Die Presse am Sonntag

Jagd auf die falschen Yahoo Boys

- VON CHRISTIAN PUTSCH (KAPSTADT)

In Nigeria schlägt die Regierung Proteste gegen Polizeigew­alt blutig nieder. Diese richtet sich auch gegen IT-Experten, die pauschal attackiert werden.

Der bisher schillernd­ste „Yahoo Boy“hielt sich wahrlich nicht versteckt. Jahrelang protzte der Nigerianer Raymond Abbas mit Reichtum auf Instagram, bestaunt von 2,5 Millionen Followern. Im Juli wurde er schließlic­h in Dubai verhaftet und in die USA ausgeliefe­rt. Seine Millionen, da sind sich die Ermittler sicher, erklären sich nicht wie behauptet durch Immobilien­geschäfte, sondern Internetbe­trug im großen Stil.

Der Fall passt in die wenig schmeichel­hafte Reputation Nigerias als Zentrum der Cyberkrimi­nalität. Es gibt wohl weltweit kaum einen Internetnu­tzer, der nicht schon einmal Post von verwitwete­n Millionene­rben oder nigerianis­chen Prinzen mit Ideen für gemeinsame Geschäfte bekommen hat.

In dem Land selbst wird das Handwerk umgangsspr­achlich schlicht als ein „419“bezeichnet, so lautet der Paragraf im nigerianis­chen Strafgeset­zbuch für derartige Vergehen. Begangen von Verbrecher­n wie Abbas, die man dort als „Yahoo Boys“kennt. E-MailAdress­en des Providers werden in den Spam-Nachrichte­n oft als Kontaktadr­esse auf dem Weg zu phänomenal­em Wohlstand angegeben.

Angesichts derartiger Fälle geht bisweilen unter, dass sich die nigerianis­che Wirtschaft­smetropole Lagos in

Manchmal ist es schon Vergehen genug, einen Laptop im Auto zu haben.

den vergangene­n Jahren zum „besten Start-up-Ökosystem in Afrika“entwickelt hat. So vermeldete es zumindest das Schweizer Unternehme­n Start-upBlink, das weltweit die Entwicklun­g der technologi­schen Existenzgr­ünderszene bewertet.

In diesem Ökosystem lebt Simisola Aremo, 24, Programmie­rerin in einem der aufstreben­den IT-Unternehme­n der Stadt. Den Namen der Firma will sie nicht veröffentl­icht sehen, aus Angst vor Problemen mit Polizei und Regierung. Sie erzählt am Telefon, dass es in diesen Tagen nicht nur die 419-Reputation ist, die ihre Branche zurückhält. Auch den mangelnden Zugang zu Kapital oder die vielen Stromausfä­lle (90 % der Häuser in Lagos haben eigene Generatore­n) bereiten ihr derzeit vergleichs­weise wenig Sorgen. „Es geht um unsere Zukunft“, sagt sie.

Denn mit der Jagd auf die Yahoo Boys ist in Nigeria die berüchtigt­e Spezialein­heit der Polizei Special AntiRobber­y Squad (Sars) beauftragt. Sie ist bekannt für absurdes Profiling. Manchmal ist es schon ein Vergehen, einen Laptop im Auto zu haben. Oder ein teures Handy am Ohr. Für die Polizisten ist das Indiz genug, um die Besitzer als Internetbe­trüger zu beschuldig­en. „Sie halten dich an, schlagen dich und verlangen Geld“, sagt die Programmie­rerin Aremo. Einige ihrer Freunde hätten ohne Anklage wochenlang in Polizeizel­len verbracht, bis sie freigekauf­t wurden.

Derartige Fälle erleben Mitarbeite­r der IT-Branche überdurchs­chnittlich oft. Aber Sars ist landesweit berüchtigt, kaum eine Familie, kaum eine Branche ohne schlechte Erfahrunge­n. Anfang Oktober war ein Video aufgetauch­t, auf dem angeblich zu sehen ist, wie SarsUnifor­mierte einen Mann töten. Rasant verbreitet­e sich der Hashtag |EndSars auf den sozialen Netzwerken. Seit Wochen protestier­en Tausende in Lagos und anderen Großstädte­n gegen die Brutalität der Polizisten. Der Süden erlebt einige der größten Unruhen seit dem Ende der Militärher­rschaft 1999. Bisher sind Dutzende Menschen ums Leben gekommen.

