»Eine fürchterliche Zeit – drückend und surreal«
Unternehmensberater Michael Strauss versteckte sich in der Terrornacht im Lokal und bangte mit anderen.
„Wollt’s sterben?“, rief die Polizei Passanten auf der Rotenturmstraße zu, die Richtung Schwedenplatz unterwegs waren. Michael Strauss war einer von ihnen. Der Unternehmensberater für Gastronomen war Montagabend gegen 20 Uhr gerade unterwegs zu einem Kunden, als die Beamten ihm mit Waffen im Anschlag im Laufschritt entgegeneilten. Strauss versteckte sich daraufhin im nächsten Lokal. Viele Menschen dort weinten, lagen sich in den Armen. Nach etwa eineinhalb Stunden versuchte Strauss, sich über die Wollzeile Richtung Landstraße nach Hause durchzuschlagen – doch Polizeisperren hinderten ihn. Die Lage war völlig unübersichtlich. Im Internet kursierten die verschiedensten Gerüchte über Schießereien und Geiselnahmen, darunter auch im Stadtpark. „Ich bin an sich kein ängstlicher Mensch, aber der Stadtpark liegt ja doch in unmittelbarer Nähe zur Wollzeile“, sagt Strauss. Wieder versteckte er sich in einem Lokal.
Enger Zusammenhalt. Die Stimmung in den Straßen der Stadt sei unwirklich und gruselig gewesen, erzählt der Unternehmensberater. Im Lokal aber sei man zu einer kleinen Gemeinschaft herangewachsen und habe sich gegenseitig Mut zugesprochen. Den engen Zusammenhalt der Menschen in diesen Stunden des Bangens beschreibt Strauss als „fast schön“: Jeder – Gäste wie Gastronomen – habe im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht zu helfen und zu trösten. Nach Stunden habe sich die Lage schließlich beruhigt. Strauss konnte mit dem Taxi nach Hause fahren. Um zwei Uhr Früh war er zurück in seiner Wohnung.
Trotz der bangen Erlebnisse jener Nacht hat Strauss heute kein unsicheres Gefühl, auf die Straße zu gehen. „Das sollte man auch nicht haben“, meint er. Denn: „Dann hätte der Täter sein Ziel erreicht.“
Die Stimmung in der Wiener Innenstadt allerdings empfindet er Tage nach dem Anschlag noch als „drückend und surreal. Wer hätte denn gedacht, dass neben Corona und dem Lockdown noch ein Terroranschlag folgt? Es gibt keine Worte für all das“. Die Ergriffenheit in der Bevölkerung sei groß, beobachtet er. „Das ist ein fürchterliches Jahr, es ist eine fürchterliche Zeit“, so Strauss. „Nach der Pandemie war das Attentat der nächste Schlag.“Auch für seine Kunden, die Gastronomen, ist es naheliegend gerade besonders schwierig – und wird wohl langfristig dramatische Auswirkungen haben.
Ob die Terrornacht das Lebensgefühl der Wiener verändern wird, vermag Strauss nicht zu sagen. Nur so viel: „Wir dachten, wir sind eine Insel der Seligen, weil es in Österreich sehr lange Zeit keinen Terroranschlag gegeben hat.“Nun aber müsste die Wiener Bevölkerung versuchen, nicht die Opfer, sehr wohl aber den Täter zu vergessen, meint er. Dann werde uns der Anschlag „hoffentlich nicht nachhaltig einschüchtern“.
Marlene und Philipp schlossen sich mit anderen Lokalgästen auf einer Toilette ein.