Als die »Brabant Killer« Angst und Schrecken verbreiteten
Vor 25 Jahren erreichte eine mysteriöse Verbrechensserie in Belgien ihren Höhepunkt – jene der »Brabant Killer«. Sie wollten Staat und Gesellschaft terrorisieren.
Sie sind zu dritt: der „Killer“, der „alte Mann“und der „Riese“. Sie tragen dunkle Fischerhüte, lange Trenchcoats, Repetierschrotflinten und eine Maschinenpistole. Ihre Gesichter tarnen sie abwechselnd mit Sturmhauben, Perücken, Make-up oder Karnevalsmasken. Und: Sie sind erbarmungslos und zögern keinen Augenblick, auch Kinder zu töten. Das sind die bis heute unbekannten „Brabant Killer“, die Belgien bis Mitte der 1980er-Jahre ins Chaos stürzten.
Zwischen 1982 und 1985 begeht das Trio eine Verbrechensserie, die sich fast ausschließlich auf die Region Brabant, das Umland von Brüssel, beschränkt. Insgesamt 28 Tote und 40 Verletzte bleiben zurück. Umso krasser ist das „Missverhältnis“zur Beute der „Brabant Killer“: Während einer ersten Serie von Einbrüchen in den Jahren 1982/83 stehlen sie schusssichere Westen, einen Bunsenbrenner, Ölkannen, Wecker, wertlosen Schmuck, Champagner und Säcke von Kaffeebohnen. Sie begehen auch bereits einige Morde – darunter an einem Taxifahrer, einem Juwelier-Ehepaar und einem Polizisten. Aber zu extremer, völlig unprovozierter Gewalt greifen die „Brabant Killer“erst nach einer längeren Pause von fast eineinhalb Jahren. Dann geht es Schlag auf Schlag: Von Ende September bis Anfang November 1985 rauben sie vier Supermärkte aus.
Supermarkt-Massaker. Besonders traumatisch ist der letzte Überfall: Am 9. November 1985 kurz nach halb acht Uhr abends fahren die „Brabant Killer“in einem Golf-GTI vor dem DelhaizeSupermarkt in Aalst vor. Gerade eben hat eine Gendarmerie-Patrouille den Supermarkt-Parkplatz verlassen. Und es wird eine halbe Stunde dauern, bis um 20 Uhr die städtische Polizei übernimmt. Doch dann ist es schon zu spät, und ein Massaker hat sich ereignet.
Die „Brabant Killer“töten acht Menschen, darunter ein achtjähriges Mädchen. Sie erschießen drei Mitglieder einer vierköpfigen Familie. Nur der neunjährige Sohn kommt um Haaresbreite mit dem Leben davon. Als die
Thomas Riegler
Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm: „Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre. Über Österreichs Nachrichtendienste seit 1945.“
Kassiererin das Geld nicht rasch genug aushändigt, wird sie aus nächster Nähe mit einem Schrotschuss umgebracht. Eine weitere Frau, die auf allen Vieren zu entkommen versucht, wird ebenso exekutiert. Die meisten Opfer gehen auf das Konto des „Killers“, der regelrecht Jagd macht. Schließlich flüchten die Mörder mit einer Beute von umgerechnet „nur“22.500 Euro. Es ist das letzte Verbrechen der „Brabant Killer“. Danach sind sie wie vom Erdboden verschluckt.
Nach dem Blutbad von Aalst wurden 740 Fallschirmjäger auf Patrouille geschickt.
So viel ist sicher: Die „Brabant Killer“wollten die Gesellschaft terrorisieren, und es gelang ihnen. Nach dem Blutbad von Aalst wurden 740 Fallschirmjäger auf Patrouille in die Städte geschickt. Bei den Wahlen am 28. November 1985 triumphierte der Konservative Wilfried Martens mit einem „Law and Order“-Kurs. Seine Regierung stand auch zur Nato – nachdem noch im März 1985 die Stationierung von 16 US-Marschflugkörpern auf belgischem Boden breite Proteste hervorgerufen hatte.
Von daher stand früh die Vermutung im Raum, die „Brabant Killer“hätten es auf die Destabilisierung der belgischen Demokratie abgesehen gehabt – mit dem Ziel, einen Rechtsruck auszulösen und das fragile Gleichgewicht zwischen Flamen und Wallonen durcheinanderzubringen. Für diese Hypothese spricht auch die Vorgangsweise der Täter: kaltblütig, präzise und tödlich, wie man sie von polizeilichen und militärischen Sondereinheiten kennt. Konkret in Verdacht geraten sind die „Stay Behind“-Kräfte. Dabei handelt es sich um spezielle Kader, die im Fall einer sowjetischen Invasion ein Guerilla- und Widerstandsnetz aufbauen sollten.
