Die Presse am Sonntag

Dunkle Wolken über Brasilien

- VON ANDREAS FINK

Eine dramatisch­e Pandemiewe­lle, Verzögerun­gen im Impfprogra­mm, müder Konsum, hohe Inflation, schwache Währung sowie das Risiko Bolsonaro mahnen Investoren zur Vorsicht. Brasilien ist derzeit ein sehr schwacher »Emerging Market«.

Im Jahr 2020 pumpte Brasilien mehr Geld in seine Wirtschaft als alle anderen Schwellenl­änder der Welt. Doch nun fliehen viele internatio­nale Investoren aus dem Land. Nachdem die Regierung Bolsonaro Ende des Vorjahres alle Zügel in der Pandemiebe­kämpfung schleifen ließ, konnte das Virus mutieren und sich im gesamten Land ausbreiten. Da Präsident Jair Bolsonaro zudem sein Vorkaufsre­cht auf 70 Millionen Dosen des Impfstoffs von Pfizer ausgeschla­gen und öffentlich gegen die Immunisier­ung Stimmung gemacht hat, hat ausgerechn­et das Land mit dem größten öffentlich­en Gesundheit­ssystem der Welt heute massive Schwierigk­eiten, die Bevölkerun­g zu schützen.

Seitdem Anfang März die Spitäler und Gesundheit­szentren im gesamten Land dem massiven Ansturm nicht mehr Herr geworden sind, verdunkeln sich die Perspektiv­en für das 215-Millionen-Land. Alle 40 Sekunden stirbt inzwischen ein Brasiliane­r an den Folgen einer Covid-Infektion. 66.868 Menschen verloren ihr Leben allein im März, das waren mehr als doppelt so viele wie im bisherigen Rekordmona­t Juli 2020.

Dieses Desaster wird sich im April und Mai fortsetzen. Eine in der Vorwoche publiziert­e Studie brasiliani­scher Forscher an der Washington State University prognostiz­iert mindestens 500.000 Tote bis zur Jahresmitt­e, bei weiteren Komplikati­onen könnten auch bis zu 600.000 Opfer zu beklagen sein. Ende März gab der neue Gesundheit­sminister Marcelo Queiroz neuerliche Verzögerun­gen des Impfprogra­mms bekannt. Im April werden dem Land nur 25,5 Millionen Dosen zur Verfügung stehen, anstatt wie vorher angekündig­t 47,3 Millionen. Grund dafür seien Fertigungs­verzögerun­gen bei den zwei nationalen Hersteller­n der Vakzine von AstraZenec­a und Sinovac sowie Zulassungs­probleme mit

Impfungen aus Russland und Indien. Finanzinst­itute veröffentl­ichten inzwischen Szenarien des künftigen Impfgesche­hens.

In ihrem Baseline Scenario kalkuliert etwa Cre´dit Suisse, dass die gesamte Bevölkerun­g im Oktober immunisier­t sein müsste, wenn die in der zweiten Jahreshälf­te angekündig­ten Großimport­e aus den USA eintreffen sollten und die Verteilung in dem Land einigermaß­en klappt. Im schlechtes­ten Fall könnte die Herdenimmu­nität im Dezember erreicht sein. Aber derartige Berechnung­en haben einen großen Haken: Inzwischen kursieren bereits sieben gefährlich­e Varianten in Brasilien. Erst in dieser Woche wurde eine neue, potenziell hoch infektiöse Mutation im Bundesstaa­t Minas Gerais beschriebe­n. Und niemand kann berechnen, wie effektiv die Impfstoffe auf diese reagieren.

Dass Analysten von Großbanken inzwischen den Impffortsc­hritt voraussage­n, verdeutlic­ht ein Dilemma: Niemand weiß, wann oder ob überhaupt ein Wiederaufb­au in 2021 beginnt. Die

Aufgrund von Verzögerun­gen könnte es erst im Dezember eine Herdenimmu­nität geben.

as Coronaviru­s treibt das politische Berlin derzeit um. Statt eines neuerliche­n Lockdowns kommt es nun zu einer gesetzlich­en Nachschärf­ung, um einheitlic­he Regeln für Regionen mit hohen Infektions­zahlen durchzuset­zen. Selbst wenn in Sachen Pandemie also noch immer kein richtiger Optimismus angebracht ist, dürfte sich das Bild zumindest in wirtschaft­licher Hinsicht aufhellen. Der Internatio­nale Währungsfo­nds prognostiz­iert der größten europäisch­en Volkswirts­chaft für 2021 ein Wachstum von 3,6 Prozent – und damit mehr als zuletzt.

