Wie man sein Schicksal auch als Geschenk sehen kann
Seit Jahren hat Rebecca Anouche metastasierten Brustkrebs. In die Opferrolle will sie deswegen nicht verfallen, sondern das Leben genießen.
Eine Redewendung mag Rebecca Anouche ganz besonders nicht. Wenn man nämlich davon spricht, dass jemand „den Kampf gegen den Krebs verloren“habe. Dieses Bild, das sei so negativ und stimme noch dazu einfach nicht: „Es ist kein Krieg.“Aber es gibt noch ein Wort, das sie hasst. Wenn nämlich jemand meint, dass sie so „positiv“wirke. Weil es einen Druck erzeugt. Weil es suggeriert, dass sie trotz ihrer Erkrankung immer so gut drauf sei. Und auch dieses „Du schaffst das schon“, das erzeuge so eine Erwartungshaltung. „Weil ich eben nicht alles schaffe.“Aber das, meint sie, sei vielleicht die negative Seite, wenn man sonst immer Lebensfreude ausstrahlt.
2009 hat sie es erstmals im Unterbewusstsein gespürt, dass da etwas in ihrem Körper ist. Eine erste Mammografie verlief negativ. Doch als sie ertastete, dass einer ihrer Lymphknoten groß wie ein Golfball war, da war es klar: Brustkrebs. Die Entfernung einer ganzen Brust war aber noch nicht das Ende. Als sie 2014 Schmerzen bei den Rippen spürte, die Tumormarker gestiegen waren, da war klar, dass sich der Krebs weiter in ihrem Körper ausbreitete. Metastasierter Brustkrebs, der auch schon auf Wirbelsäule, Becken und Rippen übergegriffen hatte.
Ja, das mit dem Begriff Kampf, das mag sie nicht. Aber aufgeben genauso wenig. Operationen, Bestrahlungen, diverse andere Behandlungen, Rehabilitation – all das gehört seit Jahren zu ihrem Alltag. Und bei alldem, auch wenn sie den Begriff nicht mag, positiv bleiben. „So blöd es klingt, manchmal, wenn man so ein Schicksal hat, ist das – unter Anführungszeichen – ein Geschenk.“Weil man viel bewusster in der Wahrnehmung werde. Und weil man die Chance ergreifen könne, „noch intensiver Sachen wahrzunehmen, das Leben zu spüren“. Dinge machen, solang es gesundheitlich eben noch geht.
„Ich will nicht dann zurückdenken, wenn es mir wirklich schlecht geht, dass ich damals, als ich noch konnte, nur im Loch drin gesessen bin.“Die andere Möglichkeit wäre gewesen, in eine Opferrolle zu verfallen und sich total zuzusperren. Genau das wollte sie nicht. „Aber wenn sich jemand wohler fühlt im Down-Sein, will ich das nicht verurteilen.“Das hänge nämlich auch stark von den eigenen Lebensumständen ab. Bei einer 40-jährigen Mutter von zwei Teenagern, die noch die Matura ihrer Kinder erleben will, sei das etwa ganz anders. Da sei die Todesangst wohl eine ganz andere.
Den Tag schön machen. Sie sieht es in dieser Hinsicht auch als „Glück im Unglück“, dass sie keine Familie hat. Und finanziell habe sie auch einen Polster, damit zumindest einige existenzielle Sorgen nicht ständig nach vorn drängen. „Natürlich kann ich dann sagen, dass ich jeden Tag aufstehe und mir den Tag schön mache.“
Natürlich, die schlechten Phasen gibt es auch. Mental wisse man einfach, dass sich die Krankheit stabilisieren kann, aber dass es auch innerhalb von drei Wochen plötzlich aus sein kann. Sich in die Opferrolle zu fügen, sei da natürlich leicht – und das habe auch etwas Bequemes. „Ich war früher auch so – habe mich oft gefragt „Warum immer ich?“Aber das sei noch vor der Krebserkrankung gewesen. Als sie dann das erste Mal behandelt wurde, sei alles anders geworden.
Rebecca Anouche
ist Singer-Songwriterin mit armenisch-deutschen Wurzeln, geboren in Paris, aufgewachsen in London und seit Langem in Österreich daheim. Sie lebt und arbeitet in Graz.
rebecca.co.at
Rebecca Anouche ist neben ihrer künstlerischen Tätigkeit auch Botschafterin von Europa Donna, einer Organisation, die Menschen mit Brustkrebs mit Information und Unterstützung zur Seite steht.
europadonna.at
Musikerin und Krebspatientin Rebecca Anouche will Lebensqualität, nicht Lebensverlängerung. „Da war ich komplett umkreist mit Ärzten, Therapien, dem Freundeskreis.“Und damals habe sie auch ihre Haare verloren. „Dadurch wirkst du gleich noch viel ärmer.“
Als die erste Therapie dann vorbei war, da war auch plötzlich dieser Kokon weg, in dem sie sich befunden hatte. Und damit auch viel Aufmerksamkeit, die sie in dieser Phase bekommen hatte. „Da galt ich ja wieder als gesund.“Das sei auch der Punkt, an dem die Selbstverantwortung beginne – nur manche, meint Anouche, würden von der Rolle nicht mehr wegkommen, „weil sie in der Krankheit auch Halt gefunden haben“.
Aber auch hier ist ihr wichtig, dass sie das nicht verurteilen will. Denn so viel hänge von der jeweiligen Lebenssituation ab. Ihr hilft bei der Bewältigung auch ihre Beruf, ihre Leidenschaft – die Musik. „Tanzen und Singen
»Wenn sich jemand wohler fühlt im Down-Sein, will ich das nicht verurteilen.« »Meine Onkologen wissen, dass ich Lebensqualität will, nicht Lebensverlängerung.«
sind ein Ventil.“So wie auch jede andere Art von Tätigkeit, in der man aufgehen kann. „Das kann zum Beispiel auch Sport sein.“Sie selbst hat wegen der Krankheit allerdings schon zurückstecken müssen – ihre Tätigkeit als Pilates-Trainerin an der Volkshochschule hat sie aufgegeben. Die Musik betreibt sie aber weiter, hat immer wieder Auftritte, singt mit verschiedenen Projekten Jazz, Soul, Chansons. „Musik ist der Ausdruck meiner Seele“, sagt sie.
Es geht um Lebensqualität. Und der Gedanke an den Tod? Ja, mit dem hat sie sich schon beschäftigt. „Vor ihm habe ich keine Angst.“Verhindern könne man ihn ohnehin nicht. „Ich bekomme die Frage oft gestellt, weil meine Krankheit unheilbar ist“, meint sie. Aber sie sehe es realistisch. „Meine Onkologen wissen, dass ich Lebensqualität haben will und nicht so auf Lebensverlängerung stehe.“Darum ist es ihr auch wichtig, bei der Therapie mitreden zu können. Und nur die Behandlungen zu machen, von denen sie überzeugt ist. Mit Medikamenten vollgepumpt werden und nichts mehr mitbekommen, das interessiere sie jedenfalls nicht. „Ich möchte lieber noch Sachen schaffen.“
Dazu gehört etwa das ehrenamtliche Engagement für Europa Donna, eine Organisation, die von Brustkrebs Betroffenen Informationen und Unterstützung gibt. Und vielleicht, meint sie, „werde ich auch einmal ehrenamtlich in einem Hospiz mitarbeiten“. Bei alldem sei ihr vor allem eines wichtig: „Ich schaue jeden Tag, was ich alles habe; nicht, was ich alles nicht habe. Und ich habe sehr viel.“