Impfhilfe Verjüngung?
Noch ist unklar, ob kommende Covid-19-Impfstoffe jenen helfen, die sie am meisten brauchen, Alten etwa. Kann man ihr Immunsystem auffrischen?
Wenn es einmal einen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt, das Covid-19 verursacht, dann wird er vermutlich jenen am wenigsten helfen, die ihn am meisten brauchen: den Alten und Fettleibigen. Unter beiden – jenen über 65 und jenen mit einem BodyMass-Index über 30 – fordert die Pandemie überproportional viele Opfer: Fettleibige Infizierte haben laut der ersten Metaanalyse vom August ein 113 Prozent höheres Risiko, ins Spital zu müssen, und ein 48 Prozent höheres, dort zu sterben (Obesity Reviews 13128). In der Altersverteilung gibt es pro 1000 Infizierten unter 50 Jahren fast keine Todesfälle, bei jenen zwischen 50 und Anfang 60 fünf, bei jenen über Mitte 70 116 (Nature 585, S. 16).
Bei beiden Gruppen liegt das daran, dass die akkumulierten Jahre bzw. Pfunde dem Körper zusetzen, dadurch, dass sie chronische Entzündungen auslösen, permanente Überaktivitäten des Immunsystems, die es gegen neue Bedrohungen schwächen bzw. so überschießend auf sie reagieren lassen können, dass viele Corona-Infizierte daran sterben – an einem „Zytokinsturm“– und nicht am Infektionserreger selbst.
Beim Altern nennt man das „Inflamm-aging“, dazu kommt, dass das gesamte Immunsystem altert, als „Immunosenescence“bezeichnet: Die Zahl der Abwehrzellen sinkt, sowohl bei jenen, die auf neue Bedrohungen reagieren können (naive T-Zellen), als auch bei jenen, die sie mit Antikörpern neutralisieren (B-Zellen). Auch bei Fettleibigen kommt manches hinzu: Die Zahl der Fettzellen geht zulasten der Immunzellen, zudem sind Fettzellen reich an ACE2, einem Enzym, an dem die Coronaviren in Zellen eindringen. Möglicherweise spielt auch eine Veränderung des Mikrobioms – der Bakteriengemeinschaften im Darm – mit.
Das alles schwächt die Reaktion nicht nur auf reale Bedrohungen durch Viren, sondern auch auf simulierte, die bei der Abwehr realer helfen sollen: Impfstoffe: „Kein Impfstoff wird bei den Älteren so erfolgreich sein wie bei den Jungen, das ist ziemlich sicher“, fürchtet Matt Kaeberlein, Gerontologe an der University of Washington (Nature 562, S. 352). „Das macht auch uns Sorgen“, ergänzt Donna Ryan, die am Pennington Biomedical Research Center, Louisiana, der Verfettung nachgeht (Nature 586, S. 488).
Auf diese Risikogruppen sind Impfstoffe nicht zugeschnitten, sie werden nicht für gealterte Körper entwickelt bzw. in ihrer Entwicklung nicht früh in ihnen getestet, so wenig wie die meisten Medikamente: Getestet wird ganz zu Beginn an Versuchstieren, Mäusen meist, und diese sind überwiegend maximal zwölf Wochen alt – bei Menschen entspricht das 20 Jahren. Klinische Tests an Menschen prüfen zunächst die Sicherheit, andere Aspekte folgen erst in den späteren Phasen. Dann sind die Weichen gestellt, und es ist „zu spät“, auf Probleme zu reagieren, die sich etwa „bei gealterten Immunsystemen“zeigen, erklärt Shyan Sharif, Immunologe der University of Guelph (The Conversation 20. 7.).
