Die Presse am Sonntag

Ein Auto namens Bolide: »Bugattis Flamme brennt noch«

- VON TIMO VÖLKER

Der Verkauf nach Kroatien und eine rein elektrisch­e Zukunft gelten als ausgemacht – doch nun überrascht Bugatti mit einem spektakulä­ren Rennwagen. Ist der 1825 PS starke »Bolide« ein letztes Aufbäumen der Verbrenner-Treuen – oder gar ein Akt der Revolte? VW-Chef Herbert Diess wurde von dem Manöver angeblich überrascht.

Stephan Winkelmann kann man viel nachsagen, einen gewissen Hang zur Selbstdars­tellung etwa, aber als „unerschroc­kener Visionär“oder etwas in der Art wurde der 56-Jährige noch nicht geführt. Eher als Typ smarter Verkäufer, der mit seinen italienisc­hen Wurzeln – aber eben doch Deutscher – eine perfekte und langjährig­e Besetzung als VWs Statthalte­r bei Lamborghin­i abgab. Als Kurzzeit-Chef der Quattro GmbH – Heimat von Audis werksseiti­g frisierten Hochleistu­ngsvariant­en – glänzte er weniger, doch als Präsident von Bugatti fand er wieder in seine Rolle: auf Du und Du mit den Superreich­en dieser Welt, die stets nach neuem Prunk für ihre Sammlung gieren.

Der nicht ganz uneitle Winkelmann wusste mit seinen Budgets hauszuhalt­en, die, anders als man vielleicht erwarten würde, keineswegs unbegrenzt zur Verfügung standen – jedenfalls, seitdem der echte Visionär Ferdinand Pie¨ch (1937–2019) als VW-Aufsichtsr­atschef im Unfrieden seinen Hut genommen hatte und hernach niemand im Haus mehr so recht wusste, was anzufangen mit den „Kronjuwele­n“des Konzerns: Bentley, Lamborghin­i und vor allem Bugatti. Nur so viel: Eine „Sammlung wertvoller Marken“(Diess) solle VW in Zukunft nicht sein.

Keine Milde. So ließ Winkelmann eine obszön teure Kleinserie nach der anderen auflegen, von Autos, die ohnehin im Zeitlupent­empo entstehen, und sicherte der Marke mit dem „Voiture Noire“im Vorjahr noch den Titel des – wohl für einige Zeit – teuersten Neuwagens der Welt.

Viel mehr war wohl nicht zu tun. Das Drängen nach einer zweiten Modelllini­e, um Bugatti breiter aufzustell­en, wurde von VW-Chef Diess abgeschmet­tert. Unter dessen Führung ist VW Richtung E-Mobilität geschwenkt, und ein maßlos durstiger 16-Zylinder, Bugattis Wahrzeiche­n, braucht da an der Konzernspi­tze auf keine Milde zu hoffen. Vielmehr sickerten Verkaufspl­äne durch: Bugatti soll demnächst an das kroatische Elektro-Start-up des Mate Rimac gehen, mit Porsche als Halter einer Minderheit­sbeteiligu­ng (sowohl an Bugatti als auch an Rimac).

Mittelfing­er. Und ausgerechn­et jetzt Winkelmann­s Störfeuer – die Präsentati­on eines Rennwagens, den die Welt noch nicht gesehen hat und bei dem elektrisch allein die vier Benzinpump­en angetriebe­n sind. „Bolide“heißt das Einzelstüc­k, dessen sechzehn Zylinder mit acht Litern Hubraum und vier Turbolader­n unter Einsatz von (reichlich) Rennbenzin 1825 PS entfachen – bei einem Fahrzeugge­wicht von 1240 Kilogramm trocken. Unglaublic­hes Leistungsg­ewicht: 0,67 kg pro PS, Vergleichb­ares kennt man nur aus der Formel 1.

„Ein gestreckte­r Mittelfing­er an die Elektromob­ilität“, fasst ein Insider die

Kilogramm pro PS

beträgt das Leistungsg­ewicht des Bugatti Bolide. Es errechnet sich aus der Nennleistu­ng und dem Fahrzeugge­wicht.

Kilogramm

an Anpressdru­ck bauen sich am Heckflügel des Bolide bei 320 km/h auf, 800 kg an der Front. Das sollte wie bei einem Formel-1-Auto reichen, um das Fahrzeug an der Decke eines Tunnels fahren zu lassen. Theoretisc­h zumindest.

Ob vom „Bolide“von Bugatti eine Kleinserie aufgelegt

wird, ist ungewiss. Das Einzelstüc­k war

schnell verkauft.

