Die Presse am Sonntag

»Das passiert ja wohl in jeder Regierung«

- VON IRIS BONAVIDA THOMAS PRIOR

Haben Sie in den vergangene­n Tagen internatio­nale Zeitungen gelesen?

Gernot Blümel: Ja, immer wieder.

Die Chatnachri­chten zwischen Spitzenpol­itikern der ÖVP, darunter Sie, haben nicht nur in Österreich Schlagzeil­en gemacht. Die Europa-Ausgabe von „Politico“hat den Bundeskanz­ler sogar aufs Cover gehoben, Titel: „House of Kurz“. Und die „Neue Zürcher Zeitung“schreibt über „Freunderlw­irtschaft“und ein kriselndes Team Kurz. Erleben wir gerade die erste Krise der türkisen ÖVP?

Ich kann nachvollzi­ehen, dass die Chatnachri­chten, die sowohl zeitlich als auch inhaltlich aus dem Zusammenha­ng gerissen worden sind, für Irritation­en und eine gewisse Aufregung sorgen. Ich wäre aber vorsichtig mit der von Ihnen geäußerten Bewertung. Dass das jetzt die erste Krise oder Bewährungs­probe der ÖVP wäre, habe ich in den vergangene­n Jahren doch recht oft gehört. Insofern hat es wohl schon einige Herausford­erungen gegeben.

Mag sein. Aber ist das jetzt die größte? Ehrlicherw­eise glaube ich, dass die Parteiüber­nahme durch Sebastian Kurz eine sehr große Herausford­erung war. Die Phase nach dem Ibiza-Video, der Bruch mit der FPÖ, der Wahlkampf danach – da gab es viele falsche Vorwürfe. Auch das hat sich wie eine sehr schwere Krise angefühlt. Am Ende des Tages war es dann doch das beste Wahlergebn­is seit Langem für die ÖVP. Insofern haben wir schon viele Krisen gemeistert, wir werden auch diese meistern.

Die türkise ÖVP mit Sebastian Kurz und Ihnen als inoffiziel­le Nummer zwei ist angetreten, um einen neuen Politiksti­l zu etablieren. Mauschelei­en über Postenverg­aben sind aber eher alter Stil, finden Sie nicht?

Der neue Stil bezieht sich ja vor allem auf die Art und Weise, wie wir mit politische­n Mitbewerbe­rn umgehen. Und der ändert sich überhaupt nicht. Ich war diese Woche zum zweiten Mal im Untersuchu­ngsausschu­ss zu Gast, und ich muss sagen: Da wird so viel mit falschen Unterstell­ungen, mit Vorverurte­ilungen und Anschuldig­ungen gearbeitet, dass es schwerfäll­t, den Stil aufrechtzu­erhalten. Wir tun das trotzdem, wir würdigen die anderen nicht herab.

Ist es keine Herabwürdi­gung, wenn sich Thomas Schmid rühmt, einen Kirchenver­treter in Verlegenhe­it gebracht zu haben?

Der Generalsek­retär der Bischofsko­nferenz hat erst diese Woche gesagt, dass die Zusammenar­beit zwischen der katholisch­en Kirche und der damaligen Bundesregi­erung wie auch der jetzigen eine sehr gute ist.

Peter Schipka hat aber auch gesagt, die Sache sei peinlich, aber nicht für ihn. Wie steht es mit Ihnen: Sind Ihnen manche Chats peinlich oder zumindest unangenehm?

Ich habe bereits gesagt, dass ich nachvollzi­ehen kann, wenn manche davon zu Aufregung führen. Was aber einen Gutteil auch dem geschuldet ist, dass sie aus dem Zusammenha­ng gerissen wurden. Und ja: Wem ist es noch nicht passiert, dass er in der Emotion etwas geschriebe­n hat, das er im Nachhinein vielleicht anders formuliere­n würde?

Aber die meisten sind halt nicht Regierungs­mitglieder. Wenn Sie sagen, da sei etwas aus dem Zusammenha­ng gerissen worden: Was ist denn der richtige Kontext?

Worauf beziehen Sie sich?

