Was man noch sammelt
Es gibt sie noch, die Briefmarkensammler. Doch das Sammeln als Hobby verändert sich durch die Digitalisierung. Und auch die Gegenstände werden kurioser.
In drei blauen Regentonnen hat Christian Kopf rund 300 Kilo Kaffeesud gesammelt.
Die Liebe zum Skifahren begann in jungen Jahren. Für Paul Demschar war aber nicht nur die Abfahrt ein Highlight, sondern auch das, was davor passiert – nämlich das Überwinden von Hunderten von Höhenmetern mithilfe von Seilbahnen: Die lauten Maschinen, die großen Räder, die das Seil in Bewegung brachten, vor allem die dahinterliegende Technik. Mit sechs Jahren bekam er von seiner Tante einen alten Tellerlift-Bügel geschenkt. Fünf Jahre später folgte ein Einser-Sessellift-Sessel. Und daraus entstand eine Leidenschaft für das Sammeln alter, ausrangierter Seilbahnobjekte.
Inzwischen ist Demschar 21 Jahre alt und verfügt über eine große Sammlung unterschiedlichster Seilbahn-Sessel und -Bügel, inklusive zugehöriger Beschilderung. „Mir geht es vor allem um die historische Komponente und um die Bewahrung der damals verwendeten Technik“, sagt er. Wenn Demschar hört, dass alte Seilbahnen abgerissen werden, bemüht er sich darum, Teile der Seilbahn zu bekommen, da sie in seinen Augen sonst oft unwiederbringlich verloren sind. Auf einen Sessellift-Sessel, den er 2012 in Sölden erstanden hat, ist er besonders stolz: „Der war von 1948 bis 2012 in Betrieb und da muss man sich einmal vorstellen, wer da in diesen über 60 Jahren alles darauf gesessen hat!“
Mit seiner Sammelleidenschaft ist Demschar freilich nicht allein. Laut einer Umfrage des Bonusprogramms Payback sammeln rund 76 Prozent aller Österreicher regelmäßig und geben im Durchschnitt sogar 51 Euro im Monat dafür aus. Am begehrtesten sind klassische Sammelobjekte wie Souvenirs, Münzen und Gegenstände von Kindern. Selbst die Briefmarke ist gefragt, wiewohl die Zahl der Sammler in den vergangenen Jahrzehnten weniger geworden ist, wie Gernot Abfalter, Briefmarken-Experte des Auktionshauses Dorotheum, schätzt: „Der große Hype war in den 60er- und 70er-Jahren. Da hat es die meisten Briefmarkensammler gegeben. Heute gibt es immer weniger, weil auch die Briefmarke immer mehr verschwindet.“
So will der Verband Österreichischer Philatelistenvereine (VÖPh) Kinder wieder für das Briefmarkensammeln animieren, mit einem eigenen Jugendportal und Vorträgen an Schulen. Denn die Digitalisierung fordert die altbekannten Sammelgewohnheiten heraus. „Als Kind hat es mich immer fasziniert, wenn ich Marken oder Briefe und Ansichtskarten aus Ländern bekommen habe, die ich noch nicht gekannt habe. Da musste man dann im Brockhaus nachschauen und das Land am Globus suchen. Das war damals ein anderes Erlebnis, heute schaut man im Internet einfach ein Video oder Bilder dazu an“, sagt Abfalter. Dass die Briefmarke verschwindet, glaubt er aber nicht, auch wenn sie vielleicht irgendwann am Postamt nicht mehr benötigt werde. „Es gibt weltweit so eine Unmenge und Vielfalt an Briefmarken, dass sie theoretisch gar nicht aussterben kann“, meint er. Zudem würden viele, die als Kinder Briefmarken gesammelt haben, im Alter wieder dazu zurückkehren. „Es hat einen gewissen Retroreiz und nimmt ein wenig die Geschwindigkeit aus dem Alltag heraus. Man sitzt den ganzen Tag vor dem Computer, danach will man dann etwas anderes machen.“
