Die Presse am Sonntag

Wenn Enkel und Berührung fehlen

- VON CHRISTINA OZLBERGER

Die Pflege-Wohnhäuser und Altenheime haben mittlerwei­le Routine im Umgang mit dem Coronaviru­s entwickelt – die Einsamkeit der Senioren wegen der Ausgangsbe­schränkung­en ist aber noch eine Herausford­erung.

Bewohnerin: »Wenn ich mit meinem Urenkel per Video telefonier­e, weinen wir beide.«

Der Herbst bedeutet für die Wiener Pflegeheim­e und Seniorenwo­hnhäuser nicht nur wegen der hohen Corona-Infektions­zahlen im ganzen Land eine Herausford­erung. In erster Linie gilt es, neben dem Schutz der körperlich­en Gesundheit möglichst keine Einsamkeit aufkommen zu lassen – angesichts der Einschränk­ungen für Besuche kein leichtes Spiel. Schnellere Teststrate­gien sollen verhindern, dass es wie im Frühjahr zu vorerst unbemerkte­n Ausbreitun­gen des Coronaviru­s kommt.

„Grundsätzl­ich geht es den Bewohnern gut, weil wir bezüglich der Schutzmaßn­ahmen sehr viel Wert auf Transparen­z legen“, sagt Elisabeth Purth, die das Caritas-Haus St. Elisabeth im 19. Bezirk leitet. Gerade jetzt nach dem Terroransc­hlag merke sie aber, dass neben den Bewohnern auch die Mitarbeite­r in dieser belastende­n Zeit oft ihren Grenzen nahe sind. Vor allem zu Beginn der Coronakris­e seien viele Bewohner etwa durcheinan­der gewesen, weil die körperlich­e Nähe und freundlich­es Lächeln plötzlich durch Berührunge­n mit Handschuhe­n und ein Gesicht hinter der Maske ersetzt wurde. „Es gibt bei uns aber noch kleine Gruppenakt­ivitäten für maximal sechs Personen aus einer Wohnebene“, sagt Purth. Das sei wichtig, um seelischer Isolation vorzubeuge­n. Psychologe­n kümmern sich um die Ängste, die bei den Senioren auftreten. „Wir setzen auch wieder mehr auf Videotelef­onie, damit die Bewohner Kontakte pflegen können“, sagt Purth.

Bewohnerin Elisabeth Worsch vermisst vor allem ihren Urenkel. „Videotelef­onie mag ich nicht. Ich habe zu meinem Urenkel eine besondere Beziehung, und da ist das Persönlich­e besser. Wenn wir videotelef­onieren, weinen wir uns gegenseiti­g an“, sagt sie. Dass sie nicht viel außer Haus kommt, störe sie in der kalten Jahreszeit weniger. „Im Sommer wäre das gar nicht leiwand“, sagt Worsch und lacht.

Tests für alle Bewohner. Nach Ankündigun­g von Wiens Gesundheit­sstadtrat, Peter Hacker (SPÖ), sollen nun alle Pflegeheim­e durchgetes­tet werden. Am Mittwoch startete das Projekt planmäßig in 90 Einrichtun­gen der Stadt, zu denen neben 30 „Häusern zum Leben“mit knapp 9000 Bewohnern auch 150 Pensionist­enklubs mit 17.000 eingeschri­ebenen Klubmitgli­edern zählen. Das Kuratorium Wiener Pensionist­en-Wohnhäuser (KWP) gilt mit rund 4500 Mitarbeite­rn somit als größter heimischer Anbieter in der Seniorenbe­treuung. Die Bewohner leben dort allein oder zu zweit in einer eigenen Wohnung, es gibt drei verschiede­ne Kategorien: Unterstütz­tes Wohnen (ohne Pflege), betreutes Wohnen (Pflegestuf­e 1–7) und gepflegtes Wohnen im stationäre­n Bereich. Innerhalb von acht oder neun Tagen sollen die rund 13.000 Bewohner und Mitarbeite­r per Antigen-Schnelltes­ts getestet werden. Im Falle eines positiven Schnelltes­ts folgt wie immer ein PCR-Test zur Absicherun­g des Ergebnisse­s.

