Wird die Lösung zum Problem?
Der Impfstoff gegen das Coronavirus soll die aktuelle Krise beenden. Von der Art der Verteilung des Serums wird es aber abhängen, wie die Welt nach der Krise aussieht.
Die Impfung. Wohl noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat die gesamte Welt so sehr auf ein Serum gegen eine Krankheit gehofft, wie zur Zeit auf den Impfstoff gegen das Coronavirus. Milliarden an Forschungsförderung wurden weltweit von den Staaten lockergemacht. Und sowohl die Pharmakonzerne als auch die Zulassungsbehörden haben Covid-19 ganz nach oben auf die Prioritätenliste gesetzt. Wenn alles gut geht, wird Anfang des kommenden Jahres ein Impfstoff verfügbar sein.
Dieser soll dann die aktuelle Coronakrise und ihre wirtschaftlichen Schäden beenden. Und die sind beträchtlich. Um 4,9 Prozent soll die globale Wirtschaftsleistung laut den jüngsten Prognosen des Internationalen Währungsfonds heuer einbrechen. Der größte Rückgang seit den 1930er-Jahren. Aber wohl erst die absoluten Zahlen machen das Ausmaß wirklich begreifbar. So wird die Menschheit 2020 demnach um etwa 3600 Milliarden
Euro weniger erwirtschaften als im Jahr zuvor. Das ist beinahe zehnmal die jährliche Wirtschaftsleistung Österreichs. Und angesichts der aktuell allerorts wieder steigenden Infektionszahlen und des ersten neuerlichen Lockdowns besteht hier eher das Risiko, dass die realen Schäden schlussendlich noch höher liegen werden.
Für all diese Probleme soll der Impfstoff die Lösung sein, weshalb weltweit auch parallel an unzähligen verschiedenen Seren geforscht wird. Doch sobald einer dieser Wirkstoffe wirklich die Zulassung erhalten hat, stellt sich die nächste, folgenschwere Frage: Wer erhält den Impfstoff?
Denn eines ist jetzt schon klar. Auch wenn es in jedem Land Impfskeptiker gibt, wird die Nachfrage das
Angebot zumindest in den ersten Monaten und vielleicht sogar Jahren bei Weitem überwiegen. Denn selbst wenn eine einfache Impfung reicht, würden auf einen Schlag zumindest fünf bis sechs Milliarden Dosen benötigt werden. Beim aus derzeitiger Sicht nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die Impfung zweimal erfolgen muss, um einen ausreichenden Schutz zu entfalten, läge der Bedarf deutlich über zehn Milliarden Dosen. Das ist weit mehr, als die Pharmakonzerne an Kapazitäten haben.
So kann etwa der französische Pharmakonzern Sanofi pro Jahr eine Milliarde Impfstoff-Dosen herstellen. Allerdings sind darin auch die Impfstoffe gegen Hepatitis oder Influenza enthalten. Will man diese Kapazität für einen Corona-Impfstoff freischaufeln, müsste die Produktion anderer Seren entsprechend reduziert werden. Und Sanofi hatte zuletzt einen Marktanteil von 20 Prozent am globalen Impfstoffmarkt.
Flaschenhals. Da die Kapazitäten der Impfstoffproduktion trotz der großen globalen Bemühungen nicht einfach so erweiterbar sind, wird hier ein Flaschenhals entstehen, sind sich Experten sicher. Und dieser könnte große ökonomische Auswirkungen nach sich ziehen. „Wenn rein der Preis entscheidet, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt, dann würden zunächst die reichen Industrieländer, anschließend Schwellenländer und erst als Letzte die sogenannten Entwicklungsländer Zugang zu den Impfstoffen erhalten“, sagt dazu Markus Scholz, Professor für Wirtschaftsethik an der FH Wien.
Aber auch innerhalb der Länder könnte eine rein über den Preis definierte Verteilung dazu sorgen, dass der soziale Hintergrund darüber entscheidet, wann man den Impfstoff erhält. „In einem solchen Szenario würden wieder zuerst Reiche und erst in weiterer Folge die ärmeren Schichten der Bevölkerung den Impfstoff erhalten.“
Das würde dazu führen, dass bestehende ökonomische Unterschiede
Prozent
soll die globale Wirtschaftsleistung heuer zurückgehen. Das entspricht rund 3600 Milliarden Euro – fast zehnmal das heimische BIP.
Milliarde
ImpfstoffDosen kann der Pharmakonzern Sanofi pro Jahr herstellen, der ein Fünftel des globalen Marktanteils auf dem Impfstoffmarkt hat. Vom Covid-19-Impfstoff könnten aber bis zu über zehn Milliarden Dosen schnell benötigt werden. verfestigt oder sogar noch weiter ausgebaut würden. „Jene Staaten, die Zugang zu den Impfstoffen haben, können ihre Volkswirtschaften schneller wieder hochfahren als andere und haben dadurch einen Wettbewerbsvorteil“, so Scholz. Die Bürger dieser Länder könnten wieder schneller ohne Einschränkungen ihrer Arbeit – und auch ihren Freizeitbeschäftigungen – nachgehen. Ähnlich wäre das, wenn es innerhalb eines Staates eine gestaffelte Verteilung nach dem sozialen Hintergrund gibt. Auch da könnten etwa Kinder aus vermögenderen Schichten zusätzliche Vorteile bei ihrer Ausbildung erlangen.
Die Nachfrage wird das Angebot zumindest am Anfang deutlich übersteigen.
Einige Nationen sehen die Suche nach dem Impfstoff als globales Wettrennen.
Scholz plädiert daher dafür, dass die Impfstoffe nach Kriterien abseits der ökonomischen Leistungsfähigkeit verteilt werden. Welche das sind, dass müsste ein entsprechendes Gremium – etwa im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation WHO – festlegen. Die Vorarbeiten für so eine global koordinierte Verteilung eines Covid-19-Impfstoffes wurden dort bereits begonnen.
Allerdings sind die USA als größte Volkswirtschaft der Welt dabei nicht mit an Bord. Und auch andere Nationen machen keinen Hehl daraus, dass sie die Suche nach einem Impfstoff auch als globales Wettrennen verstehen. Daher sei auch die Pharmaindustrie in der Pflicht, Aktivitäten für eine faire globale Verteilung der Impfstoffe zu unterstützen, argumentiert Scholz.
Damit würde sie nicht nur im Interesse der ärmeren Länder und deren Bevölkerungen agieren, sondern auch in ihrem eigenen. Denn sonst könnte sie in vielen Staaten ihre Legitimität verlieren. Eine mögliche Folge wäre, dass diese Länder dann Patentrechte nicht mehr akzeptieren, wie das etwa im Fall von Indien in der Vergangenheit bereits vorgekommen ist.