Höhere Dosen? In den späteren Phasen sind dann oft auch ältere Testpersonen, auch in vielen der um die 50 Tests für einen Covid-19-Impfstoff, die derzeit laufen; aber die Daten sind noch dünn und wenig konsistent. Bei anderen Impfstoffen, vor allem gegen die Grippe, hat sich lang schon eine „signifikant schwächere“Wirksamkeit im Alter gezeigt (Jama 8, S. 289). Ihr versucht man, mit höheren Dosen der Wirkstoffe oder der Adjuvantien – das sind Hilfsstoffe, die Körper auf Wirkstoffe stärker reagieren lassen – zu begegnen.
Könnte man das bei Covid-19 auch? Oder brauchte es spezifische Impfstoffe für die Risikogruppen? Mit Grippeerregern kennt man sich aus, mit ihren Impfstoffen auch, sie müssen nur jährlich an die wechselnden Virenstämme angepasst werden. Bei Corona ist das anders, da ist es schwer genug, überhaupt einen Impfstoff zu entwickeln: „In einer Zeit, in der rasch auf ein sich ausbreitendes Virus reagiert werden muss, würde die Entwicklung von zwei Impfstoffen alles noch komplizierter machen“, gibt Claire Chougnet zu bedenken, die am Cincinnati Children Hospital chronische Entzündungen des alternden Körpers erkundet. Sie setzt auf einen anderen Weg, jenen, das alt gewordene Immunsystem zu verjüngen: „Das könnte gegen Grippe helfen, das könnte gegen Covid-19 helfen, das könnte auch gegen
Covid-25 helfen“, also gegen hypothetische Viren, die irgendwann drohen (Nature 562, S. 488).
Über diesem Wunschtraum – das Altern aufzuhalten oder gar umzukehren – sind schon viele Forscher alt geworden, aber in den vergangenen Jahren haben sich doch Kandidaten für Wirkstoffe gefunden, etwa solche, die an mTOR ansetzen. Das ist ein Protein, das beim Zellwachstum mitspielt und dessen Blockade in vielen Versuchstieren, von Fruchtfliegen bis zu Mäusen, das Leben verlängert. Deshalb hat Joan Mannick – früher bei Novartis, heute Chefin der Biotechfirma Torbio – einen TOR-Inhibitor an Älteren auf die Fähigkeit getestet, das Immunsystem zu verjüngen. Nach Anfangserfolgen gab es Rückschläge, nun versucht es Mannick mit einem anderen synthetischen Inhibitor an 550 Bewohnern von Altersheimen.
Auch das Immunsystem altert und spricht schwächer auf Impfstoffe an.
Zum Verjüngen des gealterten Immunsystems sind mehrere Wirkstoffe im Test.
In Tests an Älteren ist auch ein aus der Natur gewonnener mTOR-Inhibitor, Rapamycin, Produkt eines Bodenpilzes der Osterinsel. Andere setzen auf Metformin, ein seit Jahren für unterschiedlichste Zwecke hergestelltes Medikament. Seine immunverjüngende Kraft wurde von Jen Bartley (University) getestet, die erste Runde konnte abgeschlossen werden, aber noch nicht ausgewertet, weil Covid auch vor Bartleys Labor nicht halt machte.
Auch andere Jungbrunnen sind im Test, sogenannte Senolytika: Zu den chronischen Entzündungen im Alter tragen „seneszente“Zellen bei – die sich nicht mehr teilen, aber Stoffwechsel betreiben und chemische Signale aussenden –, an ihrer Beseitigung wird seit geraumer Zeit geforscht. Ob das eigene Risken bringt, ist wenig klar, bei Senolytika und generell. Eine Verjüngung des Immunsystems könnte etwa vermehrt Autoimmunkrankheiten auslösen, darauf hat Tamas Fulop (University of Sherbrooke) hingewiesen (Frontiers in Immunology 2017.01960). Aber wie auch immer: „Das Ergebnis all dieser Bemühungen wird ein verstärktes Interesse an etwas sein, was viele ignoriert haben“, schließt Altersforscher Eric Verdin (Nature 586, S. 354): „Das im Alter schwächer werdende Immunsystem.“