Das wollten wir eigentlich von Ihnen wissen. Ein Beispiel: Nach dem Öbag-Beschluss im Nationalra­t haben Sie an Thomas Schmid geschriebe­n: „Schmid-AG fertig.“

Diese Nachricht wurde zu einem Zeitpunkt verschickt, als das Gesetz der Öbag beschlosse­n worden ist. Und Thomas Schmid war als Generalsek­retär im Finanzmini­sterium federführe­nd für die Verhandlun­g dieses Gesetzes zuständig. Das war ein Prozess, der über eineinhalb Jahre gegangen ist, in denen das Finanzmini­sterium auch mit der SPÖ verhandelt hat, um letztlich eine Zweidritte­lmehrheit zu bekommen. Wenn man die Nachricht in diesen Kontext stellt, dann wirkt sie schon ganz anders.

Er habe nirgends gelesen, dass Postenverg­aben der Grünen ein Problem seien, sagt Finanzmini­ster Gernot Blümel. Ein Gespräch über Chats, Stilfragen und die erste türkise Krise.

Kurz schrieb an Schmid: „Kriegst eh alles, was Du willst.“Wie steht es damit?

Da kenne ich den Kontext nicht, weil die Nachricht nicht von mir war.

Ob er noch Kurznachri­chten schreibt? Ja, sagt Gernot Blümel (hier im Finanzmini­sterium in der Himmelpfor­tgasse).

Es waren die Ermittler, die diese Chatprotok­olle ausgewerte­t haben. Tausende Nachrichte­n wurden auf 186 Seiten zusammenge­fasst. Finden Sie, dass hier Dinge aus dem Zusammenha­ng gerissen wurden?

Die Nachrichte­n, so wie sie von Ihnen aufgeworfe­n wurden, sind zweifellos aus dem Zusammenha­ng gerissen.

Die Ermittler schreiben: „Anhand der Chatprotok­olle zeigt sich, dass Blümel und Kurz die relevanten Ansprechpa­rtner für die wesentlich­en Informatio­nen und Entscheidu­ngen bezüglich der Genese der Öbag waren.“Worin liegt der Vorwurf? Dass der Kanzleramt­sminister, der für die Regierungs­koordinati­on zuständig war, in Diskussion­en über Personalen­tscheidung­en eingebunde­n war? Das passiert ja wohl in jeder Regierung.

Formal waren weder Sie als damaliger Kanzleramt­sminister noch der Kanzler zuständig. Es werden Hunderte Personalen­tscheidung­en getroffen, im Ministerra­t, in der Ministerve­rantwortli­chkeit – und ja, man diskutiert auch über Personalia, für die man formal vielleicht nicht zuständig ist. Wichtig ist, dass die Personen ausreichen­d qualifizie­rt sind und dass die Gesetze eingehalte­n werden. Das ist immer passiert.

Hat die ÖVP-Spitze dem Öbag-Aufsichtsr­at empfohlen, Schmid zum Alleinvors­tand zu machen?

Wenn ich gefragt wurde, ob ich Thomas Schmid empfehlen kann, werde ich mit Sicherheit Ja gesagt haben. Aber die Entscheidu­ng lag bei den Aufsichtsr­äten. Und ich würde Sie wirklich bitten, nicht immer subkutan zu unterstell­en, dass die hoch qualifizie­rten, untadelige­n Aufsichtsr­äte ein aktienrech­tswidriges Verhalten an den Tag legen würden.

Das unterstell­t niemand. Bei der Chatlektür­e könnte man aber zu dem Schluss kommen, dass sich Schmid mithilfe der ÖVP-Spitze jene Aufsichtsr­äte ausgesucht hat, die ihn dann zum Vorstand gemacht haben.

Das ist genau die Unterstell­ung, von der ich spreche. Denn das würde bedeuten, dass die Aufsichtsr­äte nicht im Sinne ihrer Verantwort­ung gehandelt haben, sondern aus anderen Gründen.

Offenbar war Schmid aber sehr wohl in die Auswahl der Aufsichtsr­äte eingebunde­n.

Die Entscheidu­ng trifft das zuständige Organ – das ist die Hauptversa­mmlung und in diesem Fall der Finanzmini­ster. War der damalige Generalsek­retär des Finanzmini­steriums eingebunde­n in die Personalvo­rschläge? Natürlich. Alles andere wäre auch komisch.

In zwei Fällen wurde auch von „steuerbare­n“Frauen geschriebe­n. Ist das ein Frauenbild, das zu jenem der ÖVP passt?

Ich habe diese Formulieru­ng sicher nicht verwendet.

Sie nicht, aber Thomas Schmid.

Dann würde ich Sie ersuchen, bei ihm nachzufrag­en.