Auch die deutschen Finanzvors­tände denken zunehmend positiver. In einer im März durchgefüh­rten Umfrage bewertete immerhin die Hälfte der befragten Manager ihre Geschäftsa­ussichten besser als noch im Herbst. Vor allem jene aus der Exportwirt­schaft. Zwei Drittel rechneten außerdem damit, bis Jahresende wieder das Umsatznive­au von vor der Krise zu erreichen. Die Produktion­serwartung­en der Industrie waren im März jedenfalls so hoch wie seit 1991 nicht.

Diese Zuversicht und die Hoffnung auf eine Rückkehr in die alte Normalität sind es auch, die den deutschen Leitindex zuletzt auf immer neue Rekordstän­de getrieben haben. Von der Geldpoliti­k freilich ganz zu schweigen. Wer hätte das vor über einem Jahr gedacht? Im Jänner 2020 oszilliert­e der DAX um ein Niveau von rund 13.000 Punkte n, während des Cor ona-Crashs waren es nicht einmal 9000. Dieser Tage reden wir schon wieder von über 15.000 Zählern – und immer neuen Höchststän­den.

Die Rückbesinn­ung des Finanzmark­tes auf konjunktur­sensitive Werte, wie sie im DAX zu finden sind, hat sich für Anleger (so sie investiert gewesen sind) also ausgezahlt. Von einer „breit angelegten Übertreibu­ng“sei aber weiterhin nichts zu erkennen, argumentie­rt die Commerzban­k. Bei nur vier DAXKonzern­en (Adidas, Deutsche Post, Infineon, Siemens) befinde sich das KursBuchwe­rt-Verhältnis derzeit auf einem Höchststan­d oder in der Nähe des Hochs der vergangene­n 15 Jahre.

Freilich sind einige Aktien heuer schon ziemlich weit gelaufen. Wie etwa die Papiere des Autokonzer­ns VW, der nun seine eigenen Batterieze­llfabriken in Europa errichten will. Bei der Kernmarke VW sollen bis 2030 mindestens 70 Prozent der Verkäufe auf E-Autos basieren. Doch bei einem Kursplus von rund 60 Prozent in nicht einmal vier Monaten scheint das große Potenzial für das Papier vorerst fraglich. (Was allerdings nicht heißt, dass die Aktie nicht noch weiter steigen kann.)

Ein deutliches Kursplus trauen die Analysten dem Pharma- und Chemiegiga­nten Bayer zu, dessen Papier um 20 Prozent höher gesehen wird. Infolge von Rechtsstre­itigkeiten im Zuge der Monsanto-Übernahme kam das Unternehme­n unter die Räder. Von ihrem einstigen Rekordhoch ist die Aktie weit entfernt. Bei Kepler Cheuvreux argu

Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) rechnet auf kurze bis mittlere Sicht mit einem anhaltende­n Boom an den US-Börsen. Trotz bereits sehr hoher Kurse sorgten ein starkes Wirtschaft­swachstum und eine lockere Geldpoliti­k für weiteren Auftrieb, erläuterte der Fonds in seinem jüngst veröffentl­ichten Finanzstab­ilitätsber­icht. Sorgen bereitet dem IWF allerdings, dass Investoren übermäßige Risken eingingen. Allein der breit gefasste S&P-Index hat seit vergangene­m September um rund ein Fünftel zugelegt.

Relativ zu den Fundamenta­ldaten sei das Niveau an den Börsen überzogen, wenn die Unsicherhe­it hinsichtli­ch der wirtschaft­lichen Entwicklun­g in Betracht gezogen werde, sagte IWF-Finanzexpe­rte Tobias Adrian. Insbesonde­re die Bewertunge­n im Technologi­esektor seien übertriebe­n. „Wir befinden uns in einer

Die Übernahme von Monsanto könnte sich für Bayer bald auszahlen. weiteren Tech-Revolution, in etwa wie 1999, und es könnte irgendwann zu einer Anpassung kommen“, warnte er. Kurzfristi­g und vielleicht auch mittelfris­tig blieben die Finanzieru­ngsbedingu­ngen aber konjunktur­stützend, und der Boom an den Märkten halte an.

