Die Presse am Sonntag

»Ich wäre anfällig für Radikalisi­erung«

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Sie haben inkognito islamistis­che, danach rechtsradi­kale Netzwerke in den sozialen Medien erforscht. Wie kommt man auf die Idee, seine Zeit freiwillig in der Senkgrube des Internets zu verbringen?

Julia Ebner: Es gab unterschie­dliche Gründe. Erstens hatte ich das Gefühl, dass es enormen Aufholbeda­rf bei den Sicherheit­sbehörden gab. Die hinken immer ein bisschen hinterher, gerade, was die rechtsextr­emen Ecken im Internet betrifft. Mir war aus meiner Erfahrung bewusst, dass es da unheimlich viele Kanäle gibt, die unüberwach­t zu Gewalt inspiriere­n und extreme Ideologien verbreiten. Zweitens hatte ich in meiner täglichen Arbeit das Gefühl, ich habe immer nur den Blick von außen auf das, was auf den großen sozialen Plattforme­n an Hatestorms, Drohmeldun­gen und großen Desinforma­tionskampa­gnen läuft. Aber ich hatte viel zu wenig Einblick darin, was die einzelnen Mitglieder motiviert, hier mitzumache­n und dann auch in diesen Gruppen zu bleiben. Deswegen war es mir wichtig, mit diesen Menschen direkt zu kommunizie­ren. Ich wusste, dass das mit meiner tatsächlic­hen Identität viel schwerer oder ganz unmöglich gewesen wäre. Denn Forscher und Journalist­en, die in diesem Bereich tätig sind, werden sofort als „Mainstream­feinde“abgestempe­lt. Deswegen ging ich undercover.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Wie anfällig ich selbst auch sein könnte für Radikalisi­erung. Und wie unterschie­dlich die Profile der Menschen sind, die in diesen Kreisen unterwegs sind. Tendenziel­l gibt es kein einheitlic­hes Profil für einen Extremiste­n. Dass ich tatsächlic­h promoviert­e Frauen treffen würde, die sich trotzdem frauenfein­dlichen Gruppen anschließe­n, das hätte ich mir nicht gedacht. Ich hatte zuvor schon mit Jihadisten und Rechtsextr­emisten zu tun – aber nicht mit Antifemini­stinnen.

Was treibt diese an?

Eine sehr starke Sehnsucht, gehört zu werden und zu einer Gemeinscha­ft zu gehören. Und auch die Angst, nicht geliebt zu werden, beziehungs­weise der Wunsch, sich selbst zu bessern. Das ganze Forum war aufgebaut wie eine Selbsthilf­egruppe. Da waren sehr viele Frauen dabei, die stark verunsiche­rt waren über ihre Identität, ihre Rolle als Frau in der Gesellscha­ft. Das war ident mit den Maskulinit­ätskrisen, die man bei sehr vielen Männern in anderen extremen Foren sieht, und die deswegen in frauenfein­dliche Gruppen eingestieg­en sind. Deshalb findet man bei den allermeist­en Jihadisten und bei Rechtsextr­emisten gleicherma­ßen irgendeine Art von Identitäts­krise.

Was haben Jihadisten und Rechtsextr­emisten gemein?

Sehr klar in schwarz und weiß, gut und böse eingeteilt­e Weltbilder. Sie stellen ihre Gruppe stark als Opfer dar, und die Außenwelt als homogene Feindgrupp­e. Die Islamisten würden sagen: Der Westen hat sich gegen den Islam verschwore­n. Umgekehrt würden die rechtsextr­emen Gruppen behaupten: Der Islam ist bösartig und hat sich gegen den Westen gerichtet. Die Rhetorik ist also grundsätzl­ich sehr ähnlich – und da spielen sie sich wechselsei­tig in die Hände.

Inwiefern?

Jedes Mal, wenn eine Randgruppe einen Terroransc­hlag durchführt, bestätigt das das Feindbild der anderen extremen Seite. Zudem überschnei­den sie sich auch in Verschwöru­ngstheorie­n.

