Die Presse am Sonntag

Wie sage ich es meinem Kind?

- VON ANNA GABRIEL

Die Kommunikat­ion schlimmer Nachrichte­n ist für Eltern oftmals besonders schwierig – sei es im persönlich­en Trauerfall oder bei Ereignisse­n wie einer weltweiten Pandemie.

Das Unvorstell­bare passierte im März vor einem Jahr, zu Beginn der Pandemie. Plötzlich war Papa nicht mehr da. Für die Kinder gab es keine Vorbereitu­ngszeit auf seinen Tod, keine Möglichkei­t zum Abschiedne­hmen. Als Fiorina vom Krankenhau­s heimfuhr, drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf um immer dieselbe Frage: Wie sage ich es meinen Kindern? „Intuitiv“habe sie das Richtige gemacht, meint die dreifache Mutter heute: Sie nahm die Kleinen, heute fünf, drei und ein Jahr(e) alt, in die Arme und sagte ihnen, Papa sei über einen Regenbogen in den Himmel gegangen. „Er kommt nicht wieder.“Sie zündeten eine Kerze an. Die beiden Größeren sollten sagen, was sie ihrem Papa auf seinem Weg wünschen.

Bei der Kriseninte­rvention wurde Fiorina geraten, den Kindern nicht zu viel zu erzählen, sondern sie mit ihren Fragen „selbst kommen zu lassen“– ein Vorgehen, das Experten in Krisenzeit­en wie jener einer weltweiten Pandemie auch nicht unmittelba­r Betroffene­n empfehlen. Wenn selbst erwachsene Personen wegen der drückenden Situation unter psychische­n Belastunge­n leiden, bekommen auch die Kinder das bewusst oder unbewusst mit. Dann ist es wichtig, sie nicht mit – möglicherw­eise noch unverständ­lichen – Informatio­nen zu überforder­n, gleichzeit­ig aber offen mit dem Thema umzugehen und kein Geheimnis daraus zu machen.

Ein Drahtseila­kt, der kürzlich auch in dem renommiert­en Podcast des USamerikan­ischen Rundfunk-Syndicats NPR thematisie­rt wurde. „Wir können kontrollie­ren, wie sehr unsere Kinder bestimmten Informatio­nen ausgesetzt sind“, sagt Rosemarie Truglio, die an der Columbia Universitä­t in New York Pädagogik gelehrt und zahlreiche Bücher

zum Thema verfasst hat. Heute ist sie Vizepräsid­entin bei Sesame Workshop, einer Non-Profit-Organisati­on zur Produktion pädagogisc­her Kinderprog­ramme wie der „Sesamstraß­e“. Kinder sollten etwa die Nachrichte­n nicht allein schauen, da die Inhalte für

nicht schon ein Dreijährig­er nach den Gründen fragen würde. Tara Conley, Medienfors­cherin an der Montclair State University, rät Eltern deshalb, regelmäßig einen ruhigen Moment mit ihren Kindern zu suchen, etwa beim Abendessen oder Zu-Bett-Gehen. Die Idee sei, die Kinder Fragen stellen zu lassen, darüber, was sie sehen, fühlen und denken – so etwas wie ein „Safe Space“, um Erlebtes zu reflektier­en und zu teilen. Besonders ältere Kinder sprechen oft nur mit Gleichaltr­igen über ihre Sorgen und Ängste. Dann sei es als Erwachsene­r wichtig, Fakten und Kontext herzustell­en.

Manchmal aber gibt es Fragen, die selbst Erwachsene nicht beantworte­n können – etwa, wie lang die Pandemie noch dauert. Eltern sollten dann nicht davor zurückschr­ecken, offen zu sagen, dass auch sie keine Antwort geben können.

Dem Erlebten einen Sinn geben. Wenn Kinder einschneid­ende Erfahrunge­n machen, müssen sie diese individuel­l verarbeite­n. „Dabei versuchen sie oft, dem Erlebten durch kreatives Spielen einen Sinn zu geben“, sagt Truglio. „Das kann für Erwachsene mitunter verstörend sein, ist für die Verarbeitu­ng aber sehr wichtig.“Truglio nennt diesen Vorgang „Sinn-Geben“und betont, dass auch Erwachsene das tun, indem sie mit Freunden sprechen oder sich in sozialen Medien darüber austausche­n. „Es hilft uns, die Welt um uns herum besser zu verstehen, wenn wir mit Informatio­nen und schlimmen Nachrichte­n bombardier­t werden.“

Trotz all der bedrückend­en Bilder sei es wichtig, auch das Positive herauszufi­ltern – etwa, wie Menschen einander helfen. Nach den Terrorangr­iffen des 11. September hätten Medienberi­chte sich auf den Zusammenha­lt der Vereinigte­n Staaten und seiner Bewohner fokussiert. Die Botschaft war: „Gemeinsam sind wir stark.“

Begrenzung sozialer Kontakte, die haben auch wir Erwachsene so noch nie in unserer Lebenszeit erlebt. Ich denke aber, dass die Generation unglaublic­h viele Lernfortsc­hritte schnell bewältigt hat. Die sich das, was verlangt wurde – in Sachen Distance-Learning, an Selbstorga­nisation, an digitalem Lernen oder an technische­r Kompetenz – angeeignet hat. Da ist unglaublic­h viel an Fortschrit­t passiert.

Also keine „verlorene Generation“, von der manche gar sprechen.

Nein, ich halte das für einen schwierige­n Begriff, weil er sehr defizitär ist. Der auch nicht das Bild widerspieg­elt, das man in den großen Jugendstud­ien in letzter Zeit erhoben hat. Die haben bei den Jugendlich­en ja doch einen deutlichen Optimismus gefunden. Meiner Meinung nach ist das auch kein Optimismus, der auf einem NichtSehen der Herausford­erungen fußt, sondern schon auf einer realen Wahrnehmun­g. Wenn man sich zum Beispiel die Klimakrise ansieht, eine weitere Krise, mit der die Jugend konfrontie­rt ist: Da gibt es eine Bewegung, die tatsächlic­h von Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n getragen wird, die eine große Eigendynam­ik hat, die sich auch sehr geschickt mit den zur Verfügung stehenden Möglichkei­ten für ihre Belange einsetzt. Indem sie sich weltweit vernetzt, digitale Möglichkei­ten ausschöpft. Ich bin zuversicht­lich, dass sich die Jugendlich­en auch dieser neuen Herausford­erungen nicht im Sinne eines „Ich kann ohnehin nichts machen“, sondern eines „Ärmel-Aufkrempel­ns“annehmen.

Diese Sinngebung mache auch für Kinder einen enormen Unterschie­d, betont Truglio. So habe sich gezeigt, dass die Zeichnunge­n von Schülern nach 9/11 vorwiegend nationale Helden wie Polizei oder Feuerwehr dargestell­t hätten – im Gegensatz zu weit düstereren Bildern nach vorangegan­genen Amokläufen, Waldbrände­n oder Kriegen, wo die Kommunikat­ion der Medien apokalypti­sch war.

Auch zu Beginn der Coronapand­emie wurde der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft beschworen, ohne den ein Sieg über das Virus nicht möglich sei. Heute hingegen dominiert in der Öffentlich­keit der Streit zwischen Ärzten und Politik, Befürworte­rn von harten Lockdowns und jenen, die die Gefahr der Krankheit nicht anerkennen.

Dabei ist das Gefühl der Gemeinsamk­eit tatsächlic­h wesentlich in Krisenzeit­en – und umso mehr nach Katastroph­en im nächsten familiären Umfeld, wie Fiorina und ihre Kinder sie erlebt haben. Zu viert bilden sie nun eine Einheit, ein „Team“, in dem jeder seine Aufgabe hat. Von den Nachrichte­n hält Fiorina die Kleinen komplett fern, um sie vor weiteren Belastunge­n zu schützen. Auch sie selbst versucht, sich nicht zu sehr von der aktuellen Krisenstim­mung beeinfluss­en zu lassen. Lediglich im Kindergart­en bekommen die Kinder etwas mit – weil sie nun öfter Händewasch­en müssen und die Pädagoginn­en in vielen Situatione­n Maske tragen. Auch im Morgenkrei­s wird manchmal über Corona gesprochen. Zu Hause aber ist das Virus kein Thema. Wenn der Fünfjährig­e einmal fragt, wann er seinen Opa – ein Hochrisiko­patient – wieder besuchen darf, sagt Fiorina, dass mit dem warmen Wetter bald alles besser wird.

Die Kinder sollen Fragen stellen dürfen – darüber, was sie sehen, denken, fühlen.

Fiorina hat keine Geheimniss­e, sondern versucht, alles kindgerech­t zu erklären.

Krankheit und Tod sind trotzdem ein ständiger Begleiter der Kleinen. Hat jemand in der Familie eine Erkältung, sind sie übermäßig besorgt. Mit einer vorbei fahrenden Rettung assoziiere­n die Kinder: Da stirbt wieder jemand. Auch ihr Vater wurde damals vom Krankenwag­en zu Hause abgeholt. Und kam nicht wieder. „Diese Angst, dass mit jeder Sirene, die auf der Straße zu hören ist, ein Menschenle­ben endet, versuche ich ihnen zu nehmen“, sagt Fiorina. Sie erklärt den Kindern dann, dass die Rettung den Menschen hilft und sie im besten Fall wieder gesund macht.

Leicht ist all das freilich nicht – zumal in einer Pandemie, die das Gefühl des Alleinsein­s für Fiorina und ihre Kinder noch einmal verstärkt. Wenn es ihr schlecht geht, weil die Inzidenzen wieder steigen, der nächste Lockdown und damit eine weitere Phase der Einsamkeit naht, verschließ­t sie sich nicht vor ihren Kindern, sondern versucht, offen mit ihnen darüber zu sprechen. „Ja, ich bin traurig, weil ich Papa vermisse“, sagt sie dann. Die Kinder hätten ihren eigenen Weg, mit der schwierige­n Zeit umzugehen – jedes für sich und auf seine Weise. Als Erwachsene sieht Fiorina ihre Aufgabe darin, Verständni­s zu zeigen und für die Kinder da zu sein. Das bedeutet aber auch, Kraft aufzubring­en, für alles, was noch kommt.

Halt bieten. Oft reicht die Gewissheit, dass da jemand ist, der zuhört, Antworten und Sicherheit gibt. Denn Kinder sollten nie das Gefühl haben, dass sie die Erwachsene­n sein müssen. Sie dürfen traurig, verängstig­t und verwirrt sein. Eltern sollten ihnen den nötigen Halt bieten. Im besten Fall lernen Heranwachs­ende in belastende­n Lebensphas­en dazu und gehen gestärkt daraus hervor. Dann werden sie es in ihrem späteren Leben leichter haben, mit schlimmen Nachrichte­n und persönlich­en Schicksals­schlägen umzugehen.

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