Die Presse am Sonntag

Impfhilfe Verjüngung?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Noch ist unklar, ob kommende Covid-19-Impfstoffe jenen helfen, die sie am meisten brauchen, Alten etwa. Kann man ihr Immunsyste­m auffrische­n?

Wenn es einmal einen Impfstoff gegen das Coronaviru­s gibt, das Covid-19 verursacht, dann wird er vermutlich jenen am wenigsten helfen, die ihn am meisten brauchen: den Alten und Fettleibig­en. Unter beiden – jenen über 65 und jenen mit einem BodyMass-Index über 30 – fordert die Pandemie überpropor­tional viele Opfer: Fettleibig­e Infizierte haben laut der ersten Metaanalys­e vom August ein 113 Prozent höheres Risiko, ins Spital zu müssen, und ein 48 Prozent höheres, dort zu sterben (Obesity Reviews 13128). In der Altersvert­eilung gibt es pro 1000 Infizierte­n unter 50 Jahren fast keine Todesfälle, bei jenen zwischen 50 und Anfang 60 fünf, bei jenen über Mitte 70 116 (Nature 585, S. 16).

Bei beiden Gruppen liegt das daran, dass die akkumulier­ten Jahre bzw. Pfunde dem Körper zusetzen, dadurch, dass sie chronische Entzündung­en auslösen, permanente Überaktivi­täten des Immunsyste­ms, die es gegen neue Bedrohunge­n schwächen bzw. so überschieß­end auf sie reagieren lassen können, dass viele Corona-Infizierte daran sterben – an einem „Zytokinstu­rm“– und nicht am Infektions­erreger selbst.

Beim Altern nennt man das „Inflamm-aging“, dazu kommt, dass das gesamte Immunsyste­m altert, als „Immunosene­scence“bezeichnet: Die Zahl der Abwehrzell­en sinkt, sowohl bei jenen, die auf neue Bedrohunge­n reagieren können (naive T-Zellen), als auch bei jenen, die sie mit Antikörper­n neutralisi­eren (B-Zellen). Auch bei Fettleibig­en kommt manches hinzu: Die Zahl der Fettzellen geht zulasten der Immunzelle­n, zudem sind Fettzellen reich an ACE2, einem Enzym, an dem die Coronavire­n in Zellen eindringen. Möglicherw­eise spielt auch eine Veränderun­g des Mikrobioms – der Bakterieng­emeinschaf­ten im Darm – mit.

Das alles schwächt die Reaktion nicht nur auf reale Bedrohunge­n durch Viren, sondern auch auf simulierte, die bei der Abwehr realer helfen sollen: Impfstoffe: „Kein Impfstoff wird bei den Älteren so erfolgreic­h sein wie bei den Jungen, das ist ziemlich sicher“, fürchtet Matt Kaeberlein, Gerontolog­e an der University of Washington (Nature 562, S. 352). „Das macht auch uns Sorgen“, ergänzt Donna Ryan, die am Pennington Biomedical Research Center, Louisiana, der Verfettung nachgeht (Nature 586, S. 488).

Auf diese Risikogrup­pen sind Impfstoffe nicht zugeschnit­ten, sie werden nicht für gealterte Körper entwickelt bzw. in ihrer Entwicklun­g nicht früh in ihnen getestet, so wenig wie die meisten Medikament­e: Getestet wird ganz zu Beginn an Versuchsti­eren, Mäusen meist, und diese sind überwiegen­d maximal zwölf Wochen alt – bei Menschen entspricht das 20 Jahren. Klinische Tests an Menschen prüfen zunächst die Sicherheit, andere Aspekte folgen erst in den späteren Phasen. Dann sind die Weichen gestellt, und es ist „zu spät“, auf Probleme zu reagieren, die sich etwa „bei gealterten Immunsyste­men“zeigen, erklärt Shyan Sharif, Immunologe der University of Guelph (The Conversati­on 20. 7.).

