Der Wahlkampf in Gummistiefeln an der Hochwasserfront
Die Flutkatastrophe lenkt den Wahlkampf in Deutschland in eine neue Richtung. Der Klimawandel wird Thema Nummer eins neben der Pandemie – eine Chance für ein Comeback der Grünen. Am schnellsten reagierte Armin Laschet – anders als einst Edmund Stoiber. Der Ministerpräsident spielt seinen Vorteil aus.
Zehn Wochen sind es noch hin bis zur Bundestagswahl, und viele der Kandidaten schlüpfen angesichts des sogenannten „Jahrhunderthochwassers“und der Flut im Westen Deutschlands in Regenjacke und Gummistiefel. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist Armin Laschet gewissermaßen dazu verpflichtet, sich ein Bild von der Katastrophe zu machen. Am Donnerstag sagte der CDU-Chef und Kanzlerkandidat einen Wahlkampfauftritt in Stuttgart und die Teilnahme an der CSUKlausur im Kloster Seeon am Chiemsee mit Markus Söder ab, um in sein Bundesland zu eilen – nach Hagen und Altena im westfälischen Sauerland.
„Alle parteipolitischen Fragen müssen zurückstehen, wenn eine solche Krisensituation eintritt. Das ist keine Frage, mit der man Bilder erzeugen will. Das ist eine zu ernste Frage.“Dass die Macht der Bilder wirkt, weiß Armin Laschet natürlich. Der 60-Jährige hat nicht gezaudert wie 19 Jahre zuvor Edmund Stoiber. Seinen alljährlichen Urlaub am Bodensee hat er auch bereits hinter sich. Seit Tagen ist er im Dauereinsatz, samt medialer Omnipräsenz – mit allen Chancen und Risken, wie zuvor beim Corona-Krisenmanagement.
Schröders Coup. Stoiber, der bayerische Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Union, hatte im August 2002, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, auf der ostfriesischen Nordseeinsel Juist geurlaubt, um Kraft zu tanken für das Wahlkampf-Finale. Der Bayer lag gut im Rennen gegen SPD-Kanzler Gerhard Schröder: Die Umfragen wiesen einen Vorsprung von fünf Prozentpunkten gegenüber dem Sozialdemokraten aus. Doch dann brach die Flut über die Elbe und Ostdeutschland herein, und der Instinktpolitiker Gerhard Schröder reiste umgehend ins Katastrophengebiet nach Grimma in Sachsen, um in grüner Regenjacke durchs Wasser zu stiefeln, den zupackenden Krisenmanager zu markieren und einen Gipfel in Berlin einzuberufen.
»Ich wollte mit dieser Naturkatastrophe keinen Wahlkampf machen.«
Stoiber dagegen wartete zu. Er wollte nicht als „Hochwassertourist“an die Elbe reisen. Als er es schließlich im Polohemd doch tat, war es zu spät und viele höhnten erst recht über den bayerischen Regierungschef. Am Ende kostete es den CSU-Chef den Sieg bei der Bundestagswahl: Die Union lag 6000 Stimmen hinter der SPD, der Kanzler ging als erster über die Ziellinie und rettete die rot-grüne Koalition. Im Nachhinein gestand Stoiber den Fehler ein: „Vielleicht war ich zu zurückhaltend. Ich wollte mit dieser Naturkatastrophe keinen Wahlkampf machen.“
Schröder stand das Beispiel seines Vorgängers Helmut Schmidt vor Augen, der als SPD-Innensenator im Februar 1962 in Hamburg Schlimmeres verhütet hatte. Eine Sturmflut, die Deiche und Dämme brechen ließ, forderte 340 Menschenleben. Durch rasches Handeln und die Anforderung der Bundeswehr und der Nato-Truppen wurde Schmidt zum Helden – und später zum Finanzminister und Kanzler in Bonn.
Allerdings hat auch ein außenpolitische Motiv in den Wahlkampf 2002 hineingespielt: In der Debatte um einen Irak-Feldzug George W. Bushs lehnte Schröder eine Beteiligung Deutschlands ab. Der Populist im Kanzleramt traf den pazifistischen Nerv der Deutschen. Joschka Fischer, der grüne Außenminister, hatte kurz nach der Präsentation seines US-Kollegen Colin Powell
im UNO-Sicherheitsrat zur Gefahr durch das angebliche irakische Atomwaffenarsenal bei der Münchner Sicherheitskonferenz den USA Paroli geboten. „Sir, ich bin nicht überzeugt“, sagte er an die Adresse des kürzlich verstorbenen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, der den Kontinent in ein „altes“und „neues“Europa teilte.