Den Chats ist auch zu entnehmen, dass Jobs für ÖVP-Politiker wie Gabriele Tamandl und Manfred Juraczka gesucht wurden. Verhilft einem die „ÖVP-Familie“zu einem Job, wenn man einen braucht?

Ich frage mich, warum Postenbese­tzungen von linken Parteien automatisc­h als gut bewertet werden und Postenbese­tzungen von bürgerlich­en Parteien automatisc­h schlecht sind.

In den Jahrzehnte­n, in denen die SPÖ den Kanzler gestellt hat, wurde Postenscha­cher laufend kritisiert, und zwar auch medial.

Ich habe noch nirgends gelesen, dass es ein Problem wäre, wenn die Grünen jetzt Positionen besetzen: Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der Austro Control ist eine ehemalige grüne Bezirksrät­in geworden (Karin Tausz, Anm.), Direktorin des Naturhisto­rischen Museums eine ehemalige deutsche Grünen-Politikeri­n (Katrin Vohland, Anm.). Und der Abteilungs­leiter für Sportangel­egenheiten im Ministeriu­m von Werner Kogler war früher Nationalra­tsabgeordn­eter (Dieter Brosz, Anm.). Ich wüsste nicht, dass das für Aufregung gesorgt hätte, die Postenbese­tzungen der türkis-blauen Regierung aber sehr wohl.

Die Bestellung von Brosz wurde medial sehr wohl thematisie­rt, zum Teil sehr kritisch. Halten Sie Brosz für nicht qualifizie­rt genug?

Es ist absolut normal in einer repräsenta­tiven Demokratie, dass Personen, die qualifizie­rt sein müssen und zu denen man ein Vertrauens­verhältnis hat, zum Zug kommen, wenn die Ausschreib­ung korrekt abläuft. Das kritisiere ich nicht. Mich stört, dass suggeriert wird, dass es bei manchen gut ist und bei manchen nicht.

War Schmid aus Ihrer Sicht der beste Bewerber? Internatio­nale Erfahrung wurde auf seinen Wunsch ja nicht in der Ausschreib­ung gefordert.

Das zu bewerten war nicht meine Aufgabe, sondern die des Aufsichtsr­ats.

Aber Sie hatten sicher eine Meinung dazu. Ich kann das gar nicht bewerten, weil ich die anderen Bewerber nicht kenne. Der Aufsichtsr­at hat kundgetan, dass Schmid als der Bestqualif­izierte hervorgega­ngen ist. Dieser Meinung waren alle Aufsichtsr­äte – übrigens mit verschiede­nen Parteibüch­ern. Die Performanc­e der Öbag bestätigt das auch.

Warum lässt man Schmids Vertrag dann im März 2022 auslaufen?

Weil es seine Entscheidu­ng war. Das wurde vom Aufsichtsr­at einstimmig zur Kenntnis genommen.

Mit den Chats hat das nichts zu tun?

Was der Grund für seine Entscheidu­ng war – da würde ich Sie bitten, Thomas Schmid zu fragen.

Hatten Sie denn gar keinen Kontakt zu ihm? Doch, diese Woche habe ich ihn beispielsw­eise angerufen. Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht, und habe seine Entscheidu­ng zur Kenntnis genommen.

Ist ein vorzeitige­r Abgang Schmids möglich? Ich gehe davon aus, dass der Vertrag im März 2022 ausläuft.

Die ÖVP betont immer, wie gut die Öbag unter Schmid dasteht. Die Opposition sieht das anders: Die SPÖ ortet ein „Millioneng­rab“, unter anderem wegen der AUA-Rettung ohne Arbeitspla­tz-Garantie. Die Neos wiederum finden, dass der Kaufpreis für den Chemiekonz­ern Borealis viel zu hoch war.

Ich habe auch im U-Ausschuss wieder den Eindruck gehabt, dass es manchen Parteien nicht um Aufklärung, sondern um Skandalisi­erung geht. Diese Äußerungen fallen darunter.

In einem ORF-Interview diese Woche haben Sie erzählt, dass der Anwalt der ÖVP routinemäß­ig bei der Staatsanwa­ltschaft nachfragt, ob Verfahren gegen ÖVP-Politiker laufen. Ist das ein vorauseile­ndes Schuldbewu­sstsein? Der Grund dafür ist leider eine Vielzahl an anonymen, erfolgten und angekündig­ten Anzeigen. Um Kenntnisst­and darüber zu haben, hat die Bundespart­ei den Rechtsanwa­lt ersucht, regelmäßig nachzufrag­en. Ich finde es nur immer bemerkensw­ert, dass oft berichtet wird, wenn man angezeigt wird – aber nicht, wenn die Anzeige dann nicht weiter verfolgt wird. Wenn das in einer Äquivalenz stehen würde, hätte ich nicht einmal so ein Problem mit der Situation.

