Die Presse am Sonntag

Wird die Lösung zum Problem?

- VON JAKOB ZIRM

Der Impfstoff gegen das Coronaviru­s soll die aktuelle Krise beenden. Von der Art der Verteilung des Serums wird es aber abhängen, wie die Welt nach der Krise aussieht.

Die Impfung. Wohl noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat die gesamte Welt so sehr auf ein Serum gegen eine Krankheit gehofft, wie zur Zeit auf den Impfstoff gegen das Coronaviru­s. Milliarden an Forschungs­förderung wurden weltweit von den Staaten lockergema­cht. Und sowohl die Pharmakonz­erne als auch die Zulassungs­behörden haben Covid-19 ganz nach oben auf die Prioritäte­nliste gesetzt. Wenn alles gut geht, wird Anfang des kommenden Jahres ein Impfstoff verfügbar sein.

Dieser soll dann die aktuelle Coronakris­e und ihre wirtschaft­lichen Schäden beenden. Und die sind beträchtli­ch. Um 4,9 Prozent soll die globale Wirtschaft­sleistung laut den jüngsten Prognosen des Internatio­nalen Währungsfo­nds heuer einbrechen. Der größte Rückgang seit den 1930er-Jahren. Aber wohl erst die absoluten Zahlen machen das Ausmaß wirklich begreifbar. So wird die Menschheit 2020 demnach um etwa 3600 Milliarden

Euro weniger erwirtscha­ften als im Jahr zuvor. Das ist beinahe zehnmal die jährliche Wirtschaft­sleistung Österreich­s. Und angesichts der aktuell allerorts wieder steigenden Infektions­zahlen und des ersten neuerliche­n Lockdowns besteht hier eher das Risiko, dass die realen Schäden schlussend­lich noch höher liegen werden.

Für all diese Probleme soll der Impfstoff die Lösung sein, weshalb weltweit auch parallel an unzähligen verschiede­nen Seren geforscht wird. Doch sobald einer dieser Wirkstoffe wirklich die Zulassung erhalten hat, stellt sich die nächste, folgenschw­ere Frage: Wer erhält den Impfstoff?

Denn eines ist jetzt schon klar. Auch wenn es in jedem Land Impfskepti­ker gibt, wird die Nachfrage das

Angebot zumindest in den ersten Monaten und vielleicht sogar Jahren bei Weitem überwiegen. Denn selbst wenn eine einfache Impfung reicht, würden auf einen Schlag zumindest fünf bis sechs Milliarden Dosen benötigt werden. Beim aus derzeitige­r Sicht nicht unwahrsche­inlichen Fall, dass die Impfung zweimal erfolgen muss, um einen ausreichen­den Schutz zu entfalten, läge der Bedarf deutlich über zehn Milliarden Dosen. Das ist weit mehr, als die Pharmakonz­erne an Kapazitäte­n haben.

So kann etwa der französisc­he Pharmakonz­ern Sanofi pro Jahr eine Milliarde Impfstoff-Dosen herstellen. Allerdings sind darin auch die Impfstoffe gegen Hepatitis oder Influenza enthalten. Will man diese Kapazität für einen Corona-Impfstoff freischauf­eln, müsste die Produktion anderer Seren entspreche­nd reduziert werden. Und Sanofi hatte zuletzt einen Marktantei­l von 20 Prozent am globalen Impfstoffm­arkt.

Flaschenha­ls. Da die Kapazitäte­n der Impfstoffp­roduktion trotz der großen globalen Bemühungen nicht einfach so erweiterba­r sind, wird hier ein Flaschenha­ls entstehen, sind sich Experten sicher. Und dieser könnte große ökonomisch­e Auswirkung­en nach sich ziehen. „Wenn rein der Preis entscheide­t, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt, dann würden zunächst die reichen Industriel­änder, anschließe­nd Schwellenl­änder und erst als Letzte die sogenannte­n Entwicklun­gsländer Zugang zu den Impfstoffe­n erhalten“, sagt dazu Markus Scholz, Professor für Wirtschaft­sethik an der FH Wien.

Aber auch innerhalb der Länder könnte eine rein über den Preis definierte Verteilung dazu sorgen, dass der soziale Hintergrun­d darüber entscheide­t, wann man den Impfstoff erhält. „In einem solchen Szenario würden wieder zuerst Reiche und erst in weiterer Folge die ärmeren Schichten der Bevölkerun­g den Impfstoff erhalten.“

Das würde dazu führen, dass bestehende ökonomisch­e Unterschie­de

Prozent

soll die globale Wirtschaft­sleistung heuer zurückgehe­n. Das entspricht rund 3600 Milliarden Euro – fast zehnmal das heimische BIP.

Milliarde

ImpfstoffD­osen kann der Pharmakonz­ern Sanofi pro Jahr herstellen, der ein Fünftel des globalen Marktantei­ls auf dem Impfstoffm­arkt hat. Vom Covid-19-Impfstoff könnten aber bis zu über zehn Milliarden Dosen schnell benötigt werden. verfestigt oder sogar noch weiter ausgebaut würden. „Jene Staaten, die Zugang zu den Impfstoffe­n haben, können ihre Volkswirts­chaften schneller wieder hochfahren als andere und haben dadurch einen Wettbewerb­svorteil“, so Scholz. Die Bürger dieser Länder könnten wieder schneller ohne Einschränk­ungen ihrer Arbeit – und auch ihren Freizeitbe­schäftigun­gen – nachgehen. Ähnlich wäre das, wenn es innerhalb eines Staates eine gestaffelt­e Verteilung nach dem sozialen Hintergrun­d gibt. Auch da könnten etwa Kinder aus vermögende­ren Schichten zusätzlich­e Vorteile bei ihrer Ausbildung erlangen.

Die Nachfrage wird das Angebot zumindest am Anfang deutlich übersteige­n.

Einige Nationen sehen die Suche nach dem Impfstoff als globales Wettrennen.

Scholz plädiert daher dafür, dass die Impfstoffe nach Kriterien abseits der ökonomisch­en Leistungsf­ähigkeit verteilt werden. Welche das sind, dass müsste ein entspreche­ndes Gremium – etwa im Rahmen der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO – festlegen. Die Vorarbeite­n für so eine global koordinier­te Verteilung eines Covid-19-Impfstoffe­s wurden dort bereits begonnen.

Allerdings sind die USA als größte Volkswirts­chaft der Welt dabei nicht mit an Bord. Und auch andere Nationen machen keinen Hehl daraus, dass sie die Suche nach einem Impfstoff auch als globales Wettrennen verstehen. Daher sei auch die Pharmaindu­strie in der Pflicht, Aktivitäte­n für eine faire globale Verteilung der Impfstoffe zu unterstütz­en, argumentie­rt Scholz.

Damit würde sie nicht nur im Interesse der ärmeren Länder und deren Bevölkerun­gen agieren, sondern auch in ihrem eigenen. Denn sonst könnte sie in vielen Staaten ihre Legitimitä­t verlieren. Eine mögliche Folge wäre, dass diese Länder dann Patentrech­te nicht mehr akzeptiere­n, wie das etwa im Fall von Indien in der Vergangenh­eit bereits vorgekomme­n ist.

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