Der Hochwassereinsatz von Politikern ist immer eine Gratwanderung zwischen zu viel und zu wenig. Unmittelbare Präsenz zeigen, Solidarität demonstrieren, Finanzhilfe zusagen, mit den freiwilligen Helfern der Feu
Ahmed Nasir scheint das egal zu sein. Er ist zurückgekommen, um noch etwas aus seinem Haus zu retten. Auch Uwe Schnitzler ist zurückgekehrt. „Das Wasser kam um Mitternacht. Dann bin ich schnell raus und ins Nachbardorf zu meinen Schwiegereltern“, sagt er. Heute sei er dann nach Blessem zurückgekommen. Vorgefunden hat er einen völlig verwüsteten Garten, sein Keller ist vollgelaufen, allerhand angespülter Unrat liegt auf seinem Grundstück.
„Aber ich lebe“, sagt er. „Das
die Zeit des Helfens – die Stunde der Retter und nicht der Politiker, die herumstehen.“In den kommenden Wochen werden die Grünen indessen den Klimawandel thematisieren und so ihr Leib- und Magenthema ausspielen. Die Deutschen attestieren der Öko-Partei darin die größte Glaubwürdigkeit.
In Mainz plante Baerbock einen Auftritt mit Anne Spiegel, der grünen Umweltministerin von RheinlandPfalz. Via Twitter drückte Baerbock zunächst einmal ihre Anteilnahme aus.
Angela Merkel will Laschet in Nordrhein-Westfalen nicht die Show stehlen.
Auch die Kanzlerin hielt sich betont zurück. Angela Merkel war am Freitag von ihrer Washington-Visite zurückgekehrt und in Berlin gelandet statt direttissima im Krisengebiet. Noch abends hielt sie im Kanzleramt eine Krisensitzung ab. Für Sonntag hat sie sich zum Lokalaugenschein an der Seite Malu Dreyers in Rheinland-Pfalz angesagt – und nicht in Nordrhein-Westfalen, wo sie Laschet die Show stehlen würde.
Wien. In Österreich sind innerhalb von 24 Stunden bis Samstag 411 Coronaneuinfektionen gemeldet worden. Das liegt über dem Schnitt der vergangenen sieben Tage und ist der höchste Wert seit 29. Mai. Zudem gab es damit in Österreich 3262 aktive Fälle, so viele wie seit einem Monat nicht mehr. Im Krankenhaus lagen am Samstag 114 Personen. 36 Menschen wurden auf Intensivstationen betreut. Diese Zahl ist innerhalb einer Woche um sieben Betroffene zurückgegangen.
Insgesamt haben laut den Daten des E-Impfpasses 5.118.286 Menschen in Österreich zumindest eine Teilimpfung erhalten, das sind 57,3 Prozent der Bevölkerung. 3.992.593 und somit 44,7 Prozent der Einwohner sind voll immunisiert. In der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen haben 41,2 Prozent den vollen Schutz erhalten, bei den 25bis 34-Jährigen sind es 33,6 Prozent und bei den Zwölf- bis 24-Jährigen noch weniger als ein Fünftel.
Das Gesundheitsministerium hat am Freitag eine Verordnung zu den neuen Restriktionen erlassen, mit denen man dem Anstieg der Corona-Infektionen begegnen will. Demnach ist ab 22. Juli der Zugang zur Nachtgastronomie nur mehr für geimpfte Personen sowie mit negativem PCR-Testergebnis möglich. Ab 15. August gibt es das Zertifikat für den Grünen Pass außerdem erst bei vollständiger Immunisierung, also mit der zweiten Impfung.
Der von der Steiermark am Samstag angebotene Impftag ohne Anmeldung wurde gut angenommen: Kurz vor der Öffnung der Grazer Messehalle hatte sich eine lange Schlange gebildet. Rund 160 Menschen warteten trotz Regens. Die Steiermark hält rund 5000 Dosen Impfstoff in Graz, Bruck/Mur, Premstätten und Gleisdorf bereit.
Indes wurden bei Kläranlagenabwasseranalysen in der Kläranlage WörtherseeWestinKärntenSpurender kolumbianischen Coronavirusvariante B.1.621 nachgewiesen. Dies teilte das Institut für Lebensmittelsicherhei t, Veterinärmedizin und Umwelt am Samstag mit. Diese gilt als „Variant of Interest“und wird weltweit beobachtet, da bei ihr der Verdacht auf eine erhöhte Übertragbarkeit besteht. Sie wurde zuerst in Kolumbien nachgewiesen.