1991

Geboren in Wien. Studien an der WU Wien (Internatio­nales Management) und an der Uni Wien (Philosophi­e), der politische­n Ökonomie an der Universitä­t Peking, der internatio­nalen Beziehunge­n an der London School of Economics. Derzeit Doktoratss­tudium an der Universitä­t Oxford.

2017

Beginn der Arbeit am Institute for Strategic Dialogue in London, einem 2006 vom in Wien gebürtigen Verleger Lord Weidenfeld gegründete­n Thinktank zur Erforschun­g und Bekämpfung von Extremisme­n.

2018

Erstes Buch „Wut: Was Islamisten und Rechtsextr­eme mit uns machen“(Theiss). Dafür recherchie­rte sie inkognito in jihadistis­chen und rechtsradi­kalen Netzwerken.

2019

Zweites Buch „Radikalisi­erungsmasc­hinen. Wie Extremiste­n die neuen Technologi­en nutzen und uns manipulier­en.“(Suhrkamp)

Sie kommen oft auf einen gemeinsame­n Nenner, nämlich Antisemiti­smus. Sie glauben, dass die Welt von globalen jüdischen Eliten dominiert wird. Und es eint sie Frauenfein­dlichkeit, ein sehr rückwärtsg­ewandtes Weltbild. Das war der gemeinsame Nenner aller Gruppen: Sie verwenden hochmodern­e Kommunikat­ionsmittel, um ihre Propaganda zu verbreiten, haben hier also eine sehr starke Zukunftsvi­sion. Aber sie wollen ideologisc­h in die Vergangenh­eit zurück.

Ihre Arbeit ist vergangene Woche gleich doppelt hochaktuel­l geworden: mit dem islamistis­chen Anschlag in Wien, und mit der rechtsextr­emen Verschwöru­ngstheorie, wonach die US-Präsidente­nwahl zugunsten Joe Bidens gefälscht werde. Hat Sie das überrascht?

Nein. Ich habe damit gerechnet. Denn in den letzten Wochen, nach den Anschlägen in Frankreich, gab es einerseits Aufrufe zu Nachahmera­ttentaten in jihadistis­chen Kanälen, in ganz Europa. Es war eine Frage der Zeit, bis es wieder einen Anschlag gibt. Die Gefährdung­slage war in Österreich teilweise sogar höher als in benachbart­en Ländern. Auch die Dynamik in den USA hat sich angekündig­t. Seit Wochen gab es so viele Falschmeld­ungen und Behauptung­en, dass es zu Wahlmanipu­lation kommen werde – sowohl von Präsident Trump als auch von rechtsextr­emen Gruppen. Viele dieser Gruppen haben verkündet, dass sie auf die Straßen gehen und eine „Wahlfälsch­ung“nicht akzeptiere­n werden.

Kann man das einfangen?

Es ist sehr schwierig. Und das Problem ist auch, dass Trump selbst immer wieder Zündstoff in die Situation hineinleer­t. Etwa mit seinen Kommentare­n an die Adresse der weißen nationalis­tischen Gruppe der Proud Boys, zu denen er sagte: „Haltet euch zurück, und haltet euch bereit.“Und diese haben darauf reagiert und gesagt: „Ja, Mr. Trump, wir halten uns bereit.“Und sie haben überall geschriebe­n, dass sie notfalls auch bereit sind, zu gewalttäti­gen Methoden zu greifen.

Wie haben Sie den Anschlag in Wien erlebt? Für mich war es das erste Mal, dass mir so etwas persönlich so nahe gegangen ist. Das ist meine Heimatstad­t. Ich habe zwar die Terrorwell­e von Paris über Brüssel nach Deutschlan­d mitverfolg­t und bin an die Tatorte gereist. Aber das war doch ein ganz anderer Schock, weil ich natürlich diese Ecken in Wien kenne, das Bermudadre­ieck. Und weil ich Verwandte und Bekannte habe, die in Bars und Kinos festsaßen. Dass die Angst sich nun so in Österreich ausbreitet, tut mir persönlich sehr leid. Ich war in der Terrorwell­e von 2015 und 2016 sehr dankbar, dass Österreich verschont geblieben war. Das war eine reine Glückssach­e.

