Sie nennen ihn Pizza: Der Einzug des E-Motors bei Ferrari
Rasanter noch als seine schnellen Autos bewegt sich das Unternehmen Ferrari in eine neue Ära: In Maranello sind alle Weichen auf Veränderung gestellt. Der neue Chef kommt aus der IT-Branche, und die Seele der Autos ist nicht mehr zwangsläufig an Kolben und Zylinder gebunden. Das Supercar SF90 ist der Vorbote.
Wer sich in das Örtchen Maranello in der Emilia-Romagna nahe Modena aufmacht, sei es für eine unverbindliche Pilgerfahrt mit Besuch im Ferrari-Museum oder um den eigenen Ferrari höchstpersönlich in Empfang zu nehmen, lässt sich gern im Ristorante Cavallino auf Mittagstisch nieder. Hier, in der Via Abetone, ist es nur über die Straße zum Werkstor des kleinen, weltberühmten Autobauers, in der Mittagspause kann man den Arbeitern in ihrer kleidsamen roten Livree beim Ausschwärmen zusehen.
Im Cavallino pflegte auch Firmengründer Enzo Ferrari seine Mahlzeiten einzunehmen, dem Vernehmen nach Linguine mit Salbeibutter, dazu ein Schluck Lambrusco (traditioneller, leicht moussierender Wein der Region; einst pickert und Garant für Schädelweh verschrien, heute önologisch rehabilitiert). Ferrari war Gewohnheitsmensch, der seine Heimat nur ungern verließ und schon früh dazu überging, sich von den weltweiten Renn-Abenteuern seiner Scuderia zu Hause berichten zu lassen (kein leichter Job für Überbringer schlechter Nachrichten).
Gourmettempel. Freilich, es hat sich einiges getan seither. Was ein einfaches Landgasthaus war, wurde immer gepflegter – und während der letzten Monate gar zu einem Gourmettempel umgemodelt, in dessen Küche ein Michelin-prämierter Spitzenkoch den Löffel schwingt. Ein gefeierter Interieurdesigner gestaltete die Räumlichkeiten, vermied plumpes Pferdchen-Dekor, setzte nur da und dort Motorblock oder Kurbelwelle zwischen die Tische.
Ob das dem Alten gefallen hätte? Hohe Rechnungen, egal wofür, waren jedenfalls nicht nach seinem Geschmack (fairerweise sei bemerkt: die Preise im Cavallino sind nicht sittenwidrig). Enzo Ferrari hätte aber auch sonst gestaunt, was sich in Maranello alles getan hat.
Gleich neben dem Restaurant betreibt Ferrari eine Luxus-Boutique, in der es aber weder Poloshirts noch Schirmkappen mit dem berühmten Logo gibt, sondern Accessoires und Haute Couture, die sich mit Gucci, Fendi und Prada messen wollen. In zehn Jahren, so der Plan, sollen die Geschäftsfelder Kulinarik und Mode, Merchandising inklusive, bis zu zehn Prozent vom Umsatz ausmachen.
Frontantrieb. Aber noch und bis auf Weiteres halten Autos die Dinge am Laufen. Wie der SF90, dessen Auftritt im Pandemiejahr 2020 ein wenig untergegangen ist. Nicht so bei der Klientel, die das neue Supercar eifrig nachfragt – weit über den Erwartungen, wie es heißt. Es ist das erste serienmäßige Hybridauto der Marke, und für diese doch reichlich ungewöhnlich – allein schon wegen des V8, wo doch traditionell Zwölfzylinder die Spitzenmodelle antreiben. „Frontantriebs-Ferrari“, unken
Der Firmengründer pflegte keinerlei Sentimentalitäten – eine Haltung als Fundament für die heutigen Umbrüche bei dem italienischen Hersteller.
Stilvoll speisen im
Schatten von Rennmotoren: Das frisch aufgeputzte Ristorante Cavallino in Maranello. Über die Straße ist das
Werkstor, Enzo Ferrari aß hier seine
Linguine. manche, und tatsächlich kann man den SF90 allein mit den beiden Elektromotoren an der Vorderachse bewegen. Eine 8-kWh-Batterie, quer hinter den Vordersitzen verstaut, liefert dafür die Energie; sie kann (anders als beim LaFerrari von 2013, dessen E-Motor als reiner Booster diente) per Stecker von außen geladen werden.