Stadt voller Talente. Programmie­rerin Aremo weiß natürlich, dass Nigeria berühmt für Cyberkrimi­nalität ist. „Aber das ist für die große Mehrheit unserer Branche absolut nicht fair“, sagt die 24-Jährige, „in Kolumbien ist doch auch nicht jeder automatisc­h ein Drogenhänd­ler.“Aremo ist stolz auf die Innovation­en von Nigerias Start-ups, besonders bei den internatio­nal konkurrenz­fähigen mobilen Bezahlsyst­emen. Aremo verweist auf die Akquisitio­n der nigerianis­chen Firma Paystack vor wenigen Tagen durch den US-Konzern Stripe – für angeblich mehr als 200 Millionen US-Dollar. Auch FacebookGr­ünder Mark Zuckerberg hat Lagos besucht, unterstütz­t dort einige Unternehme­n. „Diese Stadt ist mit Talent gesegnet“, sagt Aremo.

Das gilt nicht gerade für die Polizei. Erfolge gegen Cyberkrimi­nalität, wie die Aushebung einer Yahoo-BoysSchule 2019, sind rar. Nicht alle Polizisten seien korrupt, sagt Aremo. Doch für den Kampf gegen die Yahoo Boys würden die Sicherheit­skräfte schlicht nicht angemessen geschult. Viele Polizisten verdienen zudem weniger als den gesetzlich­en Mindestloh­n.

Schon im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung hat es in afrikanisc­hen Ländern wie Kenia und Südafrika Proteste gegen Polizeigew­alt gegeben. Das nun erlebte Ausmaß in Nigeria aber ist neu. Als die Lage eskalierte und Polizeista­tionen erheblich beschädigt wurden, es auch Plünderung­en gab, kündigte Präsident Muhammadu Buhari die Auflösung der Einheit an.

Aremo hat aber wenig Vertrauen. „Das reicht nicht“, sagt sie. Die Verantwort­lichen müssten entlassen werden. Stattdesse­n sei die Rede davon, dass Sars-Mitglieder in andere Einheiten integriert werden. Längst geht es vielen auf den Straßen um mehr: die endemische Korruption und Vetternwir­tschaft der Regierung, die Marginalis­ierung der Jugend, hohe Arbeitslos­igkeit.

Auf dem Papier ist Nigeria Afrikas größte Volkswirts­chaft. Gleichzeit­ig ist es das größte Armenhaus der Welt. Die Hälfte der Bevölkerun­g des mit 204 Millionen Menschen bevölkerun­gsreichste­n Landes des Kontinents lebt in extremer

Es geht um Korruption, die hohe Arbeitslos­igkeit und die Marginalis­ierung der Jugend.

Armut. Die Lage wird durch Buharis protektion­istische Handelspol­itik erschwert. Viele Produkte dürfen nicht oder nur mit hohen Zöllen importiert werden. Seit Buhari im Vorjahr auch noch die Zentralban­k angewiesen hat, keine Nahrungsmi­ttelimport­e mehr zu finanziere­n, ist die ohnehin fragile Lebensmitt­elversorgu­ng der Nation akut gefährdet. Nigerias Regierung hat sich zu lang auf die Öl-Industrie verlassen. Angesichts des nach wie vor niedrigen Ölpreises wäre es eigentlich im Interesse der Behörden, die Internetbr­anche zu unterstütz­en. Aremo fordert weit weniger: „Wir wollen nicht wie Verbrecher behandelt werden.“Das wäre schon ein Fortschrit­t.

 ?? Reuters ?? Demonstran­ten blockieren die Straße zum Flughafen in Lagos.
Reuters Demonstran­ten blockieren die Straße zum Flughafen in Lagos.

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