Verlust von biologischer Vielfalt
Der durch Umweltzerstörung wird meist nur aus ökologischer Perspektive gesehen. Dabei gibt es auch harte ökonomische Folgen.
und 150 Tier- oder Pflanzenarten würden weltweit pro Tag aussterben, warnen Umweltschutzorganisationen wie der WWF regelmäßig. Eine schockierende Zahl, die gleichzeitig aber doch irgendwie schulterzuckend zurücklässt. Schließlich geht es bei den knapp 40.000 Arten, die auf der sogenannten Roten Liste stehen, nicht nur um bekannte Tiere wie den Sumatra-OrangUtan oder das Spitzmaulnashorn, sondern auch um Pilze, Moose oder Insekten, von denen die meisten Menschen wohl noch nie etwas gehört, geschweige denn sie gesehen haben.
Bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) wollte man sich diesem Thema daher einmal aus einer anderen Richtung annähern. Und so haben sich die Ökonomen des Hauses angesehen, welchen Wert die Erde der Menschheit jedes Jahr eigentlich kostenlos zur Verfügung stellt. Und wie viel jener Teil davon kostet, der durch die menschliche Tätigkeit zerstörtwird.
Viel mehr als das globale BIP. „Es gibt vier verschiedene Bereiche, in denen die Biodiversität dem Menschen Vorteile bringt, die einen ökonomischen Wert haben“, sagt Studienautor Alexander Meyer zum Felde im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Als ersten und mit deutlichem Abstand wichtigsten Bereich haben die Ökonomen dabei die sogenannte „Selbstregelung der Natur“identifiziert. „Das ist beispielsweise die Verrottung von Pflanzen, die im Boden Nährstoffe freigeben. Wenn es das nicht gäbe, müssten wir diese Böden künstlich düngen.“Ein anderes Beispiel seien Mangrovenwälder an Küsten, die Überflutungen verhindern. Sterben diese ab, müssten riesige, teure Dämme errichtet werden, um den Hochwasserschutz zu erhalten.
Der zweite Bereich ist der „kulturelle Wert“– etwa im Rahmen der Tourismusindustrie. So gebe es bestimmte Nationalparks wie den YellowstonePark in den USA oder die Halong Bay in Vietnam, die neben dem ökologischen Wert auch rein durch ihr Vorhandensein bereits einen touristischen Wert bringen. Als drittes werden von BCG die sogenannten „Habitat Services“genannt. „Darunter versteht man Lebensbereiche für verschiedenste Tiere, die ansonsten künstlich geschaffen werden müssten. Die Natur schaff thier Räume, in denen Rohstoffe für uns dann nachwachsen“, erklärt Meyer vom Felde. Und der letzte – und für viele wohl überraschend –, kleinste Bereich ist das „Provisioning“. Also der Wert jener Produkte, die direkt aus der Umwelt entnommen werden.
In Summe ergeben diese vier Sektoren eine ökonomische Leistung von 150 Billionen US-Dollar im Jahr, so die Berechnung von BCG. „Das sind Leistungen des Ökosystems, die großteils nicht im globalen Bruttoinlandsprodukt enthalt en sind.“Von ihrer Größenordnung entspricht die Systemleistung der Erde damit etwa dem Doppelten des von Menschen gemachten und gezählten weltweiten BIPs. „Wenn die Ökosystemleistung der Erde komplett einbrechen würde, dann würden wir über eine solche Größenordnung sprechen, um diesen Ausfall ökonomisch zu ersetzen“, so Meyer vom Felde.
Durch Umweltzerstörung würde jedoch ein Teil dieser Ökosystemleistung konstant vernichtet werden. „Wir schätzen, dass jene Leistung, die wir von dieser Gesamtleistung jedes Jahr verlieren, ungefähr fünf Billionen Euro entspricht.“Ein Beispiel dafür sei etwa das Bienensterben infolge von Pestizideinsatz und Monokulturen, weshalb die Erträge in manchen Bereichen der Landwirtschaft geringer ausfallen. Oder die Abholzung des Regenwaldes und der damit einhergehende Verlust eines CO2-Speichers. Dieser müsste in Zukunft beispielsweise durch die milliardenschwere Errichtung von CarbonCapture-and-Storage-Einrichtungen (CCS) wieder ausgeglichen werden. „Die Folgen des Klimawandels sind in diesen Zahlen noch gar nicht enthalten“, so Meyer zum Felde.
Die Zukunft. Man könne den geschätzten jährlichen Verlust nicht linear in die Zukunft hochrechnen. „Wir werden in 35 Jahren nicht bei einer Ökosystemleistung von null sein.“Grundsätzlich würden ohne Gegenmaßnahmen die volkswirtschaftlichen Kosten für die Ausgleichsmaßnahmen jedoch immens steigen.
150
Billionen Dollar ist laut Berechnungen der Unternehmensberatung BCG die jährliche Ökosystemleistung wert, die von der Erde der Menschheit jedes Jahr weitgehend kostenlos zur Verf ügungges tellt wird.
5
Billionen Dollar ist jener Anteil davon, der jährlich durch Umweltzerstörung verringer tw ird.
Doch was kann die Menschheit tun, um hier nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Probleme zu vermeiden? Die BCG-Experten empfehlen auch hier eine ökonomische Vorgehensweise – Kostenwahrheit. „Heute ist Naturzerstörung meistens kostenlos.“Vielmehr würden die Kosten dafür auf künftige Generationen verschoben. Hier bräuchte es eine „Einpreisung“externer Kosten wie Luft- oder Wasserverschmutzung in konkrete Produkte. „Müssen wir künftig dafür bezahlen, ist das keine Steuer, sondern nur eine transparente Verteilung der Kosten.“
Es gehe nicht um Verzicht, sondern um bessere technologische Lösungen.
Aber auch die Nutzung von natürlichen Ressourcen sollte noch effizienter werden. „Es bräuchte eine verstärkte Rezyklierung in der Nutzung von Gütern – wir müssen anfangen, unsere Ressourcen in Kreisläufen zu halten. So ließe sich einiges an Zerstörung verhindern.“Die Produktion müsse dabei nicht unbedingt automatisch teurer werden, manchmal sei sie nur etwas komplexer, so Meyer zum Felde.
Von einer Verzichtdiskussion hält er jedoch nichts. „Die können wir dann führen, wenn wir ein Niveau erreicht haben, auf dem das notwendig ist.“Vorerst gehe es darum, mittels besserer technischer Lösungen einen verantwortungsvolleren Umgang mit der Natur zu schaffen. Denn eines sei klar: „Veränderungen bei den Ökosystemleistungen werden mittelfristig auch zu direkten Kosten für die Unternehmen werden.“Bei langfristigen Entscheidungen – etwa in der Forstwirtschaft – gebe es daher schon ein Umdenken. „Wo Entscheidungen jedoch einen kurzfristigen Horizont haben, passiert das noch nicht.“
Doch wer ist eigentlich verantwortlich, dass Entscheidungen anders getroffen werden? Das sei die Gretchenfrage, und auch nur mit einem etwas unklaren „alle“zu beantworten: „Wir sind alle Konsumenten, Wähler oder Angestellte eines Unternehmens.“