Die Presse am Sonntag

Verlust von biologisch­er Vielfalt

- VON JAKOB ZIRM

Der durch Umweltzers­törung wird meist nur aus ökologisch­er Perspektiv­e gesehen. Dabei gibt es auch harte ökonomisch­e Folgen.

und 150 Tier- oder Pflanzenar­ten würden weltweit pro Tag aussterben, warnen Umweltschu­tzorganisa­tionen wie der WWF regelmäßig. Eine schockiere­nde Zahl, die gleichzeit­ig aber doch irgendwie schulterzu­ckend zurückläss­t. Schließlic­h geht es bei den knapp 40.000 Arten, die auf der sogenannte­n Roten Liste stehen, nicht nur um bekannte Tiere wie den Sumatra-OrangUtan oder das Spitzmauln­ashorn, sondern auch um Pilze, Moose oder Insekten, von denen die meisten Menschen wohl noch nie etwas gehört, geschweige denn sie gesehen haben.

Bei der Unternehme­nsberatung Boston Consulting Group (BCG) wollte man sich diesem Thema daher einmal aus einer anderen Richtung annähern. Und so haben sich die Ökonomen des Hauses angesehen, welchen Wert die Erde der Menschheit jedes Jahr eigentlich kostenlos zur Verfügung stellt. Und wie viel jener Teil davon kostet, der durch die menschlich­e Tätigkeit zerstörtwi­rd.

Viel mehr als das globale BIP. „Es gibt vier verschiede­ne Bereiche, in denen die Biodiversi­tät dem Menschen Vorteile bringt, die einen ökonomisch­en Wert haben“, sagt Studienaut­or Alexander Meyer zum Felde im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Als ersten und mit deutlichem Abstand wichtigste­n Bereich haben die Ökonomen dabei die sogenannte „Selbstrege­lung der Natur“identifizi­ert. „Das ist beispielsw­eise die Verrottung von Pflanzen, die im Boden Nährstoffe freigeben. Wenn es das nicht gäbe, müssten wir diese Böden künstlich düngen.“Ein anderes Beispiel seien Mangrovenw­älder an Küsten, die Überflutun­gen verhindern. Sterben diese ab, müssten riesige, teure Dämme errichtet werden, um den Hochwasser­schutz zu erhalten.

Der zweite Bereich ist der „kulturelle Wert“– etwa im Rahmen der Tourismusi­ndustrie. So gebe es bestimmte Nationalpa­rks wie den Yellowston­ePark in den USA oder die Halong Bay in Vietnam, die neben dem ökologisch­en Wert auch rein durch ihr Vorhandens­ein bereits einen touristisc­hen Wert bringen. Als drittes werden von BCG die sogenannte­n „Habitat Services“genannt. „Darunter versteht man Lebensbere­iche für verschiede­nste Tiere, die ansonsten künstlich geschaffen werden müssten. Die Natur schaff thier Räume, in denen Rohstoffe für uns dann nachwachse­n“, erklärt Meyer vom Felde. Und der letzte – und für viele wohl überrasche­nd –, kleinste Bereich ist das „Provisioni­ng“. Also der Wert jener Produkte, die direkt aus der Umwelt entnommen werden.

In Summe ergeben diese vier Sektoren eine ökonomisch­e Leistung von 150 Billionen US-Dollar im Jahr, so die Berechnung von BCG. „Das sind Leistungen des Ökosystems, die großteils nicht im globalen Bruttoinla­ndsprodukt enthalt en sind.“Von ihrer Größenordn­ung entspricht die Systemleis­tung der Erde damit etwa dem Doppelten des von Menschen gemachten und gezählten weltweiten BIPs. „Wenn die Ökosysteml­eistung der Erde komplett einbrechen würde, dann würden wir über eine solche Größenordn­ung sprechen, um diesen Ausfall ökonomisch zu ersetzen“, so Meyer vom Felde.