Die „Seele des Autos“aber, daran lassen die Ingenieure keinen Zweifel, ist der Vier-Liter-Turbo-V8 in Mittellage, 780 PS stark. Zwischen dem Motor und dem Achtgang-Getriebe (der Retourgang aus Gewichtsgründen eingespart, die Aufgabe übernehmen die E-Motoren vorn) sitzt ein weiterer Elektromotor, den die Ingenieure „Pizza“nennen. Weil die üblichen E-Motoren mit ihrer unvermeidlichen Länge den Radstand des Autos übermäßig gestreckt hätten, suchte man lang nach einem Format, das man schließlich mit dem englischen Spezialhersteller Yasa realisieren konnte: ein E-Motor so kreisrund, groß und vor allem flach wie der typische Fladen. Mit vereinter Power des V8 und der drei E-Motoren kommt der Antriebsstrang auf die schöne Zahl von 1000 PS Systemleistung, was den ersten Hybriden aus dem Hause gleichzeitig zum bislang stärksten Straßen-Ferrari macht (über unsere Fahreindrücke auf Ferraris hauseigener Rennstrecke Fiorano berichten wir in Kürze im „Presse“-Magazin „Fahrstil“).
Wer beim entsprechend würdigen Kaufpreis (ab 477.688 Euro) auf seinem Konto noch Luft – oder besser Deckung – nach oben sieht, greift zur Ausführung „Assetto Fiorano“(plus 49.200 Euro), die ein spezielles Rennstrecken-Setup und eine effektvolle Lackierung (nochmals 25.200 Euro extra) vorsieht.
Hybrid-Department. Maßgeblich an der Entwicklung des hybriden Antriebsstrangs beteiligt war eine Abteilung, die es vor fünf Jahren noch gar nicht gab: Das „Hybrid Department“wurde 2017 „von null“weg errichtet, wie uns dessen Leiter erzählt, und umfasst mittlerweile 120 Ingenieure. Dadurch war man in der Lage, Komponenten wie die Batterie (Zellen: SK Innovation) selbst herzustellen, wie schon traditionell die Zylinderblöcke in der hauseigenen Gießerei. Vom
Know-how des F1-Rennstalls, der Scuderia, konnte man indes kaum profitieren: Zu eng gefasst und spezifisch ist dort das Reglement, als dass sich brauchbare Lösungen für einen Straßenwagen ableiten ließen.
Ferraris erstes Supercar ohne V12 – dafür mit rein elektrischem Frontantrieb.
In der Hybrid-Abteilung, die es vor fünf Jahre noch nicht gab, arbeiten 120 Ingenieure.
Das Ausmaß der Ingenieurskunst, die als Gesamtkunstwerk im SF90 steckt, lässt sich schon am Fahrzeuggewicht ablesen, das mit 1570 kg wohl den untersten Rand des technisch Möglichen markiert. Keinen kleinen Beitrag lieferte das erst 2019 eröffnete Centro Stile, die eigene Design-Abteilung, untergebracht in einem spektakulären neuen Architektur-Wahrzeichen auf dem Werksgelände, entworfen von Ferraris Designchef Flavio Manzoni. Ein Bruch mit der jahrzehntelangen Praxis, die Stilistik außer Haus, bei Pininfarina in Turin, in Auftrag zu geben. Viel zu lange Wege für die heutige Anforderung, komplexe
Technik und Formgebung unter einen Hut zu bekommen.
Die Hybrid-Abteilung wird bald einen neuen Namen brauchen. Der jetzige stammt von einem Management, das die Entwicklung des SF90 auf den Weg schickte, sich einen rein elektrischen Ferrari aber noch nicht vorstellen wollte. Doch mit dem neuen Boss, der im September sein Amt antritt, sind die neuen Zeiten definitiv auch in Maranello angebrochen. Benedetto Vigna, 52, der den Ferrari-Chefsessel übernimmt, ist eine der ungewöhnlichsten Besetzungen der Branche. Der Mann ist studierter Physiker, hält eine Vielzahl von Elektronik-Patenten und leitete jen eFirma,diefürNinte ndos Spie