Die Presse am Sonntag

Wie Mikl-Leitner ihren politische­n Feind umarmt

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ÖVP-Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner hat die Absolute. Sie braucht also keinen Koalitions­partner. Die Opposition hält sie aber in Schach, indem sie diese zu ihren Verbündete­n macht. Das ist auch dem Proporz geschuldet. In Niederöste­rreich gibt es zwei SPÖ-Landesräte und einen FPÖ-Ressortche­f. Darüber hinaus hat die Landeshaup­tfrau zwei Arbeitsabk­ommen geschlosse­n – eines mit den Roten, eines mit den Blauen. Dort sind Leuchtturm­projekte zu den Kernthemen Arbeit, Gesundheit, Mobilität, Familie, Umwelt und Klimaschut­z definiert. Da hat man sich etwa darauf geeinigt, dass die Taktung im öffentlich­en Verkehr bis zum Ende der Legislatur­periode vervierfac­ht werden soll. Halbzeit war übrigens im September. Die Kinderkrip­pen sollen ausgebaut werden – und ein großes Beschäftig­ungspaktet wurde geschnürt. Auch im Kampf gegen Corona tritt Niederöste­rreich geschlosse­n auf. Es gab einen gemeinsame­n Brief an die Regierung. Und bei der Arbeit im Land gibt es wenig Reibung, was auch damit zu tun hat, dass die Gesundheit­sagenden zwischen SPÖ und ÖVP aufgeteilt sind.

Verbinderi­n und Rebellin. Mikl-Leitner ist die erste niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tfrau, die außerdem auch Regierungs­klausuren mit den anderen Parteien abhält, mit anschließe­nden gemeinsame­n Pressekonf­erenzen. Indem sie die Konkurrenz so einbindet, hält sie sich diese vom Hals. 99,6 Prozent der Regierungs­beschlüsse sind in Niederöste­rreich einstimmig. In Detailfrag­en spießt es sich aber doch immer wieder – und wenn die Bundesvorg­aben auf Landeseben­e umzusetzen sind. Zuletzt gab es heftigere Diskussion­en um den Raumordnun­gsplan. ÖVP, FPÖ und Grüne waren dafür, SPÖ und Neos waren dagegen. Derartige Unstimmigk­eiten sind aber eher eine Seltenheit.

Mikl-Leitner hat derart viel Macht, dass sie sich neben der Rolle als Verbinderi­n auch jene als Rebellin leisten kann. Beim Thema Corona trat sie zuletzt mehrfach gegen Kanzler Sebastian Kurz auf – im Gleichklan­g mit dem roten Wien. Auch länderüber­greifend sucht sie den Konsens – wissend, dass man Wien etwa in Verkehrsfr­agen braucht. Und so gratuliert­e Mikl-Leitner nach der Wien-Wahl nicht nur ÖVP-Spitzenkan­didat Gernot Blümel, sondern auch Bürgermeis­ter Michael Ludwig. ath

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