Die Presse am Sonntag

»Mit dem Tod beschä

- VON ERICH KOCINA

Die Beschäftig­ung mit der eigenen Vergänglic­hkeit habe nichts mit einer Lebensvers­icherung oder einer Führung auf dem Zentralfri­edhof zu tun, sagt Trauerbegl­eiter Martin Prein. Da müsse man schon um einiges tiefer in sich selbst hineinscha­uen.

Sie beschäftig­en sich ja vor allem damit, was passiert, wenn der Tod schon eingetrete­n ist. Aber Sie bekommen über die Angehörige­n sicher auch mit, was davor passiert. Martin Prein: Es gibt Angehörige, die berichten, dass jemand friedlich entschlafe­n ist. Aber ich höre immer wieder auch von schweren Leidensweg­en – zum Teil auch trotz Palliativb­etreuung. Von den Trauernden bekomme ich beide Seiten zu hören.

Es gibt aber jedenfalls auch das angenehme Hinübergle­iten in den Tod?

Natürlich. Aber, da lehne ich mich jetzt weit hinaus – ich bin mir nicht sicher, ob man diesen angenehmen Tod immer sicher herstellen kann. Ich glaube, das sagen Palliativm­ediziner auch.

Viele Menschen sagen ja, sie haben keine Angst vor dem Tod, aber sehr wohl Angst vor dem Sterben.

Man könnte eine Definition aufstellen: Sterben ist noch leben, die Schlusspha­se. Aber das Zentrale am Sterben ist, dass es noch im Leben stattfinde­t. Das bedeutet: Es ist nicht mehr Sterben, wenn ein Toter vor uns liegt. Das ist auch für uns als Mitmensche­n, als Lebende, ganz etwas anderes.

Hat die Angst vor dem Sterben auch mit der Art des Todes zu tun?

Wir gehen immer von einem Sterbenden aus, der alt und krank ist und die letzten Wochen vor sich hat – so sterben aber nicht alle. Viele sterben ja auch innerhalb von Sekunden, zum Beispiel durch einen Unfall. Wenn Menschen sagen, sie haben Angst vor dem Sterben, hoffen sie halt, dass sie schnell und schmerzfre­i sterben. Aber sie sagen, dass sie vor dem Totsein an sich keine Angst haben – das glaube ich ihnen aber nicht.

Warum nicht?

Weil die ganze Biologie auf Arterhaltu­ng ausgericht­et ist. Selbst wenn ich sage, dass mir der Tod egal ist, und ich in einem Flugzeug sitze, in dem die Triebwerke brennen und alles nach unten trudelt, glaube ich nicht, dass man dann sagt: „Ah, schau, jetzt sterbe ich bei einem Flugzeugun­glück. Warum schreien denn die anderen so blöd?“Jeder, der einmal Panikattac­ken gehabt hat, hat einen kleinen Eindruck bekommen, wie sich diese tief in uns sitzende Todesangst anfühlt.

Und wie fühlt sich die an?

Es ist die Bewusstwer­dung, dass wir sterben werden. Unser Hirn befähigt uns aber auch, dass wir mit diesem Wissen leben können. Da haben wir menschheit­sgeschicht­lich Dinge aufgericht­et, um uns davor zu schützen: Kultur, Gesellscha­ft, Religion, Werte, aber auch ganz selbstwert­dienliche Überzeugun­gen – symbolisch­e Unsterblic­hkeit in unseren Kindern, unseren Werken. Vieles ist in Wahrheit von Todesangst getrieben, was von draußen aber nicht so ausschaut.

Also haben wir uns eine Art Schutzschi­ld aufgebaut.

Genau, wir haben einige psychologi­sche Mechanisme­n, die verhindern, dass diese Todesangst durchbrich­t. Unsere tiefsten Seelenschi­chten nagen viel öfter an dieser Todesangst herum, als uns bewusst ist.

Und wie arbeiten wir dagegen?

Da ist etwa dieses Selbstwert­gefühl, diese eigene Bedeutung. Das meine ich nicht narzisstis­ch im Sinn von „Ich bin so wichtig“, aber irgendwo in uns drin haben wir schon so eine Überzeugun­g, dass es mich gibt, das ist schon etwas Besonderes. Religion und Esoterik bedienen das ganz gut. Viele selbstwert­stabilisie­rende Dinge helfen uns, dass die Todesangst nicht durchdring­t. Wir sehen sofort, wenn man Menschen den Selbstwert nimmt, wenn man sie zutiefst entwürdigt, dann löst man in ihnen existenzie­lle Ängste aus.

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