Die grüne Abgeordnet­e Nina Tomaselli sagte zuletzt: „Türkis-Blau hat versucht, ein politische­s System zu installier­en, das vor allem ihren wohlhabend­en Freunden dienen sollte.“Was ist das für eine Koalition, wenn die Grünen so etwas über die ÖVP sagen?

Seit Jänner 2020 ist Gernot Blümel (39) Finanzmini­ster und Regierungs­koordinato­r der ÖVP in der türkis-grünen Koalition.

Im Dezember 2017 wurde Blümel erstmals als Minister angelobt. In der türkis-blauen Regierung war Blümel für EU, Kunst, Kultur und Medien zuständig, außerdem

Regierungs­koordinato­r.

Die politische Karriere Blümels begann bei der Jungen ÖVP. 2013 stieg er zum Generalsek­retär der Bundespart­ei auf. 2015 wurde er Obmann der

Wiener Volksparte­i. Blümel ist ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz.

Im Februar 2021 wurde bekannt, dass die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft wegen des Verdachts der Bestechlic­hkeit und der Bestechung gegen Blümel ermittelt. Er weist die Vorwürfe als falsch zurück.

Die Frage muss man an Nina Tomaselli richten, ich würde so etwas nie sagen.

Der Grünen-Mandatar David Stögmüller hat beim ersten Misstrauen­santrag gegen Sie nur „unter Schmerzen“nicht mitgestimm­t. Haben Sie noch das Vertrauen der Grünen? Offensicht­lich.

Aber nicht von allen. Es war mehr eine Entscheidu­ng für die Koalition als für Sie.

Ich wüsste nicht, dass ein grüner Abgeordnet­er dem Misstrauen­santrag zugestimmt hätte.

Schreiben Sie eigentlich noch Kurznachri­chten?

Ja!

Auch im berufliche­n Kontext? Natürlich.

Wird man vorsichtig­er? Ohne Ibiza wäre es wohl nicht zur Chatauswer­tung gekommen. Dann würden wir eben über etwas anderes reden. Ihnen würden sicher Fragen einfallen.

Wahrschein­lich. Aber keine zu den Chats. Politik ist ein sehr spannendes, manchmal auch herausford­erndes Geschäft. Manchmal geht es auch nicht um die inhaltlich­e Arbeit. Das liegt offenbar in der Natur der Sache.

Sie werden zum zweiten Mal Vater. Werden Sie, wie einige Ihrer Regierungs­kolleginne­n, nach der Geburt des Kindes ein paar Wochen oder Monate Auszeit nehmen?

Nein, das habe ich beim letzten Mal auch nicht gemacht. Weil die Herausford­erungen wirklich groß waren und bleiben. Ich glaube nicht, dass die Österreich­erinnen und Österreich­er Verständni­s dafür hätten, dass sich der Finanzmini­ster in der Coronakris­e eine Auszeit nimmt.

Glauben Sie nicht, dass es ein wichtiges Signal wäre? Als Alma Zadi´c nicht im Dienst war, war es in der Justiz auch nicht ruhig. Jeder muss für sich entscheide­n, wie er es handhabt.

ugust 2020: Die russische „50 Let Pobedy“(50. Jahrestag des Sieges) tuckert zwischen Schollen durch das kalte Wasser. Ein Schiff, gebaut für Meere, wo das Eis so dick ist wie ein erwachsene­r Mann groß. Zwei Nuklearant­riebe mit insgesamt 75.000 PS schieben den Eisbrecher über dünne Eisplatten, die unter seinem Gewicht bersten – und so einen Pfad frei machen. In diesem folgt ein russisches Forschungs­schiff, bestückt mit Sensoren, mit denen der Meeresbode­n vermessen werden kann.

Der Zickzackku­rs, den die beiden Schiffe nehmen, führt sie zwischen Kanada, Grönland und dem Nordpol kreuz und quer über den sogenannte­n Lomonossow-Rücken. Das Massiv erhebt sich bis zu 3700 Meter über den Meeresbode­n, zieht sich über eine Länge von 1800 Kilometern und liegt genau über dem Nordpol.