Spotify statt Schallplatte. Dass Menschen ihre kindliche Faszination für das Sammeln oft im Alter zwischen 35 und 65 wiederentdecken, hat auch Martin Erasmus, Comic- und Figurensammler sowie Organisator der ComicMesse Vienna Comix, beobachtet. In Österreich werde seiner Einschätzung nach wieder mehr gesammelt, allerdings bei denen, die immer schon zum Sammeln neigten. „Bei den Jüngeren findet oftmals eher ein Sammeln von Daten statt und weniger das Sammeln von Objekten. Wenn zum Beispiel junge Menschen auf eine Schallplattenbörse kommen, schauen sie sich die Schallplattencover an und hören dann die Musik auf ihren Geräten auf Spotify. Danach entscheiden sie, ob sie die Platte kaufen oder nicht. Aber die
Schallplatte ist meiner Meinung nach eigentlich kein normaler Gebrauchsgegenstand, sondern etwas Besonderes zum Hinstellen und Anschauen.“Ein Teil der jungen Generation lese zum Beispiel Comics virtuell. Das Sammeln per se hat sich laut Erasmus ebenso verändert: „Es wird immer mehr speziell für die Sammler produziert, also zum Beispiel Sondereditionen von Comic-Heften mit unterschiedlichen Covers. Früher waren die besonderen Dinge oft wirklich schwer zu finden, heutzutage ist es schon mehr eine Preisfrage.“Erasmus unterscheidet Gegenstände, bei denen auch der konsumierbare Inhalt eine Rolle spielt, etwa Comic-Hefte oder Schallplatten, von
Dingen, die durch ihre Seltenheit einen hohen Wert bekommen, wie Briefmarken oder eben Spezialausführungen von bestimmten Figuren.
Das Sammeln als Zurschaustellung der eigenen Identität. „Das sind oft Sachen“, sagt Thomas Thiemeyer, Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen, „über die will man identifiziert werden. Damit möchte man anderen Menschen zeigen, wer man selbst ist.“Dafür, dass überhaupt mit dem Sammeln begonnen wird, spielen demnach individualpsychologische Faktoren eine Rolle. „Man sammelt, weil man in den Dingen etwas sieht, das bestimmte Emotionen auslöst oder bestimmte Erinnerungen transportiert oder festhält“, sagt der Kulturwissenschaftler. Bei manchen Sammelleidenschaften stehen hingegen der Spiele-Charakter, die Unterhaltung oder auch die Investition im Vordergrund. Zudem spiele der Rettungsgedanke häufig eine Rolle. „Oft werden Dinge aufgehoben, um sie vor dem Verfall zu schützen. Man erkennt ihren Wert erst dann, wenn sie zu verschwinden drohen.“
Bei Christian Kopf hingegen ist die Sache ein wenig anders. Seine Sammelleidenschaft umfasst etwas, was für die meisten Menschen tatsächlich nur ein Abfallprodukt ist und wahrscheinlich immer eines bleiben wird: Seit 2004 sammelt er Kaffeesud. Für ihn wird der Kaffee durch die Vielzahl an Arbeitsschritten, die weite Reise und die Geschichten, die dahinterstecken, derart wertvoll, dass es zu schade wäre, den Sud einfach wegzuwerfen.
In drei großen blauen Regentonnen hat er inzwischen rund 300 Kilo Kaffeesud gesammelt. „Das ist nur vom täglichen Bedarf, in der Studienzeit habe ich zusätzlich rund 85 Kilo Kaffeesud von 185 Wiener Kaffeehäusern aus allen 23 Bezirken abgeholt.“Er betrachtet Kaffeesud auch als eine Art Souvenir von etwas Alltäglichem, Kaffee sei nämlich überall. Er hat für Kopf einen großen ideellen Wert: Das Getränk verbinde Menschen, rundherum passiere viel Soziales, Geschäftliches oder Kulturelles: „Man sagt: Gehen wir Kaffeetrinken. Dabei muss man gar nicht wirklich Kaffee trinken. Es heißt einfach, wir sitzen zusammen und machen etwas oder plaudern einfach.“
Das Sammeln von Gegenständen und Dingen gehört zum Menschen dazu, bestätigt Kulturwissenschaftler Thiemeyer; da gebe es gar eine anthropologische Konstante. Nur, dass es heute mitunter kuriose Dinge sind. In jedem Fall „etwas Spezielles, das man herzeigen kann“, wie Erasmus sagt.