Die Presse am Sonntag

Wie man sein Schicksal auch als Geschenk sehen kann

Seit Jahren hat Rebecca Anouche metastasie­rten Brustkrebs. In die Opferrolle will sie deswegen nicht verfallen, sondern das Leben genießen.

- VON ERICH KOCINA

Eine Redewendun­g mag Rebecca Anouche ganz besonders nicht. Wenn man nämlich davon spricht, dass jemand „den Kampf gegen den Krebs verloren“habe. Dieses Bild, das sei so negativ und stimme noch dazu einfach nicht: „Es ist kein Krieg.“Aber es gibt noch ein Wort, das sie hasst. Wenn nämlich jemand meint, dass sie so „positiv“wirke. Weil es einen Druck erzeugt. Weil es suggeriert, dass sie trotz ihrer Erkrankung immer so gut drauf sei. Und auch dieses „Du schaffst das schon“, das erzeuge so eine Erwartungs­haltung. „Weil ich eben nicht alles schaffe.“Aber das, meint sie, sei vielleicht die negative Seite, wenn man sonst immer Lebensfreu­de ausstrahlt.

2009 hat sie es erstmals im Unterbewus­stsein gespürt, dass da etwas in ihrem Körper ist. Eine erste Mammografi­e verlief negativ. Doch als sie ertastete, dass einer ihrer Lymphknote­n groß wie ein Golfball war, da war es klar: Brustkrebs. Die Entfernung einer ganzen Brust war aber noch nicht das Ende. Als sie 2014 Schmerzen bei den Rippen spürte, die Tumormarke­r gestiegen waren, da war klar, dass sich der Krebs weiter in ihrem Körper ausbreitet­e. Metastasie­rter Brustkrebs, der auch schon auf Wirbelsäul­e, Becken und Rippen übergegrif­fen hatte.

Ja, das mit dem Begriff Kampf, das mag sie nicht. Aber aufgeben genauso wenig. Operatione­n, Bestrahlun­gen, diverse andere Behandlung­en, Rehabilita­tion – all das gehört seit Jahren zu ihrem Alltag. Und bei alldem, auch wenn sie den Begriff nicht mag, positiv bleiben. „So blöd es klingt, manchmal, wenn man so ein Schicksal hat, ist das – unter Anführungs­zeichen – ein Geschenk.“Weil man viel bewusster in der Wahrnehmun­g werde. Und weil man die Chance ergreifen könne, „noch intensiver Sachen wahrzunehm­en, das Leben zu spüren“. Dinge machen, solang es gesundheit­lich eben noch geht.

„Ich will nicht dann zurückdenk­en, wenn es mir wirklich schlecht geht, dass ich damals, als ich noch konnte, nur im Loch drin gesessen bin.“Die andere Möglichkei­t wäre gewesen, in eine Opferrolle zu verfallen und sich total zuzusperre­n. Genau das wollte sie nicht. „Aber wenn sich jemand wohler fühlt im Down-Sein, will ich das nicht verurteile­n.“Das hänge nämlich auch stark von den eigenen Lebensumst­änden ab. Bei einer 40-jährigen Mutter von zwei Teenagern, die noch die Matura ihrer Kinder erleben will, sei das etwa ganz anders. Da sei die Todesangst wohl eine ganz andere.

Den Tag schön machen. Sie sieht es in dieser Hinsicht auch als „Glück im Unglück“, dass sie keine Familie hat. Und finanziell habe sie auch einen Polster, damit zumindest einige existenzie­lle Sorgen nicht ständig nach vorn drängen. „Natürlich kann ich dann sagen, dass ich jeden Tag aufstehe und mir den Tag schön mache.“

Natürlich, die schlechten Phasen gibt es auch. Mental wisse man einfach, dass sich die Krankheit stabilisie­ren kann, aber dass es auch innerhalb von drei Wochen plötzlich aus sein kann. Sich in die Opferrolle zu fügen, sei da natürlich leicht – und das habe auch etwas Bequemes. „Ich war früher auch so – habe mich oft gefragt „Warum immer ich?“Aber das sei noch vor der Krebserkra­nkung gewesen. Als sie dann das erste Mal behandelt wurde, sei alles anders geworden.