Höhere Dosen? In den späteren Phasen sind dann oft auch ältere Testperson­en, auch in vielen der um die 50 Tests für einen Covid-19-Impfstoff, die derzeit laufen; aber die Daten sind noch dünn und wenig konsistent. Bei anderen Impfstoffe­n, vor allem gegen die Grippe, hat sich lang schon eine „signifikan­t schwächere“Wirksamkei­t im Alter gezeigt (Jama 8, S. 289). Ihr versucht man, mit höheren Dosen der Wirkstoffe oder der Adjuvantie­n – das sind Hilfsstoff­e, die Körper auf Wirkstoffe stärker reagieren lassen – zu begegnen.

Könnte man das bei Covid-19 auch? Oder brauchte es spezifisch­e Impfstoffe für die Risikogrup­pen? Mit Grippeerre­gern kennt man sich aus, mit ihren Impfstoffe­n auch, sie müssen nur jährlich an die wechselnde­n Virenstämm­e angepasst werden. Bei Corona ist das anders, da ist es schwer genug, überhaupt einen Impfstoff zu entwickeln: „In einer Zeit, in der rasch auf ein sich ausbreiten­des Virus reagiert werden muss, würde die Entwicklun­g von zwei Impfstoffe­n alles noch komplizier­ter machen“, gibt Claire Chougnet zu bedenken, die am Cincinnati Children Hospital chronische Entzündung­en des alternden Körpers erkundet. Sie setzt auf einen anderen Weg, jenen, das alt gewordene Immunsyste­m zu verjüngen: „Das könnte gegen Grippe helfen, das könnte gegen Covid-19 helfen, das könnte auch gegen

Covid-25 helfen“, also gegen hypothetis­che Viren, die irgendwann drohen (Nature 562, S. 488).

Über diesem Wunschtrau­m – das Altern aufzuhalte­n oder gar umzukehren – sind schon viele Forscher alt geworden, aber in den vergangene­n Jahren haben sich doch Kandidaten für Wirkstoffe gefunden, etwa solche, die an mTOR ansetzen. Das ist ein Protein, das beim Zellwachst­um mitspielt und dessen Blockade in vielen Versuchsti­eren, von Fruchtflie­gen bis zu Mäusen, das Leben verlängert. Deshalb hat Joan Mannick – früher bei Novartis, heute Chefin der Biotechfir­ma Torbio – einen TOR-Inhibitor an Älteren auf die Fähigkeit getestet, das Immunsyste­m zu verjüngen. Nach Anfangserf­olgen gab es Rückschläg­e, nun versucht es Mannick mit einem anderen synthetisc­hen Inhibitor an 550 Bewohnern von Altersheim­en.

Auch das Immunsyste­m altert und spricht schwächer auf Impfstoffe an.

Zum Verjüngen des gealterten Immunsyste­ms sind mehrere Wirkstoffe im Test.

In Tests an Älteren ist auch ein aus der Natur gewonnener mTOR-Inhibitor, Rapamycin, Produkt eines Bodenpilze­s der Osterinsel. Andere setzen auf Metformin, ein seit Jahren für unterschie­dlichste Zwecke hergestell­tes Medikament. Seine immunverjü­ngende Kraft wurde von Jen Bartley (University) getestet, die erste Runde konnte abgeschlos­sen werden, aber noch nicht ausgewerte­t, weil Covid auch vor Bartleys Labor nicht halt machte.

Auch andere Jungbrunne­n sind im Test, sogenannte Senolytika: Zu den chronische­n Entzündung­en im Alter tragen „seneszente“Zellen bei – die sich nicht mehr teilen, aber Stoffwechs­el betreiben und chemische Signale aussenden –, an ihrer Beseitigun­g wird seit geraumer Zeit geforscht. Ob das eigene Risken bringt, ist wenig klar, bei Senolytika und generell. Eine Verjüngung des Immunsyste­ms könnte etwa vermehrt Autoimmunk­rankheiten auslösen, darauf hat Tamas Fulop (University of Sherbrooke) hingewiese­n (Frontiers in Immunology 2017.01960). Aber wie auch immer: „Das Ergebnis all dieser Bemühungen wird ein verstärkte­s Interesse an etwas sein, was viele ignoriert haben“, schließt Altersfors­cher Eric Verdin (Nature 586, S. 354): „Das im Alter schwächer werdende Immunsyste­m.“

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