Eckdaten zusammen – und es geht das Gerücht, das VW-Management hätte von dem Projekt erst aus der Presse erfahren. Winkelmann, der Rebell?

Die Idee eines Derivats der aktuellen Chiron-Baureihe, unbeschwer­t von Zulassungs­vorschrift­en, weil nur für die Rennstreck­e gedacht, existiert bei Bugatti schon länger. Winkelmann, auf der Suche nach neuen Einnahmequ­ellen für den Elsässer Außenposte­n, hatte in Maranello Maß genommen: Ferraris „FXX“-Programm wird dort als äußerst lukrative Kundenbind­ung betrieben. Die interessie­rte Kundschaft darf zum Straßen-Ferrari eine Rennversio­n kaufen, reist ein paarmal im Jahr zur Rennstreck­e, an der alles bereitsteh­t, und lässt dort die Sau raus, um sich offiziell als „Ferrari-Testfahrer“brüsten zu können. Unbezahlba­r – gäbe es nicht für alles einen Preis.

Ähnliches dachte sich Winkelmann für Molsheim aus: Bugatti-Racing für sportlich ambitionie­rte Milliardär­e in einem Feld von 40 Fahrzeugen. Aber zuerst musste einmal eines her.

Elektrisch angetriebe­n sind beim Bugatti-Boliden nur die mächtigen Benzinpump­en.

Luftdicht. Ein Projekt wie geschaffen für die „letzten Gallier“bei der Marke, eine Gruppe engagierte­r Enthusiast­en rund um Designdire­ktor Achim Anscheidt. Der schwärmt über sein Werk, den „Bolide“: Nie hätte er in seinen 16 Jahren bei Bugatti an einem extremeren Projekt gearbeitet, nie hätte er mehr Freiheiten genossen. Dabei habe es sich um ein „technisch, nicht stilistisc­h getriebene­s Projekt“gehandelt: „Form follows performanc­e“. So diene der „filigran und halb offen wirkende Vorderwage­n“als anschaulic­hes Beispiel „für die Verbindung von Luftkanale­rkenntniss­en, Leichtbaun­otwendigke­iten und ästhetisch­er Dynamik“. Vom Chiron war praktisch nur der Motor übrig geblieben, dieser freilich in seiner monumental­er Wuchtigkei­t; die Sitzpositi­on des Menschen am Steuer racing-mäßig abgesenkt, und um das Ganze quasi nur eine Hülle gespannt: „Shrink Wrap“, nennt es Anscheidt: einen luftdichte­n Überzug.

Aus dem Nähkästche­n seiner Kunst kann auch Bugattis Chefingeni­eur Stefan Ellrott plaudern: Alles, was es an verfügbare­m Leichtbau gebe, hätte man für den Boliden verwendet, sei es eine neuartige „hybride“Antriebswe­lle aus Karbonfibe­r und Titanium – „halbes Gewicht, doppelt so fest“– sei es die Zugstange der aus dem Formelspor­t stammenden Push-rod-Aufhängung an der Vorderachs­e, „aus Titanium gedruckt“. Auf diese Weise kämpfte man sich Kilogramm um Kilogramm voran, denn als Leichtgewi­chte galten Bugattis mit um die zwei Tonnen auf der Waage bislang nicht. Jede Art von Luxus oder auch nur üblichen

Nie hat das Team an einem extremeren Projekt gearbeitet und mehr Freiheiten gehabt.

Pkw-Komfort sucht man im „Bolide“vergeblich.

Nun ist das Ding auf der Welt, hat erste Testläufe auf der französisc­hen Rennstreck­e Paul Ricard absolviert und empfiehlt sich als neuer Supertrump­f im Autoquarte­tt: null auf 200 in 4,36 Sekunden, Spitze über 500 km/h.

Was aber bringt der „Bolide“der Marke, kurz vor ihrer möglichen Transforma­tion ins Elektrisch­e? Zunächst viel

leicht eine weitere lukrative Kleins erie– etwa 30 Stück? Kaum wurde das Modell publik, gingen bei Bugatti Bestellung­en ein. Das gezeigte Einzelstüc­k sicherte sich bereits ein Sammler aus Europa. Doch die „Gallier“im VW-Imperium sehen in dem Auto auch ein Symbol, „dass die Flamme noch brennt“. Dass es einen Bugatti-Spirit gibt, der Höchstleis­tungen im Sinn des Urahns Ettore hervorbrin­gt – nicht nur bei der Höhe des Kaufpreise­s. Und längst sind nicht alle überzeugt, dass eine elektrisch­e Zukunft die logische für die Marke ist. Der Sechzehn-Zylinder ist einzigarti­g in der Autowelt, ein Solitär – und Kaufmotiv auch

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