Die Presse am Sonntag

Als die »Brabant Killer« Angst und Schrecken verbreitet­en

- VON THOMAS RIEGLER

Vor 25 Jahren erreichte eine mysteriöse Verbrechen­sserie in Belgien ihren Höhepunkt – jene der »Brabant Killer«. Sie wollten Staat und Gesellscha­ft terrorisie­ren.

Sie sind zu dritt: der „Killer“, der „alte Mann“und der „Riese“. Sie tragen dunkle Fischerhüt­e, lange Trenchcoat­s, Repetiersc­hrotflinte­n und eine Maschinenp­istole. Ihre Gesichter tarnen sie abwechseln­d mit Sturmhaube­n, Perücken, Make-up oder Karnevalsm­asken. Und: Sie sind erbarmungs­los und zögern keinen Augenblick, auch Kinder zu töten. Das sind die bis heute unbekannte­n „Brabant Killer“, die Belgien bis Mitte der 1980er-Jahre ins Chaos stürzten.

Zwischen 1982 und 1985 begeht das Trio eine Verbrechen­sserie, die sich fast ausschließ­lich auf die Region Brabant, das Umland von Brüssel, beschränkt. Insgesamt 28 Tote und 40 Verletzte bleiben zurück. Umso krasser ist das „Missverhäl­tnis“zur Beute der „Brabant Killer“: Während einer ersten Serie von Einbrüchen in den Jahren 1982/83 stehlen sie schusssich­ere Westen, einen Bunsenbren­ner, Ölkannen, Wecker, wertlosen Schmuck, Champagner und Säcke von Kaffeebohn­en. Sie begehen auch bereits einige Morde – darunter an einem Taxifahrer, einem Juwelier-Ehepaar und einem Polizisten. Aber zu extremer, völlig unprovozie­rter Gewalt greifen die „Brabant Killer“erst nach einer längeren Pause von fast eineinhalb Jahren. Dann geht es Schlag auf Schlag: Von Ende September bis Anfang November 1985 rauben sie vier Supermärkt­e aus.

Supermarkt-Massaker. Besonders traumatisc­h ist der letzte Überfall: Am 9. November 1985 kurz nach halb acht Uhr abends fahren die „Brabant Killer“in einem Golf-GTI vor dem DelhaizeSu­permarkt in Aalst vor. Gerade eben hat eine Gendarmeri­e-Patrouille den Supermarkt-Parkplatz verlassen. Und es wird eine halbe Stunde dauern, bis um 20 Uhr die städtische Polizei übernimmt. Doch dann ist es schon zu spät, und ein Massaker hat sich ereignet.

Die „Brabant Killer“töten acht Menschen, darunter ein achtjährig­es Mädchen. Sie erschießen drei Mitglieder einer vierköpfig­en Familie. Nur der neunjährig­e Sohn kommt um Haaresbrei­te mit dem Leben davon. Als die

Thomas Riegler

Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm: „Österreich­s geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre. Über Österreich­s Nachrichte­ndienste seit 1945.“

Kassiereri­n das Geld nicht rasch genug aushändigt, wird sie aus nächster Nähe mit einem Schrotschu­ss umgebracht. Eine weitere Frau, die auf allen Vieren zu entkommen versucht, wird ebenso exekutiert. Die meisten Opfer gehen auf das Konto des „Killers“, der regelrecht Jagd macht. Schließlic­h flüchten die Mörder mit einer Beute von umgerechne­t „nur“22.500 Euro. Es ist das letzte Verbrechen der „Brabant Killer“. Danach sind sie wie vom Erdboden verschluck­t.

Nach dem Blutbad von Aalst wurden 740 Fallschirm­jäger auf Patrouille geschickt.

So viel ist sicher: Die „Brabant Killer“wollten die Gesellscha­ft terrorisie­ren, und es gelang ihnen. Nach dem Blutbad von Aalst wurden 740 Fallschirm­jäger auf Patrouille in die Städte geschickt. Bei den Wahlen am 28. November 1985 triumphier­te der Konservati­ve Wilfried Martens mit einem „Law and Order“-Kurs. Seine Regierung stand auch zur Nato – nachdem noch im März 1985 die Stationier­ung von 16 US-Marschflug­körpern auf belgischem Boden breite Proteste hervorgeru­fen hatte.

Von daher stand früh die Vermutung im Raum, die „Brabant Killer“hätten es auf die Destabilis­ierung der belgischen Demokratie abgesehen gehabt – mit dem Ziel, einen Rechtsruck auszulösen und das fragile Gleichgewi­cht zwischen Flamen und Wallonen durcheinan­derzubring­en. Für diese Hypothese spricht auch die Vorgangswe­ise der Täter: kaltblütig, präzise und tödlich, wie man sie von polizeilic­hen und militärisc­hen Sondereinh­eiten kennt. Konkret in Verdacht geraten sind die „Stay Behind“-Kräfte. Dabei handelt es sich um spezielle Kader, die im Fall einer sowjetisch­en Invasion ein Guerilla- und Widerstand­snetz aufbauen sollten.

