Wie sage ich es meinem Kind?
Die Kommunikation schlimmer Nachrichten ist für Eltern oftmals besonders schwierig – sei es im persönlichen Trauerfall oder bei Ereignissen wie einer weltweiten Pandemie.
Das Unvorstellbare passierte im März vor einem Jahr, zu Beginn der Pandemie. Plötzlich war Papa nicht mehr da. Für die Kinder gab es keine Vorbereitungszeit auf seinen Tod, keine Möglichkeit zum Abschiednehmen. Als Fiorina vom Krankenhaus heimfuhr, drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf um immer dieselbe Frage: Wie sage ich es meinen Kindern? „Intuitiv“habe sie das Richtige gemacht, meint die dreifache Mutter heute: Sie nahm die Kleinen, heute fünf, drei und ein Jahr(e) alt, in die Arme und sagte ihnen, Papa sei über einen Regenbogen in den Himmel gegangen. „Er kommt nicht wieder.“Sie zündeten eine Kerze an. Die beiden Größeren sollten sagen, was sie ihrem Papa auf seinem Weg wünschen.
Bei der Krisenintervention wurde Fiorina geraten, den Kindern nicht zu viel zu erzählen, sondern sie mit ihren Fragen „selbst kommen zu lassen“– ein Vorgehen, das Experten in Krisenzeiten wie jener einer weltweiten Pandemie auch nicht unmittelbar Betroffenen empfehlen. Wenn selbst erwachsene Personen wegen der drückenden Situation unter psychischen Belastungen leiden, bekommen auch die Kinder das bewusst oder unbewusst mit. Dann ist es wichtig, sie nicht mit – möglicherweise noch unverständlichen – Informationen zu überfordern, gleichzeitig aber offen mit dem Thema umzugehen und kein Geheimnis daraus zu machen.
Ein Drahtseilakt, der kürzlich auch in dem renommierten Podcast des USamerikanischen Rundfunk-Syndicats NPR thematisiert wurde. „Wir können kontrollieren, wie sehr unsere Kinder bestimmten Informationen ausgesetzt sind“, sagt Rosemarie Truglio, die an der Columbia Universität in New York Pädagogik gelehrt und zahlreiche Bücher
zum Thema verfasst hat. Heute ist sie Vizepräsidentin bei Sesame Workshop, einer Non-Profit-Organisation zur Produktion pädagogischer Kinderprogramme wie der „Sesamstraße“. Kinder sollten etwa die Nachrichten nicht allein schauen, da die Inhalte für
nicht schon ein Dreijähriger nach den Gründen fragen würde. Tara Conley, Medienforscherin an der Montclair State University, rät Eltern deshalb, regelmäßig einen ruhigen Moment mit ihren Kindern zu suchen, etwa beim Abendessen oder Zu-Bett-Gehen. Die Idee sei, die Kinder Fragen stellen zu lassen, darüber, was sie sehen, fühlen und denken – so etwas wie ein „Safe Space“, um Erlebtes zu reflektieren und zu teilen. Besonders ältere Kinder sprechen oft nur mit Gleichaltrigen über ihre Sorgen und Ängste. Dann sei es als Erwachsener wichtig, Fakten und Kontext herzustellen.
Manchmal aber gibt es Fragen, die selbst Erwachsene nicht beantworten können – etwa, wie lang die Pandemie noch dauert. Eltern sollten dann nicht davor zurückschrecken, offen zu sagen, dass auch sie keine Antwort geben können.
Dem Erlebten einen Sinn geben. Wenn Kinder einschneidende Erfahrungen machen, müssen sie diese individuell verarbeiten. „Dabei versuchen sie oft, dem Erlebten durch kreatives Spielen einen Sinn zu geben“, sagt Truglio. „Das kann für Erwachsene mitunter verstörend sein, ist für die Verarbeitung aber sehr wichtig.“Truglio nennt diesen Vorgang „Sinn-Geben“und betont, dass auch Erwachsene das tun, indem sie mit Freunden sprechen oder sich in sozialen Medien darüber austauschen. „Es hilft uns, die Welt um uns herum besser zu verstehen, wenn wir mit Informationen und schlimmen Nachrichten bombardiert werden.“
Trotz all der bedrückenden Bilder sei es wichtig, auch das Positive herauszufiltern – etwa, wie Menschen einander helfen. Nach den Terrorangriffen des 11. September hätten Medienberichte sich auf den Zusammenhalt der Vereinigten Staaten und seiner Bewohner fokussiert. Die Botschaft war: „Gemeinsam sind wir stark.“
Begrenzung sozialer Kontakte, die haben auch wir Erwachsene so noch nie in unserer Lebenszeit erlebt. Ich denke aber, dass die Generation unglaublich viele Lernfortschritte schnell bewältigt hat. Die sich das, was verlangt wurde – in Sachen Distance-Learning, an Selbstorganisation, an digitalem Lernen oder an technischer Kompetenz – angeeignet hat. Da ist unglaublich viel an Fortschritt passiert.
Also keine „verlorene Generation“, von der manche gar sprechen.
