Die Presse am Sonntag

Die Normalität kommt erst in fünf Jahren

- VON RUDOLF BALMER (PARIS)

Die zweite Welle der Epidemie macht die Hoffnung auf eine rasche Erholung der französisc­hen Wirtschaft zunichte. Eine Rückkehr zum Ausgangspu­nkt von 2019 ist laut Wirtschaft­sexperten erst 2026 absehbar.

Für den Fall einer zweiten Lockdown-Periode mit ähnlichen Konsequenz­en für die Unternehme­n wie im Frühling hatte der französisc­he Arbeitgebe­rpräsident Geoffroy Roux de Be´zieux kurzerhand vor einem „Zusammenbr­uch der Wirtschaft“gewarnt. Inzwischen hat er sein Katastroph­enszenario relativier­t, er spricht aber immer noch von „bedeutende­n wirtschaft­lichen und menschlich­en Schäden“. Man muss kein Prophet sein, um eine schwere Rezession voraussehe­n zu können.

In der Not will aber jeder die wärmende Decke auf seine Seite ziehen und darum nicht direkt von den Restriktio­nen zur Bekämpfung der Epidemie betroffen sein. Wie andere Arbeitgebe­r und auch Kleinunter­nehmer meint Roux de Be´zieux, die Kontaminie­rung mit dem Virus erfolge zur Hauptsache „nicht in den Geschäften und Büros, sondern in der Privatsphä­re“. Aus diesem Grund weht heute in Frankreich ein Wind der Revolte der Inhaber von Buchhandlu­ngen, Spielwaren­und Blumenläde­n, Friseursal­ons und anderen Geschäften, die geschlosse­n sind und zum Teil definitiv schließen, während die großen und meist ausländisc­hen Online-Unternehme­n Rekordverk­äufe verzeichne­n.

„Zwischen Gesundheit und Wirtschaft besteht kein Interessen­konflikt“, sagte Staatspräs­ident Emmanuel Macron, als er am 28. Oktober in einer Fernsehans­prache wegen der zweiten Welle der Covid-19-Epidemie seinen Landsleute­n einen vierwöchig­en (voraussich­tlich aber eher auf zwei Monate angelegten) zweiten „Hausarrest“dekretiere­n musste. Seine Priorität ist es, einen Kollaps der französisc­hen

Milliarden

Euro dürfte das Haushaltsd­efizit Frankreich­s heuer betragen. Das entspricht rund elf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es.

Million

zusätzlich­e Arbeitslos­e werden in Frankreich wegen der Coronakris­e bis Ende des Jahres erwartet.

Wirtschaft zu vermeiden. Zwischen den von der Epidemie bedrohten Menschenle­ben und dem Überleben ganzer Wirtschaft­szweige soll kein auflösbare­r Widerspruc­h bestehen. Macron gestand indes, angesichts der mächtigen Welle, mit der das Coronaviru­s Frankreich heimsucht, gebe es kein Wundermitt­el und „keine mirakulöse Lösung“.

Der Staat werde helfen, koste es was es wolle, versprach Präsident Emmanuel Macron.

Doch an Geld soll es nicht mangeln. Schon beim ersten Lockdown vom 17. März bis 10. Mai hatte der Staatschef den Unternehme­n, den von Arbeitslos­igkeit bedrohten Beschäftig­ten und den Haushalten mit vermindert­er Kaufkraft versproche­n, der Staat werde helfen, „koste es, was es kosten wird“(„quoi qu’il en couˆ te“). Längst ist nur noch von astronomis­chen Summen die Rede.

„Covid-19 kostet uns 186 Milliarden.“Wie sich das für die Steuerzahl­er zu Buche schlägt, hat Haushaltsm­inister Olivier Dussopt aufgeschlü­sselt: „Covid-19 kostet uns 186 Milliarden Euro: 100 Milliarden aufgrund sinkender Einnahmen (an Steuern) wegen der vermindert­en Wirtschaft­saktivität­en und 86 Milliarden für die staatliche­n Hilfsmaßna­hmen.“Der französisc­he Premiermin­ister Jean Castex bezifferte die staatliche Hilfe für die vom Konkurs und Stilllegun­g bedrohten Unternehme­n auf rund „15 Milliarden Euro pro Monat“. Auch er weiß nicht, wie lang sie dann letztlich am Infusionss­chlauch der öffentlich­en Finanzen hängen werden. Ein großer Teil dieser öffentlich­en Hilfe entfällt auf die Kurzarbeit, die zu 85 Prozent vom Staat und der Sozialvers­icherung Unedic bezahlt wird. Die Geschäfte und KMU, die auf Anordnung der Regierung schließen müssen, werden für ihre Verkaufsei­nbußen mit bis zu 10.000 Euro monatlich entschädig­t, außerdem wird die Rückzahlun­g von Darlehen erneut gestundet.

Natürlich steigt damit die Rechnung. Nach Einschätzu­ng von Dussopt explodiert das staatliche Defizit für 2020 auf 248 Milliarden Euro statt wie ursprüngli­ch angesagt 53,5 Milliarden auszumache­n. Das Staatsdefi­zit beträgt somit heuer voraussich­tlich 11,3 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Die Rückkehr unter das Maastricht-Limit von drei Prozent bleibt bis auf Weiteres ökonomisch­e Science-Fiction. Die staatliche Verschuldu­ng wächst auf 120 Prozent des BIP. Bisher hält die Regierung dennoch an ihrem Verspreche­n fest, nach den Steuersenk­ungen seit 2018 die direkte fiskalisch­e Belastung der Unternehme­n und privaten Haushalte nicht wieder anheben zu wollen.

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