.
Nicht weit von hier wuchs Sanders auf, am Brooklyn College ging er zur Uni. Mittlerweile hat sich der Senator aus Vermont längst hinter Biden gestellt. Dass der 77-jährige frühere Vizepräsident in Fort Greene nahezu alle Wählerstimmen bekommen wird, ist klar. Die Frage wird sein, ob er die 94 Prozent von Hillary Clinton übertreffen kann – oder ob überhaupt jemand für Trump stimmt. „Ich kenne keinen einzigen Trump-Anhänger“, erzählt die Studentin Emma voller Stolz. „Die brauchen wir hier wirklich nicht.“
Ihre Aussage ist ein Symbol für den Zustand der gespaltenen Staaten von Amerika. Es ist nichts Neues, dass die Großstädte demokratisch und die ländlichen Gegenden republikanisch wählen. Selbst im Bundesstaat New York hat Donald Trump vor vier Jahren mehr Wahlbezirke als Clinton gewonnen. Trotzdem stand der Sieg der Demokratin nie infrage, eben weil die Städte New York City, Albany, Buffalo und Syracuse haushoch für Clinton stimmten.
Wachsende Intoleranz. Was sich geändert hat, ist die Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Das zeigt sich auf der einen Seite in konservativen Gegenden wie dem ländlichen Schuylkill Haven in Pennsylvania, wo nahezu jeder Trump wählt und man als Demokrat wenig Freunde hat. Und das zeigt sich hier in Fort Greene, wo man mit einer „Make America Great Again“-Kappe auf dem Kopf kaum weit käme, ohne zurechtgewiesen zu werden.
Entschieden wird diese Wahl allerdings nicht in New York, sondern in den sogenannten Swing States, wo das Rennen knapp ist und die wichtigsten Wahlmänner verteilt werden: in Florida oder Pennsylvania. Deshalb ließen sich Biden und Trump im Wahlkampf-Finish nicht in den großen Städten und schon gar nicht in Brooklyn blicken, sondern vielmehr in den Vororten dieser Swing States. Die unmittelbaren Auswirkungen der Wahlnacht werden jedoch auch in den Metropolen zu spüren sein, wahrscheinlich sogar deutlicher als anderswo.
Warnung vor Unruhen. Die New Yorker Polizei verschickte vor wenigen Tagen einen Brief an die Unternehmer der Stadt mit einer brisanten Nachricht: Bereiten Sie sich für die Tage nach dem 3. November auf Ausschreitungen vor. Wie schon im Mai und Juni, als Protestgruppen durch die Stadt zogen und gegen Polizeigewalt demonstrierten, werden Geschäftsleute wieder die Holzbarrikaden aus dem Keller holen. Auch in Fort Greene, entlang der Flatbush Avenue, krachte es im Frühjahr. Die Glasfront des Apple-Stores wurde beschädigt, zwei Polizeiwagen wurden in Brand gesetzt, mehrere Polizisten verletzt.
Emma, die Studentin vor dem Wahllokal, verurteilt Gewalt, sagt aber gleichzeitig, dass sie „schon ein bisschen Verständnis“dafür hat. Trump habe die Nation gespalten und mit seiner aggressiven Rhetorik Öl ins Feuer gegossen, meint sie. Vor allem die Tatsache, dass der Präsident gegen den Willen der lokalen Politik die Nationalgarde losgeschickt habe, um in anderen Städten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, stößt der Demokratin sauer auf.
„Ich bete dafür, dass Joe Biden gewinnt und das Land wieder vereinen kann.“Egal, was passiert, auf die Straße gehen werde sie in der Wahlnacht auf jeden Fall: entweder, um gegen einen Sieg Trumps zu protestieren, oder, um einen Erfolg Bidens zu feiern. Tatsächlich bereiten mehrere Aktivisten
»Ich kenne keinen einzigen Trump-Anhänger. Die brauchen wir hier nicht.« »Wir werden sicher nicht zu Hause sitzen und nichts tun«, droht ein Aktivist.
hinter den Kulissen bereits Kundgebungen vor. „Wir werden sicher nicht zu Hause sitzen und nichts tun“, erklärt einer der Organisatoren der „Black Lives Matter“-Bewegung in Fort Greene, der indessen lieber anonym bleiben möchte.
In den letzten Umfragen vor der Wahl liegt Biden deutlich voran, doch nach Trumps Aufholjagd in mehreren Swing States sind die Chancen des Präsidenten auf eine zweite Amtszeit weiter intakt. Nicht nur Emma und die Organisatoren von Demonstrationen in Brooklyn bereiten sich auf alle Eventualitäten vor, sondern auch die New Yorker Polizei. Alle 35.000 Beamten müssen sich für die Wahlnacht und die Tage danach bereithalten, so die Anweisung. Selbst eine Ausgangssperre wie im Zuge der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt im Frühjahr ist eine Option, wenn die Lage erneut eskalieren sollte.
Emma hat ihre Stimme im Wahllokal an der Clermont Avenue mittlerweile abgegeben. Hoffnungsfroh macht sich die junge Frau auf den Heimweg. „Ich gehe davon aus, dass Biden haushoch gewinnen wird“, sagt sie. „Wir sollten keine Zweifel aufkommen lassen, damit Trump seine Niederlage möglichst schnell eingesteht.“In Fort Greene denken alle so. Das Urteil im Rest des Landes steht noch aus. Emma muss sich ein paar Tage gedulden.