»Wahnsinniger Schock, Bruch der Realität«
Der Gemeinderabbiner von Wien, Schlomo Hofmeister, wurde als Anrainer unmittelbarer Zeuge des Anschlags.
„Mit einem Schlag wurde alles irrelevant.“Schlomo Hofmeister erinnert sich noch genau an die Ereignisse vom vergangenen Montag. Der Gemeinderabbiner von Wien wurde als Anrainer der Gegend um die Synagoge in der Seitenstettengasse unmittelbarer Zeuge des Terroranschlags, der vier Unschuldige das Leben kostete. Er sah Menschen in Todesangst durch die Gassen laufen, hörte sie nach Hilfe rufen, alarmierte selbst die Polizei.
Die schier endlosen Minuten des Terrors erlebte Hofmeister als „wahnsinnigen Schock und realen Albtraum“. Was die Gedanken zuvor beschäftigt hatte, „wurde durch diesen Bruch der Realität unbedeutend“, sagt der Rabbiner.
In der völlig unübersichtlichen, verwirrenden Lage nach den Schüssen erfasste ihn Angst – und zwar „in Bezug auf viele Fragezeichen“, insbesondere aber: Was steht wirklich hinter dem Attentat?
Heimat neu definieren. Der Schock wirkt nach. „Womit man sich vertraut gefühlt glaubte, muss neu eingeordnet werden“, meint Hofmeister. „Es ist fast so, als würde man versuchen, den Begriff Heimat neu zu definieren.“
Im kollektiven Gedächtnis der Stadt werden sich die Ereignisse vom Montag einbrennen, das glaubt auch der Rabbiner. Denn: „Jedes Trauma hat einen bleibenden Effekt. Nun hängt es von den nächsten Wochen der Aufarbeitung ab, welcher Effekt das ist. Langfristig könnte daraus auch etwas
Positives im Sinne der Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte geschehen“, hofft er. Denn: Konsumhaltung und Lethargie würden in der Gesellschaft heute als etwas Selbstverständliches hingenommen.
Als „hoffnungsvollen und positiven Trend“beobachtet Hofmeister die „emotionalen Nachbeben“der Terrornacht: So würden allgemeine Solidarität und Zusammenhalt ein neues Gemeinschaftsgefühl in der Gesellschaft verstärken. An den Schauplätzen des Attentats rund um die Seitenstettengasse, den Ruprechtsplatz oder die Jerusalem-Stiege haben Hunderte Menschen Kerzen, Blumen und Botschaften hinterlassen, um ihrer Trauer, aber auch der Wut, Ausdruck zu verleihen. In den Einschusslöchern der Lokale und Hauswände stecken rote Rosen. Anhänger der verschiedenen Religionen verurteilen das Geschehene. Hofmeister selbst steht seit jeher „in enger kooperativer Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften“– auch mit dem Islam, wie er betont. Eine Religion dürfe niemals für eigene Zwecke missbraucht werden, sagt der Rabbiner. „Es ist genauso schlimm, wenn ein Rechtsradikaler im Namen des christlichen Abendlandes ein Attentat begeht.“
„Im zivilen Miteinander der Religionen“müsse man sich stets vor Augen halten, dass solche Gräueltaten niemals mit den Werten einer Glaubensgemeinschaft vereinbar sein können.