Geht es nach den Russen, ist der vom Meeresbode­n aufragende Bergrücken unter Wasser eine Verlängeru­ng des sibirische­n Archipels Franz-JosefLand. Die Dänen sehen darin ein Stück von Grönland, das als autonome Region zu Dänemark gehört. Die Kanadier wiederum behaupten, es entwickle sich aus Ellesmere Island heraus, das zum kanadische­n Gebiet Nunavut zählt. Seit Jahren versuchen Wissenscha­fter aus allen drei Ländern zu beweisen, in welcher Gesteinsfo­rmation der Lomonossow-Rücken beginnt.

Fahne am Nordpol. Das norwegisch­e Fachblatt „High North News“schrieb vor Kurzem, dass Russland aufgrund der im Sommer 2020 gesammelte­n Daten einen Antrag bei jener UN-Kommission vorbereite, die entscheide­t, ob unter Wasser liegende Gesteinsfo­rmationen dem Festlandso­ckel eines bestimmten Landes zuzurechne­n sind. Davon kann abhängen, wer das Recht bekommt, an bestimmten Stellen im Meer zu fischen oder am Meeresbode­n nach Öl und Gas zu bohren. Bereits im Jahr 2007 tauchte ein russisches U-Boot zum Zweck einer wissenscha­ftlichen Erkundung auf den arktischen Meeresgrun­d – und platzierte in internatio­nalen Gewässern genau am Nordpol eine russische Fahne aus Titan.

Die immer schneller des ewigen Eises beraubten Gebiete über dem Polarkreis sind ins Blickfeld der Weltpoliti­k geraten. Im sich wandelnden Klima des Nordens hat sich ein Schauspiel entwickelt, in dem die Macht über die Arktis neu verhandelt wird.

Vergangene Woche reihten sich Berichte aneinander, die wie aus den Tagen des Kalten Krieges anmuten: Der Fernsehsen­der CNN analysiert­e Satelliten­bilder, die den Ausbau russischer Basen weit oberhalb des Polarkreis­es (rund 66,57° N) zeigen, die einst von den Sowjets errichtet und dann aufgelasse­n wurden. Das russische Militär brach in einem Manöver erstmalig mit drei U-Booten gleichzeit­ig durch die arktische Eisdecke – inklusive spek

Blick nach unten vom Turm eines jener drei russischen Atom-U-Boote, die kürzlich durch den arktischen Eisschild nahe Franz-Josef-Land auftauchte­n. takulärer Bilder für die Medien. Auch die „Bild“-Zeitung berichtete von „Poseidon“, einer mysteriöse­n Superwaffe, die den Westen bedrohen soll.

Neue Seewege. „Niemand hat Interesse daran, dass die Arktis militarisi­ert wird“, sagte der Sprecher des US-Verteidigu­ngsministe­riums vorigen Dienstag. Da s russi sche Außenminis­terium ließ am Freitag wissen, dass Moskau sich selbstrede­nd an alle internatio­nalen Gesetze halte. „Der Wunsch, die Arktis

Immer galt die Arktis als Zone des Friedens, maximal als eine von Konflikten niedriger Intensität. Klar: Bei 20, 30, 40, 50 Grad minus funktionie­ren weder Mensch noch Maschinen gut, Eis erschwert den Zugriff auf Ressourcen und den Verkehr bis zur Unmöglichk­eit, die Sommer sind kurz.

Erst die alliierten Geleitzüge im Zweiten Weltkrieg nach Murmans kz ur Unterstütz­ung der Sowjets und die deutsch-finnischen Versuche, die Hafenstadt zu erobern, machten die Arktis zur Kampfzone. Im Kalten Krieg blieb es dort ruhig. Allenfalls fuhren U-Boote unter dem Eis, wären im Ernstfall im anderswo aufgetauch­t, hätten Schiffe attackiert, vielleicht Atomrakete­n gestartet. Ansonsten erwarteten speziell Russland, die USA und Kanada nur Bomber und Raketen aus der Richtung.

Heute tauen Verkehrswe­ge und Ressourcen­gründe auf – und die Anrainer fühlen sich von See her bedroht. Besonders Russland, wie die norwegisch­e Militärexp­ertin Ina Holst-Pederzu militarisi­eren und die Region zum Zweck des berüchtigt­en Kurses in Richtung einer sogenannte­n Abschrecku­ng Russlands zu verwenden, löst unsere berechtigt­e Besorgnis aus“, so eine Sprecherin des russischen Außenminis­teriums (siehe die Geschichte unten).

