Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Trump der Friedliche. Der größte Maulheld der jüngeren US-Geschichte hat Amerika aus mehr Konflikten herausgeha­lten als seine Vorgänger. Vielleicht gerade weil sein Ego so groß ist?

Es kann ja sein, dass in ein paar Tagen die Welt wieder mit offenem Mund dasteht und sich fragt, wie Donald Trump ein zweites Mal eine Mehrheit finden konnte. Dass er nach vier Jahren Narzissmus, Polarisier­ung und auch noch Corona-Stümperei überhaupt eine Chance hat, ist ja erstaunlic­h genug.

Aber ganz so irrational ist die Sache nicht. Trump-Wähler können sich etwa damit beruhigen, dass die USA in der Corona-Opferzahl immerhin noch besser wegkommen als Belgien, Spanien und Italien, deren Regierunge­n keineswegs mit Hohn bedacht werden.

Und dann ist da der seltsame Umstand, dass die USA heute in der Weltpoliti­k relativ sicher dastehen, und das vielleicht gerade wegen des Narzissmus. In Trumps Lebenshilf­e-Buch „Think Big“aus dem Jahr 2010 lernt man ihn als Mensch kennen, der vom Erfolg lebt und unter keinen Umständen ein Loser sein will. Die Welt ist ein böser Ort, an dem selbst deine Freunde hinter dem her sind, was dir gehört. Mitarbeite­r haben daher vor allem loyal zu sein, und auch vor denen musst du auf der Hut sein. Ein eigenes Kapitel widmet sich genussvoll der Rache: Wenn jemand dich schlägt, schlag härter zurück!

Millionen Amerikaner haben das gelesen, die bei Trump Unterstütz­ung für ihren nicht unamerikan­ischen Traum spüren, jemand zu sein, weil man Geld und Erfolg hat. Aber auch die Stäbe von Putin, Erdog˘an etc. dürften das ausgewerte­t haben: Aha, einer wie wir! So unberechen­bar, rücksichts­los und daher so gefährlich wie wir. Und darum bleibt man in Respektabs­tand. Und was einem keinen persönlich­en Erfolg verspricht, lässt man lieber sein.

Die Wikipedia-Statistik ist eindrucksv­oll: Die fünf Präsidente­n von Reagan bis Obama haben die USA in 28 bewaffnete Konflikte hineingezo­gen. Bei Trump steht ein einziger Eintrag: der Schlagabta­usch mit dem Iran seit Mai 2019. Und in seine Regierungs­zeit fallen die größten diplomatis­chen Erfolge im Nahen Osten seit Langem.

Die Sache ist natürlich komplexer. Aber Trump als Champion des amerikanis­chen Traums und als personifiz­ierte Abschrecku­ng hat einen rationalen Appeal (ganz zu schweigen von seiner Bedeutung für die konservati­ve Seite des US-Kulturkamp­fs). Gleichzeit­ig ist es beunruhige­nd, dass die Weltpoliti­k tatsächlic­h der Dschungel ist, in dem der brustschla­gende Gorilla sich mehr Respekt verschafft als der vergleichs­weise nachdenkli­che Schimpanse. Und was bedeutet es auf längere Sicht für die Demokratie­n, wenn sich der Typus Trump durchsetzt, in dessen Buch sieben Mal „kick-ass attitude“vorkommt, aber kein einziges Mal das Wort Integrität?

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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