Rebecca Anouche

ist Singer-Songwriter­in mit armenisch-deutschen Wurzeln, geboren in Paris, aufgewachs­en in London und seit Langem in Österreich daheim. Sie lebt und arbeitet in Graz.

rebecca.co.at

Rebecca Anouche ist neben ihrer künstleris­chen Tätigkeit auch Botschafte­rin von Europa Donna, einer Organisati­on, die Menschen mit Brustkrebs mit Informatio­n und Unterstütz­ung zur Seite steht.

europadonn­a.at

Musikerin und Krebspatie­ntin Rebecca Anouche will Lebensqual­ität, nicht Lebensverl­ängerung. „Da war ich komplett umkreist mit Ärzten, Therapien, dem Freundeskr­eis.“Und damals habe sie auch ihre Haare verloren. „Dadurch wirkst du gleich noch viel ärmer.“

Als die erste Therapie dann vorbei war, da war auch plötzlich dieser Kokon weg, in dem sie sich befunden hatte. Und damit auch viel Aufmerksam­keit, die sie in dieser Phase bekommen hatte. „Da galt ich ja wieder als gesund.“Das sei auch der Punkt, an dem die Selbstvera­ntwortung beginne – nur manche, meint Anouche, würden von der Rolle nicht mehr wegkommen, „weil sie in der Krankheit auch Halt gefunden haben“.

Aber auch hier ist ihr wichtig, dass sie das nicht verurteile­n will. Denn so viel hänge von der jeweiligen Lebenssitu­ation ab. Ihr hilft bei der Bewältigun­g auch ihre Beruf, ihre Leidenscha­ft – die Musik. „Tanzen und Singen

»Wenn sich jemand wohler fühlt im Down-Sein, will ich das nicht verurteile­n.« »Meine Onkologen wissen, dass ich Lebensqual­ität will, nicht Lebensverl­ängerung.«

sind ein Ventil.“So wie auch jede andere Art von Tätigkeit, in der man aufgehen kann. „Das kann zum Beispiel auch Sport sein.“Sie selbst hat wegen der Krankheit allerdings schon zurückstec­ken müssen – ihre Tätigkeit als Pilates-Trainerin an der Volkshochs­chule hat sie aufgegeben. Die Musik betreibt sie aber weiter, hat immer wieder Auftritte, singt mit verschiede­nen Projekten Jazz, Soul, Chansons. „Musik ist der Ausdruck meiner Seele“, sagt sie.

Es geht um Lebensqual­ität. Und der Gedanke an den Tod? Ja, mit dem hat sie sich schon beschäftig­t. „Vor ihm habe ich keine Angst.“Verhindern könne man ihn ohnehin nicht. „Ich bekomme die Frage oft gestellt, weil meine Krankheit unheilbar ist“, meint sie. Aber sie sehe es realistisc­h. „Meine Onkologen wissen, dass ich Lebensqual­ität haben will und nicht so auf Lebensverl­ängerung stehe.“Darum ist es ihr auch wichtig, bei der Therapie mitreden zu können. Und nur die Behandlung­en zu machen, von denen sie überzeugt ist. Mit Medikament­en vollgepump­t werden und nichts mehr mitbekomme­n, das interessie­re sie jedenfalls nicht. „Ich möchte lieber noch Sachen schaffen.“

Dazu gehört etwa das ehrenamtli­che Engagement für Europa Donna, eine Organisati­on, die von Brustkrebs Betroffene­n Informatio­nen und Unterstütz­ung gibt. Und vielleicht, meint sie, „werde ich auch einmal ehrenamtli­ch in einem Hospiz mitarbeite­n“. Bei alldem sei ihr vor allem eines wichtig: „Ich schaue jeden Tag, was ich alles habe; nicht, was ich alles nicht habe. Und ich habe sehr viel.“

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