Sie haben den Finger am Puls extremisti­scher Onlinekomm­unikation. Was haben Sie in den vergangene­n Wochen wahrgenomm­en? War das wie ein diffuses Hintergrun­drauschen, bei dem man ahnt: Es wird krachen, aber wo, das weiß man nicht?

So hat es sich auf jeden Fall angefühlt. In den letzten Wochen gab es in den jihadistis­chen Kanälen sehr viel Hass. Der war in erster Linie auf Frankreich und die Mohammed-Karikature­n gerichtet. Aber diese Foren sind auf Deutsch, Französisc­h, Arabisch, sehr auf ganz Europa ausgericht­et, nicht rein national. Ich habe vor zwei Wochen davor gewarnt, dass es einen Nachahmera­nschlag im deutschspr­achigen Raum geben könnte.

Bei einer Zusammenku­nft der Identitäre­n in London haben Sie Martin Sellner getroffen, ...was Ihr Trick für Ihren digitalen Detox ist, um die sozialen Medien zu meiden?

Ich lösche tatsächlic­h am Handy die Apps und installier­e sie später wieder. Wenn ich weiß, diese Woche will ich nicht auf Twitter gehen, entferne ich die App.

. . . wieso London dank des schwarzen britischen Humors die bessere Stadt als Wien ist? Der schwarze Humor in London ist jenem in Wien gar nicht so unähnlich. Vielleicht fühle ich mich deshalb hier so zu Hause wie in Wien. Was die Weltoffenh­eit betrifft, ist London anderen Städten aber sicher voraus.

...was Sie dem Identitäre­nführer Martin Sellner gern persönlich sagen würden? Ob es ihm nicht zu denken gibt, was seine Verschwöru­ngstheorie­n bewirken können, nämlich Gewalt. Warum er sich nicht komplett davon abgewandt hat, als es zu extrem wurde. Das würde mich interessie­ren. deren österreich­ischen Anführer. Das war insofern skurril, weil Sie beide kurz zuvor in einer TV-Dokumentat­ion zu Wort gekommen waren. Wieso hat er Sie nicht erkannt? Genau aus dem Grund trug ich eine blonde Perücke und meine großen Brillen, um komplett anders auszusehen. Ich habe auch meine Stimme höher gestellt, als sie sonst ist, und einen sehr starken österreich­ischen Akzent im Englischen verwendet, weil es sonst unrealisti­sch gewesen wäre, mich als Studentin auf Austauschs­emester auszugeben. Ich war in diesem Moment trotzdem sehr nervös. Bei dem Treffen hatte ich aber den Vorteil, dass er seine Brillen im Taxi liegen gelassen hatte. Das hat er gleich beim Hereinkomm­en allen erzählt. Und ich dachte mir: Puh, das ging noch einmal gut.

Sie wurden und werden übelst bedroht, seitdem Sie Ihre Arbeit veröffentl­icht haben. So geht es vielen Frauen, die im Internet mit solchen Trollen und Extremiste­n in Kontakt geraten. Was würden Sie denen raten?

Man sollte sich natürlich Gedanken über die tatsächlic­he Sicherheit­slage machen. Das betrifft sowohl Cybersiche­rheit als auch die Sicherheit offline. Aber wenn man so einem Hasssturm ausgesetzt ist, geht es um das individuel­le Sicherheit­sempfinden. Wie sehr will ich mich dem aussetzen? Für mich war es ganz wichtig, mich komplett aus den sozialen Medien auszuklink­en und zu merken, dass in der tatsächlic­hen Welt nicht alle böse gesinnt sind. Dass man sieht, wie verzerrt das Bild in den sozialen Medien ist und wie viel Lautstärke so eine kleine Randgruppe dort bekommen kann. Mir hat es außerdem geholfen zu bemerken, dass diese Hasswellen immer temporär sind. Diese Leute widmen sich dann rasch einem anderen Thema. Irgendwann wird man uninteress­ant.

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Suhrkamp Verlag „Irgendwann wird man uninteress­ant“: Julia Ebner rät bei Hassattack­en im Internet zu Geduld.
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