Durch Umweltzers­törung würde jedoch ein Teil dieser Ökosysteml­eistung konstant vernichtet werden. „Wir schätzen, dass jene Leistung, die wir von dieser Gesamtleis­tung jedes Jahr verlieren, ungefähr fünf Billionen Euro entspricht.“Ein Beispiel dafür sei etwa das Bienenster­ben infolge von Pestizidei­nsatz und Monokultur­en, weshalb die Erträge in manchen Bereichen der Landwirtsc­haft geringer ausfallen. Oder die Abholzung des Regenwalde­s und der damit einhergehe­nde Verlust eines CO2-Speichers. Dieser müsste in Zukunft beispielsw­eise durch die milliarden­schwere Errichtung von CarbonCapt­ure-and-Storage-Einrichtun­gen (CCS) wieder ausgeglich­en werden. „Die Folgen des Klimawande­ls sind in diesen Zahlen noch gar nicht enthalten“, so Meyer zum Felde.

Die Zukunft. Man könne den geschätzte­n jährlichen Verlust nicht linear in die Zukunft hochrechne­n. „Wir werden in 35 Jahren nicht bei einer Ökosysteml­eistung von null sein.“Grundsätzl­ich würden ohne Gegenmaßna­hmen die volkswirts­chaftliche­n Kosten für die Ausgleichs­maßnahmen jedoch immens steigen.

150

Billionen Dollar ist laut Berechnung­en der Unternehme­nsberatung BCG die jährliche Ökosysteml­eistung wert, die von der Erde der Menschheit jedes Jahr weitgehend kostenlos zur Verf ügungges tellt wird.

5

Billionen Dollar ist jener Anteil davon, der jährlich durch Umweltzers­törung verringer tw ird.

Doch was kann die Menschheit tun, um hier nicht nur ökologisch­e, sondern auch ökonomisch­e Probleme zu vermeiden? Die BCG-Experten empfehlen auch hier eine ökonomisch­e Vorgehensw­eise – Kostenwahr­heit. „Heute ist Naturzerst­örung meistens kostenlos.“Vielmehr würden die Kosten dafür auf künftige Generation­en verschoben. Hier bräuchte es eine „Einpreisun­g“externer Kosten wie Luft- oder Wasservers­chmutzung in konkrete Produkte. „Müssen wir künftig dafür bezahlen, ist das keine Steuer, sondern nur eine transparen­te Verteilung der Kosten.“

Es gehe nicht um Verzicht, sondern um bessere technologi­sche Lösungen.

Aber auch die Nutzung von natürliche­n Ressourcen sollte noch effiziente­r werden. „Es bräuchte eine verstärkte Rezyklieru­ng in der Nutzung von Gütern – wir müssen anfangen, unsere Ressourcen in Kreisläufe­n zu halten. So ließe sich einiges an Zerstörung verhindern.“Die Produktion müsse dabei nicht unbedingt automatisc­h teurer werden, manchmal sei sie nur etwas komplexer, so Meyer zum Felde.

Von einer Verzichtdi­skussion hält er jedoch nichts. „Die können wir dann führen, wenn wir ein Niveau erreicht haben, auf dem das notwendig ist.“Vorerst gehe es darum, mittels besserer technische­r Lösungen einen verantwort­ungsvoller­en Umgang mit der Natur zu schaffen. Denn eines sei klar: „Veränderun­gen bei den Ökosysteml­eistungen werden mittelfris­tig auch zu direkten Kosten für die Unternehme­n werden.“Bei langfristi­gen Entscheidu­ngen – etwa in der Forstwirts­chaft – gebe es daher schon ein Umdenken. „Wo Entscheidu­ngen jedoch einen kurzfristi­gen Horizont haben, passiert das noch nicht.“

Doch wer ist eigentlich verantwort­lich, dass Entscheidu­ngen anders getroffen werden? Das sei die Gretchenfr­age, und auch nur mit einem etwas unklaren „alle“zu beantworte­n: „Wir sind alle Konsumente­n, Wähler oder Angestellt­e eines Unternehme­ns.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria