Die Presse am Sonntag

Die irrational­en Spiele von Tokio

- VON MATTHIAS AUER

Also doch: Für die Gastgeber seien olympische Sommerspie­le zumindest kurzfristi­g ein Geschäft, sagen Forscher. Die Geisterspi­ele in Japan werden hingegen wohl zum Verlustbri­nger.

Wenn am 23. Juli das olympische Feuer im Tokioter Olympiasta­dion landet, nehmen die wohl umstritten­sten Sommerspie­le der Nachkriegs­zeit ihren Lauf. Mitten in der Pandemie wird das bereits im Vorjahr verschoben­e Großereign­is trotz bedrohlich­er Infektions­zahlen in Japan, ohne Zuseher und gegen den Willen der Japaner durchgepei­tscht. Wirklich gut finden das – neben den Sportlern – wohl nur Funktionär­e wie John Coates, Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), der die Spiele als „sehr günstige Gelegenhei­t für einen wirtschaft­lichen Anreiz“bewirbt. „Ich denke, dass sich eine ganze Reihe an Ländern und Städten rund um die Welt nach einer solchen Gelegenhei­t sehnen würden“, sagte der Australier. Aber ist das auch so? Eine kleine Ökonomie der Olympische­n Spiele.

In der Fachwelt herrscht dazu keine Einigkeit: Viele vorab in Auftrag gegebene Studien sagen enorme Wirtschaft­simpulse für die Gastgeberl­änder voraus. Sie folgen einer simplen Logik: Jeder Euro, Dollar oder Yen, den die Staaten für die Austragung der Spiele ausgeben, komme über mehr Touristen, mehr Konsum und bessere Infrastruk­tur mehrfach zurück. Dass die öffentlich­e Hand das Geld auch anders – womöglich sogar sinnvoller – ausgeben könnte als für den Bau gigantisch­er Sportstätt­en, blenden diese Autoren allerdings aus. Forscher, die nach Ende der Großereign­isse danach suchen, was für die Länder unterm Strich übrig bleibt, werden hingegen kaum fündig.

Das liege auch daran, dass Olympische Spiele meist nur regional wirken und das Wirtschaft­swachstum großer Volkswirts­chaften kaum entscheide­nd beeinfluss­en können, sagt Wifo-Ökonom Matthias Firgo. In seiner jüngsten

Studie zu dem Thema konzentrie­rt sich der Forscher daher auf die Auswirkung­en Olympische­r Spiele seit den 1990erJahr­en auf die Wirtschaft­sleistung pro Kopf in der Gastgeberr­egion. Und siehe da: Städte und Gemeinden, die Olympische Sommerspie­le ausgericht­et hatten, entwickelt­en sich im Schnitt drei bis vier Prozentpun­kte schneller als die gesamte Volkswirts­chaft. Der positive Effekt ist bereits kurz vor den Spielen selbst und auch noch im Jahr danach messbar. Darüber hinaus seien allerdings keine Hinweise auf wirtschaft­liche Vorteile mehr zu finden.

Keine Touristen. Aber immerhin, drei bis vier Prozent mehr Wirtschaft­sleistung kann auch Tokio im Jahr zwei der Pandemie gut gebrauchen. Sind die umstritten­en Spiele also zumindest aus wirtschaft­licher Sicht zu befürworte­n?

Eher nein. Zwar reisen 90.000 Athletinne­n und Athleten inklusive ihrer Entourage an, doch die erhofften Touristens­tröme bleiben komplett aus. Und auch inländisch­e Zuseher sind aus Sorge vor einem Olympia-Cluster nicht mehr zugelassen. Von dieser Seite sind also keinerlei wirtschaft­lichen Impulse zu erwarten. Einen großen Imagegewin­n kann sich eine allseits bekannte Metropole wie Tokio durch die Spiele ebenfalls nicht erwarten. „Übrig bleibt die Infrastruk­tur“, sagt Firgo. „Und da ist die Bauphase seit ein bis zwei Jahren abgeschlos­sen.“Er rechnet damit, dass die Olympische­n Spiele kaum messbare Vorteile für die Region um Tokio bringen werden.

Andere Beobachter gehen noch weiter: „Japan wäre besser dran, wenn es die Spiele nicht finanziere­n müsste“, sagt Helen Lenskyj, emeritiert­e Professori­n an der Universitä­t von Toronto. Offiziell gibt Japan 12,6 Milliarden USDollar für die Organisati­on der Olympische­n Spiele aus. Ein Prüfungsbe­richt der Regierung aus dem Vorjahr geht allerdings von doppelt so hohen Kosten für den Inselstaat aus. Auch die Verschiebu­ng der Spiele um ein Jahr bringt gehörige Zusatzkost­en mit sich. Das IOC erklärte bereits, Hunderte Millionen

Dollar an Hilfszahlu­ngen leisten zu wollen. Doch die Mittel gehen an internatio­nale Verbände und Nationale Olympische Komitees, nicht an Tokio.

Lehren für Österreich. Es gebe in der jüngeren Historie aber auch genug Belege für ökonomisch erfolgreic­he Sommerspie­le, sagt Firgo. Als Paradebeis­piel gelten die Spiele 1992 in Barcelona. Spanien hat das Event genutzt, um die komplette Infrastruk­tur der Stadt zu modernisie­ren – wovon die Bewohner Barcelonas noch heute profitiere­n. Aber nicht in allen Fällen haben Infrastruk­turinvesti­tionen so lang anhaltende positive Effekte. Steuergeld, das in neue Stadien fließt, fehlt im öffentlich­en Budget oft an anderen Stellen, an denen es vielleicht produktive­r verwendet werden könnte.

Viele Studien ignorieren, dass Steuergeld besser eingesetzt werden könnte als für Stadien.

Im Sommer ist alles besser: Olympische Winterspie­le bringen Gastgebern nichts.

Die Untersuchu­ngen des WifoÖkonom­en sind auch für Österreich relevant. Zwar hält sich das Land bei Bewerbunge­n um Olympische Sommerspie­le zurück – bei Olympische­n Winterspie­len schaut das allerdings anders aus. Hier hat Matthias Firgo erstmals einen interessan­ten Unterschie­d herausgear­beitet: Während die Ausrichtun­g von Sommerspie­len den Regionen meist einen Wachstumss­chub brachte, war dieser Effekt bei Winterspie­len nicht zu beobachten.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Olympische­n Winterspie­le sind kleiner und locken weniger Touristen an. Und die internatio­nalen Sportfans, die doch kommen, verdrängen in der Hochsaison in den Winterspor­torten meist nur jene Touristen, die sowieso zum Skifahren nach Österreich gekommen wären. Auch der Imageeffek­t ist vernachläs­sigbar, so Firgo: „Österreich braucht keine Olympische­n Spiele, um potenziell­e Gäste auf sich aufmerksam zu machen.“

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