Nein, ich halte das für einen schwierigen Begriff, weil er sehr defizitär ist. Der auch nicht das Bild widerspiegelt, das man in den großen Jugendstudien in letzter Zeit erhoben hat. Die haben bei den Jugendlichen ja doch einen deutlichen Optimismus gefunden. Meiner Meinung nach ist das auch kein Optimismus, der auf einem NichtSehen der Herausforderungen fußt, sondern schon auf einer realen Wahrnehmung. Wenn man sich zum Beispiel die Klimakrise ansieht, eine weitere Krise, mit der die Jugend konfrontiert ist: Da gibt es eine Bewegung, die tatsächlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen wird, die eine große Eigendynamik hat, die sich auch sehr geschickt mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für ihre Belange einsetzt. Indem sie sich weltweit vernetzt, digitale Möglichkeiten ausschöpft. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Jugendlichen auch dieser neuen Herausforderungen nicht im Sinne eines „Ich kann ohnehin nichts machen“, sondern eines „Ärmel-Aufkrempelns“annehmen.
Diese Sinngebung mache auch für Kinder einen enormen Unterschied, betont Truglio. So habe sich gezeigt, dass die Zeichnungen von Schülern nach 9/11 vorwiegend nationale Helden wie Polizei oder Feuerwehr dargestellt hätten – im Gegensatz zu weit düstereren Bildern nach vorangegangenen Amokläufen, Waldbränden oder Kriegen, wo die Kommunikation der Medien apokalyptisch war.
Auch zu Beginn der Coronapandemie wurde der Zusammenhalt der Gesellschaft beschworen, ohne den ein Sieg über das Virus nicht möglich sei. Heute hingegen dominiert in der Öffentlichkeit der Streit zwischen Ärzten und Politik, Befürwortern von harten Lockdowns und jenen, die die Gefahr der Krankheit nicht anerkennen.
Dabei ist das Gefühl der Gemeinsamkeit tatsächlich wesentlich in Krisenzeiten – und umso mehr nach Katastrophen im nächsten familiären Umfeld, wie Fiorina und ihre Kinder sie erlebt haben. Zu viert bilden sie nun eine Einheit, ein „Team“, in dem jeder seine Aufgabe hat. Von den Nachrichten hält Fiorina die Kleinen komplett fern, um sie vor weiteren Belastungen zu schützen. Auch sie selbst versucht, sich nicht zu sehr von der aktuellen Krisenstimmung beeinflussen zu lassen. Lediglich im Kindergarten bekommen die Kinder etwas mit – weil sie nun öfter Händewaschen müssen und die Pädagoginnen in vielen Situationen Maske tragen. Auch im Morgenkreis wird manchmal über Corona gesprochen. Zu Hause aber ist das Virus kein Thema. Wenn der Fünfjährige einmal fragt, wann er seinen Opa – ein Hochrisikopatient – wieder besuchen darf, sagt Fiorina, dass mit dem warmen Wetter bald alles besser wird.
Die Kinder sollen Fragen stellen dürfen – darüber, was sie sehen, denken, fühlen.
Fiorina hat keine Geheimnisse, sondern versucht, alles kindgerecht zu erklären.
Krankheit und Tod sind trotzdem ein ständiger Begleiter der Kleinen. Hat jemand in der Familie eine Erkältung, sind sie übermäßig besorgt. Mit einer vorbei fahrenden Rettung assoziieren die Kinder: Da stirbt wieder jemand. Auch ihr Vater wurde damals vom Krankenwagen zu Hause abgeholt. Und kam nicht wieder. „Diese Angst, dass mit jeder Sirene, die auf der Straße zu hören ist, ein Menschenleben endet, versuche ich ihnen zu nehmen“, sagt Fiorina. Sie erklärt den Kindern dann, dass die Rettung den Menschen hilft und sie im besten Fall wieder gesund macht.
Leicht ist all das freilich nicht – zumal in einer Pandemie, die das Gefühl des Alleinseins für Fiorina und ihre Kinder noch einmal verstärkt. Wenn es ihr schlecht geht, weil die Inzidenzen wieder steigen, der nächste Lockdown und damit eine weitere Phase der Einsamkeit naht, verschließt sie sich nicht vor ihren Kindern, sondern versucht, offen mit ihnen darüber zu sprechen. „Ja, ich bin traurig, weil ich Papa vermisse“, sagt sie dann. Die Kinder hätten ihren eigenen Weg, mit der schwierigen Zeit umzugehen – jedes für sich und auf seine Weise. Als Erwachsene sieht Fiorina ihre Aufgabe darin, Verständnis zu zeigen und für die Kinder da zu sein. Das bedeutet aber auch, Kraft aufzubringen, für alles, was noch kommt.
Halt bieten. Oft reicht die Gewissheit, dass da jemand ist, der zuhört, Antworten und Sicherheit gibt. Denn Kinder sollten nie das Gefühl haben, dass sie die Erwachsenen sein müssen. Sie dürfen traurig, verängstigt und verwirrt sein. Eltern sollten ihnen den nötigen Halt bieten. Im besten Fall lernen Heranwachsende in belastenden Lebensphasen dazu und gehen gestärkt daraus hervor. Dann werden sie es in ihrem späteren Leben leichter haben, mit schlimmen Nachrichten und persönlichen Schicksalsschlägen umzugehen.