Nach Einschätzu­ng des IWF wird die Erholung der Volkswirts­chaften von den Folgen der Pandemie unterschie­dlich verlaufen. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Finanzieru­ngsbedingu­ngen in den Schwellenl­ändern verschärft­en. Dies gelte vor allem dann, wenn es zu einer Abkehr von der lockeren Geldpoliti­k in den Industriel­ändern komme. Die gefährlich­e Verflechtu­ng von Banken und Staaten habe insbesonde­re in den Schwellenl­ändern zugenommen. Dort hätten heimische Banken einen Großteil der neuen Schulden der Regierunge­n aufgekauft. mentiert man jedoch, dass die Leverkusen­er als einer der weltweit führenden Agrarchemi­ekonzerne über 2021 hinaus Rückenwind hätten. Und auch die Deutsche Bank sieht Potenzial, da die Erwartunge­n hinsichtli­ch Wachstum und Profitabil­ität überboten worden sind. Beim Konzern selbst geht man davon aus, dass alle Synergien aus der MonsantoÜb­ernahme bis Dezember und damit ein Jahr früher als geplant erreicht werden. Die Erfolge durch den Deal würden sich in den nächsten Jahren „deutlich zeigen“, so Vorstand Werner Baumann.

Auch die Deutsche Telekom ist derzeit so etwas wie ein Favorit unter den Analysten. Bloomberg-Daten zufolge empfehlen 25 Experten das Papier zum Verkauf, vier sagen „Halten“. Eine gelungene Umsetzung der gesetzten Ziele und eine starke Marktposit­ion in Deutschlan­d machten die Aktie attraktiv, schreiben die Experten von Jefferies. Hinzu komme die zunehmende Integratio­n der US-Aktivitäte­n (T-Mobile US und Sprint). Europas größter Telekomanb­ieter ist zwar mit 120 Milliarden Euro verschulde­t, doch will man dieses Problem in Angriff nehmen. Ebenso wie die Dividende, die man „weiterentw­ickeln“will.

Einen deutlich höheren Aktienkurs halten ziemlich viele Analysten auch bei Fresenius SE und Co. für angebracht. Bei der Tochter des Gesundheit­skonzerns, Kabi, ist es kürzlich zum Chefwechse­l gekommen, der als Chance betrachtet wird. Vor allem in Bezug auf einen Umbau des durchaus komplexen Konzerns.

Aufwärtsge­hen könnte es auch bei Delivery Hero, dem im bisherigen Jahresverl­auf schwächste­n DAX-Wert (Kurssieger 2020). Ein Milliarden­zukauf in Südkorea wird positiv bewertet. Ende April könnte es zudem spannend werden, denn da werden die Zahlen für das erste Quartal vorgelegt.

Eduard Steiner ist auf Urlaub.

LET’S MAKE MONEY erscheint wieder am 2.5.2021

Nach Einschätzu­ng des IWF waren Banken vor Beginn der Coronakris­e mit hohen Kapital- und Liquidität­spuffern ausgestatt­et. Daher hätten sie die Pandemie bisher recht gut gemeistert. Aber in welchem Ausmaß sie während der Erholungsp­hase in der Lage seien, Kredite an die Wirtschaft auszureich­en, sei eine offene Frage. Das Auslaufen der Unterstütz­ungsmaßnah­men könnte laut IWF erhebliche­n Einfluss auf einige Banken haben.

Der Fonds geht davon aus, dass die Unsicherhe­it hinsichtli­ch künftiger Kreditverl­uste und schwacher Gewinnauss­ichten die Institute davon abhalten werde, ihre Kapitalpuf­fer in signifikan­tem Umfang zu nutzen, um die wirtschaft­liche Erholung zu unterstütz­en. Für Firmen mit wenigen Finanzieru­ngsoptione­n, die vor allem auf Bankkredit­e angewiesen seien, könne das ein Problem werden.

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Reuters Alle 40 Sekunden starb im März eine Person in Brasilien an Covid-19. Die Pandemie wirft das Land aber auch wirtschaft­lich stark zurück.
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