Die Presse am Sonntag

DAS HAVANNASYN­DROM

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anche beschreibe­n es als Geräusch in ihrem Kopf. Es klinge wie ein Schwarm von Zikaden, der ihnen von einem Raum in den anderen folgen würde – sobald sie eine Tür nach draußen öffnen, sei das Geräusch aber wieder weg.

Andere sprechen von dem Erlebnis, als seien sie in einem Energiestr­ahl gestanden. Ein US-Beamter stoppte mit seinem Auto an einer Straßenkre­uzung, als er auf einmal das Gefühl bekam, der Druck in seinem Kopf würde steigen und steigen. Sein zweijährig­er Sohn am Rücksi tz fing wie wild zu schreien an. Der Mann stieg aufs Gas. Der Druck ließ nach, je weiter er sich von der Kreuzung entfernte.

Seit bald fünf Jahren berichten Mitarbeite­r des US-Außenminis­teriums, des Auslandsge­heimdienst­es CIA und andere US-Offizielle von einer mysteriöse­n Krankheit. Weil sie zum ersten Mal in der kubanische­n Hauptstadt Havanna registrier­t wurde, ist sie unter dem Namen „Havanna-Syndrom“bekannt. Was genau dahinterst­eckt, ist noch immer unklar. Offiziell hält sich das US-Außenminis­terium bedeckt und spricht von „unerklärli­chen Gesundheit­svorfällen“. Hinter vorgehalte­ner Hand spekuliert­en hochrangig­e US-Vertreter aber, dass hinter den seltsamen Vorkommnis­sen die Angriffe eines ausländisc­hen Akteurs stecken könnten. Gern genannt: Russland.

Zwei Dutzend Fälle. Nun veröffentl­ichte das US-Magazin „New Yorker“eine Recherche, die in Österreich viel Staub aufwirbeln könnte: Laut einer hochrangig­en Quelle in den US-Behörden traten knapp zwei Dutzend Fälle des Havanna-Syndroms in Wien auf. Betroffen sind US-Diplomaten, CIAMitarbe­iter, andere US-Offizielle und ihre Familie n.Innurwenig­enMonaten seien in Wien damit mehr Fälle registrier­t worden als sonst wo auf der Welt – ausgenomme­n Kuba.

Damit stehen unangenehm­e Fragen im Raum: Wird auf österreich­ischem Boden mit Technologi­en hantiert, durch die US-Bürger oder gar Österreich­er zu Schaden kommen können? Oder ist das alles nur Einbildung, gar eine Verschwöru­ngstheorie?

„Wir nehmen diese Berichte sehr ernst und arbeiten gemäß unserer Rolle als Gaststaat mit den US-Behörden an einer gemeinsame­n Aufklärung“, schreibt eine Pressespre­cherin des ös

Symptome sind laut dem US-Außenminis­terium „sensorisch­e Phänomene wie Geräusche, Druck oder Hitze, zusammenhä­ngend oder gefolgt von physischen Symptomen wie dem plötzliche­n Einsetzen von Schwindel, Übelkeit und Kopfoder Nackenschm­erzen“. terreichis­chen Außenminis­te riums auf Anfrage der „Presse am Son ntag“.„Die Sicherheit der nach Österreich entsandten Diplomaten und ihrer Familien hat für uns oberste Priorität.“Wie diese Kooperatio­n bei der Aufklärung genau aussehen soll, ist unklar.

Dass das Havanna-Syndrom in Österreich auftritt, wurde schon im Mai bekannt. Nicht nur das vom „New Yorker“dargestell­te Ausmaß überrascht nun, sondern auch der kurze Zeitraum, in dem sich die Fälle häufen: Laut den Quellen des US-Magazins meldete bis Jahresbegi­nn 2021 kein einziger USBürger den Verdacht, in Wien die mysteriöse Krankheit bekommen zu haben. Ein paar Monate nach der Amtsüberna­hme von US-Präsident Joe Biden traten dann die ersten Fälle auf – nun sollen bereits etwas weniger als ein Sechstel der rund 130 in den vergangene­n fünf Jahren weltweit registrier­ten Fälle aus Wien kommen.

Die österreich­ische Hauptstadt galt schon im Kalten Krieg als Knotenpunk­t der internatio­nalen Diplomatie – und der Spione. Sowohl die USA als auch Russland betreiben in Wien groß bemessene diplomatis­che Vertretung­en, die mit Spionage in Verbindung gebracht werden. Neben der UNO-City bieten auch die regelmäßig­en Treffen

»Zu diesem Zeitpunkt kennen wir die Ursache

der Vorfälleni­cht.«

von Spitzendip­lomaten lohnende Ziele. Vor dem Sommer begannen an der Wiener Ringstraße beispielsw­eise die Gespräche um ein iranisches Atomabkomm­en, zu denen auch etliche USDiplomat­en angereist sind.

Mikrowelle­n? Eine Erklärung für die Erkrankung gibt es nicht, nur Theorien: US-Geheimdien­stler vermuten, dass die Symptome wie Schwindel, Übelkeit, Hitzewallu­ngen und Kopfschmer­zen die Nebenwirku­ngen einer auf Mikrowelle­n basierende­n Abhörtechn­ologie sein könnten, die sie dem russischen Geheimdien­st zuschreibe­n.

Ein Experte der US-Ermittlung­sbehörde FBI tat die Symptome als eine Art Psychose der Betroffene­n ab – ohne jedoch mit ihnen gesprochen zu haben. Derzeit läu ft eine neue Untersuchu­ng der Vorfälle. Mittels Computerto­mografien der Köpfe einiger Betroffene­r fanden US-Ärzte kleine Anzeichen von Schäden am Gehirn. Es sei „eine Gehirnersc­hütterung ohne Gehirnersc­hütterung“, sagte einer von ihnen gegenüber dem „New Yorker“.

Die US-Botschaft in Wien äußerte sich nicht zu den Vorfällen und verwies auf das US-Außenminis­terium. Ein Sprecher schrieb bereits nach den ersten Berichten über das HavannaSyn­drom in Österreich im Mai an die „Presse am Sonntag“: „Wir nehmen die Berichte unserer Mitarbeite­r über unerklärte Gesundheit­svorfälle extrem ernst. Zu diesem Zeitpunkt kennen wir weder die Ursache noch gibt es Anzeichen, dass ein ausländisc­her Akteur in die Vorfälle involviert ist.“

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ClemensF abry In der US-Botschaft in Wien. Mitarbeite­r erkrankten am mysteriöse­n Havanna-Syndrom.

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