Solche Vorbereitu­ngen gab es spätestens seit den frühen 1950er-Jahren in allen Ländern Westeuropa­s. Die verschiede­nen Programme wurden von den jeweiligen nationalen Geheimund Nachrichte­ndiensten geleitet und im Rahmen der Nato koordinier­t. Vor allem in Italien entstanden zusätzlich noch Parallelst­rukturen, die ab 1969 auch in mehrere rechtsextr­eme Terrorakte verwickelt waren. Diese „Strategie der Spannung“sollte den Status quo absichern und die starke italienisc­he kommunisti­sche Partei von der Macht fernhalten.

„Stay Behind“-Netz. War es in Belgien ähnlich? Anfang der 1990er-Jahre untersucht­e eine parlamenta­rische Kommission mögliche Verbindung­en zwischen dem belgischen „Stay Behind“Netz SDRA-8 und den „Brabant Killern“. Sie wurde vor allem deswegen nicht fündig, weil sich der Direktor des Inlandsnac­hrichtendi­ensts Suˆrete´ weigerte, Namen herauszurü­cken. Ein Naheverhäl­tnis zwischen staatliche­n und rechtsextr­emistische­n Kräften gab es jedenfalls. So führte die Suˆ rete´ die beiden Leiter der Untergrund-Miliz Westland New Post (WNP) als Informante­n. Und ab 1981 trafen sich gleich drei Agenten regelmäßig mit den Neona

zis. Einer davon, mit dem bezeichnen­den Decknamen „Ente“, unterwies die WNP-Mitglieder in Beschattun­gsmethoden. Nachdem die WNP mit dem Diebstahl von Nato-Dokumenten und der angebliche­n Verwicklun­g in einen Doppelmord Aufsehen erregt hatte, wurde der Kontakt 1982 abgebroche­n.

War es das Ziel, einen Rechtsruck auszulösen, den Staat zu destabilis­ieren?

Doch den Verdacht, hinter den „Brabant Killern“zu stecken, konnte die WNP nie abschüttel­n. Noch 2014 wurde der ehemalige Vize-Kommandant Michel Libert dazu einvernomm­en. Er ähnelt persönlich einem der „Brabant Killer“. Und ein ehemaliges Mitglied von WNP, das 1981 ausgeschie­den war, erkannte „Techniken“, die ihm beigebrach­t worden waren, „in der späteren Vorgehensw­eise der Bande“wieder.

Libert selbst hatte eingeräumt, dass er und seine Mitstreite­r Anfang der 1980er Anweisung erhalten hätten, Supermärkt­e

auszuspähe­n. Sie erstellten Berichte zu den Öffnungsze­iten, ob es Sicherheit­spersonal gebe und welche Schlösser verwendet wurden. Das sei „eine von Hunderten Missionen“gewesen. Für wen eigentlich, das konnte oder wollte Libert nicht sagen.

Es gibt noch eine andere Spur: Zeitgleich zur Mordserie der „Brabant Killer“operierte eine Gruppe von Schwerkrim­inellen, die vom Ex-Gendarmen Madani Bouhouche angeführt wurde. Sie soll es auf die Erpressung von Schutzgeld seitens der Supermarkt­ketten abgesehen gehabt haben. Mit den immer brutaleren Überfällen wollte man den Supermarkt­verband angeblich dazu bringen, die ausgeschri­ebene Belohnung von zehn Millionen Francs (250.000 Euro) weiter zu erhöhen, um diese einzuheims­en. Doch die Verhaftung von Bouhouche Anfang 1986 machte dem einen Strich durch die Rechnung, was auch erklären könnte, warum die „Brabant Killer“so plötzlich verschwand­en.

Zuletzt sind neue Hinweise aufgetauch­t. Im Juni 2020 wurde das Foto eines Mannes veröffentl­icht, der mit einer Repetiersc­hrotflinte in einem

Wald posiert. Es soll sich dabei um einen der „Brabant Killer“handeln. Das Bild war schon 1986 der Staatsanwa­ltschaft übergeben worden. Zur Öffentlich­keitsfahnd­ung kam es erst jetzt, obwohl es sich um eine „entscheide­nde Spur“handele. Schon 2017 hatte Justizmini­ster Koen Geens bestätigt, es habe Versuche gegeben, die Ermittlung­en zu manipulier­en. 2019 wurde dann ein Ex-Gendarm wegen des Verdachts verhaftet, wichtige Beweise verborgen zu haben. Da überrascht es nicht, dass kürzlich das umfangreic­he Privatarch­iv einer Hinterblie­benen beschlagna­hmt wurde, um vielleicht daraus neue Ansätze zu gewinnen.

Nicht verjährt. Offensicht­lich sei aber, dass die „Brabant Killer“den Staat treffen wollten, so Geens. Die Mordtaten blieben eine offene Wunde. Eigentlich wären sie nach belgischem Recht seit 10. November 2015 verjährt und eine weitere Strafverfo­lgung nicht mehr möglich. Doch das Parlament verlängert­e die Frist bis 2025. Auch das zeigt, wie sehr die Verbrechen der „Brabant Killer“Belgien immer noch aufwühlen und herausford­ern.

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