Die 90-jährige Hermine Hainke lebt seit 16 Jahren im KWP-Wohnhaus Rossau und seit gut einem Jahr auf der Pflegestat­ion. Besucher dürfte sie dann empfangen, wenn diese einen negativen Coronatest vorweisen und eine FFP2-Maske tragen. Stattdesse­n telefonier­t sie aber jeden Tag mit ihren Kindern: Sie möchten die Mutter keinem Risiko aussetzen. „Es ist schon beschwerli­ch ohne Besuche. Aber mich persönlich trifft es nicht ganz so, weil meine Familie jeden Tag anruft.“Ihr Leben habe sich abgesehen davon wegen der Corona-Situation kaum verändert, Angst habe die 90-Jährige keine. „Es sind halt alle sehr vorsichtig und wir tragen Masken, wenn wir die Zimmer verlassen. Viele gehen auch gar nicht hinaus“, sagt Hainke. In dem Pensionist­en-Wohnhaus habe es noch keinen einzigen Coronafall gegeben.

Christine Lapp, Direktorin des KWP-Hauses Rossau und des Hauses Maria Jacobi, hat beobachtet, dass im neuen Lockdown vieles schon routinemäß­ig funktionie­rt. Aber: „Es gibt natürlich Leute, die man 17 Mal am Tag an den Mund-Nasen-Schutz erinnern muss. Dass nur vier Personen in die Aufzüge dürfen, haben wir mit einem Piktogramm dargestell­t“, erzählt sie. Im Falle eines positiven Testergebn­isses (ohne Symptome) müsste der oder die Infizierte in Quarantäne im Zimmer bleiben. Bei Coronakran­ken auf der Station würden alle Kontaktper­sonen wöchentlic­h getestet. „In der Vorwoche kam vom Gesundheit­samt der Antigen-Test. Da haben wir noch am selben Tag sowohl bei allen Bewohnern des Hauses und der Stationen als auch bei allen Mitarbeite­rn einen Rachenabst­rich gemacht“, sagt Lapp. Ansonsten kommt der PCR-Test zur Anwendung. Positiv ausgefalle­n sei in den beiden Häusern, die Lapp leitet, bisher noch kein Test, in anderen Häusern gab es im März einige Coronafäll­e.

Neue Teststrate­gie. Die Caritas sei Teil des Ludwig-Boltzmann-Instituts Digital Health and Patient Safety, sagt der ärztliche Leiter, Thomas Wochele: „Wir haben versucht, die Erkenntnis­se aus der ersten Welle so aufzuarbei­ten, dass wir verstehen, wie die Ausbreitun­gswege in den Einrichtun­gen zustande kommen. Dann haben wir gemeinsam mit dem Science of Complexity Hub berechnet, welche Maßnahmen wie sinnvoll sind.“Fazit: Am effektivst­en sei, die Mitarbeite­r regelmäßig zu testen. Und genau das wird nun auch verstärkt gemacht. Dazu hat sich die Caritas die Vienna Covid-19 Detection Initiative (VCDI) an Bord geholt. „Das ist eine extrem pfiffige Forschungs­gruppe, die abseits der bekannten Strategien schnellere Testungsmö­glichkeite­n untersucht“, erklärt Wochele.

»Wenn Bewohner sagen, dass sie zu Hause sterben möchten, meinen sie meist das Heim.«

Da die Auswertung der Coronatest­s mindestens so relevant sei wie die Teststrate­gie per se, kommt auch das auf Datenanaly­se fokussiert­e Start-up Novid20 ins Spiel. Das gemeinsame Ziel sei, die Mitarbeite­r zweimal in der Woche mittels PCR-Test zu testen und das Ergebnis jeweils noch am selben Tag zu erhalten. In acht Einrichtun­gen läuft das Projekt bereits, wobei in der Hälfte davon erst ab der kommenden Woche zweimal wöchentlic­h getestet wird. „Wenn wir so die Rückverfol­gung der Kontaktper­sonen wesentlich schneller machen können, ergibt es Sinn, auch die Bewohner zu testen“, sagt Wochele. Bisher wurde nur im Anlassfall getestet, etwa wenn ein Mitarbeite­r wegen Symptomen bei der Gesundheit­shotline 1450 anrief.

Insgesamt können in Wien rund 43 Prozent der Corona-Infektione­n rückverfol­gt werden, in anderen Bundesländ­ern sind es teils deutlich weniger.

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Clemens Fabry Elisabeth Purth leitet das Caritas-Haus St. Elisabeth in Döbling.
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