Solche Vorbereitungen gab es spätestens seit den frühen 1950er-Jahren in allen Ländern Westeuropas. Die verschiedenen Programme wurden von den jeweiligen nationalen Geheimund Nachrichtendiensten geleitet und im Rahmen der Nato koordiniert. Vor allem in Italien entstanden zusätzlich noch Parallelstrukturen, die ab 1969 auch in mehrere rechtsextreme Terrorakte verwickelt waren. Diese „Strategie der Spannung“sollte den Status quo absichern und die starke italienische kommunistische Partei von der Macht fernhalten.
„Stay Behind“-Netz. War es in Belgien ähnlich? Anfang der 1990er-Jahre untersuchte eine parlamentarische Kommission mögliche Verbindungen zwischen dem belgischen „Stay Behind“Netz SDRA-8 und den „Brabant Killern“. Sie wurde vor allem deswegen nicht fündig, weil sich der Direktor des Inlandsnachrichtendiensts Suˆrete´ weigerte, Namen herauszurücken. Ein Naheverhältnis zwischen staatlichen und rechtsextremistischen Kräften gab es jedenfalls. So führte die Suˆ rete´ die beiden Leiter der Untergrund-Miliz Westland New Post (WNP) als Informanten. Und ab 1981 trafen sich gleich drei Agenten regelmäßig mit den Neona
zis. Einer davon, mit dem bezeichnenden Decknamen „Ente“, unterwies die WNP-Mitglieder in Beschattungsmethoden. Nachdem die WNP mit dem Diebstahl von Nato-Dokumenten und der angeblichen Verwicklung in einen Doppelmord Aufsehen erregt hatte, wurde der Kontakt 1982 abgebrochen.
War es das Ziel, einen Rechtsruck auszulösen, den Staat zu destabilisieren?
Doch den Verdacht, hinter den „Brabant Killern“zu stecken, konnte die WNP nie abschütteln. Noch 2014 wurde der ehemalige Vize-Kommandant Michel Libert dazu einvernommen. Er ähnelt persönlich einem der „Brabant Killer“. Und ein ehemaliges Mitglied von WNP, das 1981 ausgeschieden war, erkannte „Techniken“, die ihm beigebracht worden waren, „in der späteren Vorgehensweise der Bande“wieder.
Libert selbst hatte eingeräumt, dass er und seine Mitstreiter Anfang der 1980er Anweisung erhalten hätten, Supermärkte
auszuspähen. Sie erstellten Berichte zu den Öffnungszeiten, ob es Sicherheitspersonal gebe und welche Schlösser verwendet wurden. Das sei „eine von Hunderten Missionen“gewesen. Für wen eigentlich, das konnte oder wollte Libert nicht sagen.
Es gibt noch eine andere Spur: Zeitgleich zur Mordserie der „Brabant Killer“operierte eine Gruppe von Schwerkriminellen, die vom Ex-Gendarmen Madani Bouhouche angeführt wurde. Sie soll es auf die Erpressung von Schutzgeld seitens der Supermarktketten abgesehen gehabt haben. Mit den immer brutaleren Überfällen wollte man den Supermarktverband angeblich dazu bringen, die ausgeschriebene Belohnung von zehn Millionen Francs (250.000 Euro) weiter zu erhöhen, um diese einzuheimsen. Doch die Verhaftung von Bouhouche Anfang 1986 machte dem einen Strich durch die Rechnung, was auch erklären könnte, warum die „Brabant Killer“so plötzlich verschwanden.
Zuletzt sind neue Hinweise aufgetaucht. Im Juni 2020 wurde das Foto eines Mannes veröffentlicht, der mit einer Repetierschrotflinte in einem
Wald posiert. Es soll sich dabei um einen der „Brabant Killer“handeln. Das Bild war schon 1986 der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Zur Öffentlichkeitsfahndung kam es erst jetzt, obwohl es sich um eine „entscheidende Spur“handele. Schon 2017 hatte Justizminister Koen Geens bestätigt, es habe Versuche gegeben, die Ermittlungen zu manipulieren. 2019 wurde dann ein Ex-Gendarm wegen des Verdachts verhaftet, wichtige Beweise verborgen zu haben. Da überrascht es nicht, dass kürzlich das umfangreiche Privatarchiv einer Hinterbliebenen beschlagnahmt wurde, um vielleicht daraus neue Ansätze zu gewinnen.
Nicht verjährt. Offensichtlich sei aber, dass die „Brabant Killer“den Staat treffen wollten, so Geens. Die Mordtaten blieben eine offene Wunde. Eigentlich wären sie nach belgischem Recht seit 10. November 2015 verjährt und eine weitere Strafverfolgung nicht mehr möglich. Doch das Parlament verlängerte die Frist bis 2025. Auch das zeigt, wie sehr die Verbrechen der „Brabant Killer“Belgien immer noch aufwühlen und herausfordern.