Nördlich des Polarkreis­es geht es aber nicht nur u m den möglichen Zugang zu Bodenschät­zen .D ie warmen Sommer und das schwindend­e Packeis öffnen neue Seerouten – etwa für sen Kvam meint: „Der natürliche Schutzgürt­el Russlands verschwind­et.“Auch das erkläre dessen enorm verstärkte Militärprä­senz dort.

Tatsächlic­h werden alte SowjetStüt­zpunkte seit den 2000er-Jahren saniert und neue gebaut, an Sibiriens Küste und auf Inseln; „Role Model“ist Nagurskaja auf Franz-Josef-Land, mit 80,8° Nord der nördlichst­e Ort. Sie haben Flugfelder und/oder Häfen, je nachdem Radars, Störsystem­e, Raketen, Flugzeuge, teils Bodentrupp­en. Die Nordflotte hat zwei Arktis-Infanterie­brigaden mit 6000 bis 9000 Mann. Man plant „Eis-Kriegsschi­ffe“mit Eisbrecher­fähigkeit. Samt der klassische­n Flieger - und Flottenbas­en gibt es nun zwei Dutzend Arktisbase­n. Von der Grenze zu Norwegen bis zur Beringstra­ße vor Alaska sind es freilich, in Geraden gemessen, rund 6500 Kilometer.

Die anderen Anrainer sind schlechter gerüstet. Die Dänen haben auf Grönland 40 bis 100 Mann, vier Schiffe, vier Helikopter, ein bis zwei Flieger. Es gibt die US-Air Base Thule, dennoch ist der Raum unüberblic­kbar. In der „Sirius-Patrouille“fahren Soldaten (total 14) mit Hundeschli­tten die Ost- und Nordküste auf und ab. Norwegens Nord-Brigade (Infanterie, Panzer) ist gegenüber

Russland postiert; fürs Eis

gilt aufgrund der vielen Inseln als nur schwer für Containers­chiffe befahrbar. Zudem reicht das dicke Packeis hier immer wieder knapp ans kanadische Festland. Inwiefern sich die neuen Seerouten wirtschaft­lich überhaupt lohnen, ist ungewiss. Selbst im Sommer kann ungünstige­r Wind riesige Eisscholle­n in weiter südlich gelegene Gebiete treiben. Die Reedereien müssten eigene Containers­chiffe ordern, die Karambolag­en überstehen könnten – was die Kosten hochtreibt.

Trotzdem machen sich die Weltmächte weiter Gedanken, was es für sie heißt, wenn sich das Klima so stark ändert, dass vormals entlegene Gebiete nicht mehr unerreichb­ar erscheinen.

Zwar grenzen nur fünf Staaten an das arktische Eis: Russland, die USA, Kanada, Norwegen und Dänemark. Doch auch das geografisc­h um etliche Tausend Kilometer weiter südlich gelegene China will mitreden: Peking bezeichnet sich als „Near-Arctic State“, als Staat nahe der Arktis.

Wettbewerb der Großmächte. Was am Nordpol passiert, kann die chinesisch­e Zukunft beeinfluss­en: Sollte die Arktis über die Sommermona­te einmal ganz zu Wasser schmelzen, würde das einen neuen Weg von Asien nach Amerika frei machen. Nach Schätzunge­n einiger Wissenscha­fter könnte das noch in diesem Jahrhunder­t der Fall sein.

Dazu kommt, dass sich in Grönland große Vorräte an seltenen Erden befinden, die vor allem in Smartphone­s, Computern und anderen Elektroger­äten eingesetzt werden.

Von den Anrainern am Eis investiert derzeit vor allem Russland in Infrastruk­tur

90

Prozent des Welthandel­s werden über Schiffe abgewickel­t.

37

Frachtschi­ffe durchquert­en im Jahr 2019 die Nordostpas­sage komplett.

18.829

Manöver »signalisie­ren eine Rückkehr zu einer Version der Ära des Kalten Krieges«.

Frachtschi­ffe durchquert­en im Jahr 2020 den Suezkanal.

Prinz Philip, der Mann der britischen Königin Queen Elizabeth II, ist gestorben und im Commonweal­th trauert man. Das Foto zeigt Mitglieder der australisc­hen Federation Guard, die in der Hauptstadt Canberra 41 Kanonensch­üsse zu Ehren des verstorben­en Prinzen abfeuern.

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AFP 41 Schüsse.

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