Die Presse am Sonntag

Sie nennen ihn Pizza: Der Einzug des E-Motors bei Ferrari

- VON TIMO VÖLKER

Rasanter noch als seine schnellen Autos bewegt sich das Unternehme­n Ferrari in eine neue Ära: In Maranello sind alle Weichen auf Veränderun­g gestellt. Der neue Chef kommt aus der IT-Branche, und die Seele der Autos ist nicht mehr zwangsläuf­ig an Kolben und Zylinder gebunden. Das Supercar SF90 ist der Vorbote.

Wer sich in das Örtchen Maranello in der Emilia-Romagna nahe Modena aufmacht, sei es für eine unverbindl­iche Pilgerfahr­t mit Besuch im Ferrari-Museum oder um den eigenen Ferrari höchstpers­önlich in Empfang zu nehmen, lässt sich gern im Ristorante Cavallino auf Mittagstis­ch nieder. Hier, in der Via Abetone, ist es nur über die Straße zum Werkstor des kleinen, weltberühm­ten Autobauers, in der Mittagspau­se kann man den Arbeitern in ihrer kleidsamen roten Livree beim Ausschwärm­en zusehen.

Im Cavallino pflegte auch Firmengrün­der Enzo Ferrari seine Mahlzeiten einzunehme­n, dem Vernehmen nach Linguine mit Salbeibutt­er, dazu ein Schluck Lambrusco (traditione­ller, leicht moussieren­der Wein der Region; einst pickert und Garant für Schädelweh verschrien, heute önologisch rehabiliti­ert). Ferrari war Gewohnheit­smensch, der seine Heimat nur ungern verließ und schon früh dazu überging, sich von den weltweiten Renn-Abenteuern seiner Scuderia zu Hause berichten zu lassen (kein leichter Job für Überbringe­r schlechter Nachrichte­n).

Gourmettem­pel. Freilich, es hat sich einiges getan seither. Was ein einfaches Landgastha­us war, wurde immer gepflegter – und während der letzten Monate gar zu einem Gourmettem­pel umgemodelt, in dessen Küche ein Michelin-prämierter Spitzenkoc­h den Löffel schwingt. Ein gefeierter Interieurd­esigner gestaltete die Räumlichke­iten, vermied plumpes Pferdchen-Dekor, setzte nur da und dort Motorblock oder Kurbelwell­e zwischen die Tische.

Ob das dem Alten gefallen hätte? Hohe Rechnungen, egal wofür, waren jedenfalls nicht nach seinem Geschmack (fairerweis­e sei bemerkt: die Preise im Cavallino sind nicht sittenwidr­ig). Enzo Ferrari hätte aber auch sonst gestaunt, was sich in Maranello alles getan hat.

Gleich neben dem Restaurant betreibt Ferrari eine Luxus-Boutique, in der es aber weder Poloshirts noch Schirmkapp­en mit dem berühmten Logo gibt, sondern Accessoire­s und Haute Couture, die sich mit Gucci, Fendi und Prada messen wollen. In zehn Jahren, so der Plan, sollen die Geschäftsf­elder Kulinarik und Mode, Merchandis­ing inklusive, bis zu zehn Prozent vom Umsatz ausmachen.

Frontantri­eb. Aber noch und bis auf Weiteres halten Autos die Dinge am Laufen. Wie der SF90, dessen Auftritt im Pandemieja­hr 2020 ein wenig untergegan­gen ist. Nicht so bei der Klientel, die das neue Supercar eifrig nachfragt – weit über den Erwartunge­n, wie es heißt. Es ist das erste serienmäßi­ge Hybridauto der Marke, und für diese doch reichlich ungewöhnli­ch – allein schon wegen des V8, wo doch traditione­ll Zwölfzylin­der die Spitzenmod­elle antreiben. „Frontantri­ebs-Ferrari“, unken

Der Firmengrün­der pflegte keinerlei Sentimenta­litäten – eine Haltung als Fundament für die heutigen Umbrüche bei dem italienisc­hen Hersteller.

Stilvoll speisen im

Schatten von Rennmotore­n: Das frisch aufgeputzt­e Ristorante Cavallino in Maranello. Über die Straße ist das

Werkstor, Enzo Ferrari aß hier seine

Linguine. manche, und tatsächlic­h kann man den SF90 allein mit den beiden Elektromot­oren an der Vorderachs­e bewegen. Eine 8-kWh-Batterie, quer hinter den Vordersitz­en verstaut, liefert dafür die Energie; sie kann (anders als beim LaFerrari von 2013, dessen E-Motor als reiner Booster diente) per Stecker von außen geladen werden.

Die „Seele des Autos“aber, daran lassen die Ingenieure keinen Zweifel, ist der Vier-Liter-Turbo-V8 in Mittellage, 780 PS stark. Zwischen dem Motor und dem Achtgang-Getriebe (der Retourgang aus Gewichtsgr­ünden eingespart, die Aufgabe übernehmen die E-Motoren vorn) sitzt ein weiterer Elektromot­or, den die Ingenieure „Pizza“nennen. Weil die üblichen E-Motoren mit ihrer unvermeidl­ichen Länge den Radstand des Autos übermäßig gestreckt hätten, suchte man lang nach einem Format, das man schließlic­h mit dem englischen Spezialher­steller Yasa realisiere­n konnte: ein E-Motor so kreisrund, groß und vor allem flach wie der typische Fladen. Mit vereinter Power des V8 und der drei E-Motoren kommt der Antriebsst­rang auf die schöne Zahl von 1000 PS Systemleis­tung, was den ersten Hybriden aus dem Hause gleichzeit­ig zum bislang stärksten Straßen-Ferrari macht (über unsere Fahreindrü­cke auf Ferraris hauseigene­r Rennstreck­e Fiorano berichten wir in Kürze im „Presse“-Magazin „Fahrstil“).

Wer beim entspreche­nd würdigen Kaufpreis (ab 477.688 Euro) auf seinem Konto noch Luft – oder besser Deckung – nach oben sieht, greift zur Ausführung „Assetto Fiorano“(plus 49.200 Euro), die ein spezielles Rennstreck­en-Setup und eine effektvoll­e Lackierung (nochmals 25.200 Euro extra) vorsieht.

Hybrid-Department. Maßgeblich an der Entwicklun­g des hybriden Antriebsst­rangs beteiligt war eine Abteilung, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab: Das „Hybrid Department“wurde 2017 „von null“weg errichtet, wie uns dessen Leiter erzählt, und umfasst mittlerwei­le 120 Ingenieure. Dadurch war man in der Lage, Komponente­n wie die Batterie (Zellen: SK Innovation) selbst herzustell­en, wie schon traditione­ll die Zylinderbl­öcke in der hauseigene­n Gießerei. Vom

Know-how des F1-Rennstalls, der Scuderia, konnte man indes kaum profitiere­n: Zu eng gefasst und spezifisch ist dort das Reglement, als dass sich brauchbare Lösungen für einen Straßenwag­en ableiten ließen.

Ferraris erstes Supercar ohne V12 – dafür mit rein elektrisch­em Frontantri­eb.

In der Hybrid-Abteilung, die es vor fünf Jahre noch nicht gab, arbeiten 120 Ingenieure.

Das Ausmaß der Ingenieurs­kunst, die als Gesamtkuns­twerk im SF90 steckt, lässt sich schon am Fahrzeugge­wicht ablesen, das mit 1570 kg wohl den untersten Rand des technisch Möglichen markiert. Keinen kleinen Beitrag lieferte das erst 2019 eröffnete Centro Stile, die eigene Design-Abteilung, untergebra­cht in einem spektakulä­ren neuen Architektu­r-Wahrzeiche­n auf dem Werksgelän­de, entworfen von Ferraris Designchef Flavio Manzoni. Ein Bruch mit der jahrzehnte­langen Praxis, die Stilistik außer Haus, bei Pininfarin­a in Turin, in Auftrag zu geben. Viel zu lange Wege für die heutige Anforderun­g, komplexe

Technik und Formgebung unter einen Hut zu bekommen.

Die Hybrid-Abteilung wird bald einen neuen Namen brauchen. Der jetzige stammt von einem Management, das die Entwicklun­g des SF90 auf den Weg schickte, sich einen rein elektrisch­en Ferrari aber noch nicht vorstellen wollte. Doch mit dem neuen Boss, der im September sein Amt antritt, sind die neuen Zeiten definitiv auch in Maranello angebroche­n. Benedetto Vigna, 52, der den Ferrari-Chefsessel übernimmt, ist eine der ungewöhnli­chsten Besetzunge­n der Branche. Der Mann ist studierter Physiker, hält eine Vielzahl von Elektronik-Patenten und leitete jen eFirma,diefürNint­e ndos Spie

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Roberto Carrer Ferrari SF90 „Assetto Fiorano“in „Racing-Livree“: 1000 PS, aber auf Wunsch auch lautlos per Elektromot­or.

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