»Man sollte nie auf das Glück vertrauen«
2016 gewann Bronze, mit Tokio aber lässt sich das nicht vergleichen. Statt Ritualen bemüht der Wiener ohnehin lieber die eigene Vorstellungskraft.
Thomas Zajac genießt ein Privileg. Er weiß, wie es sich anfühlt, eine Olympiamedaille um den Hals hängen, also sich den größten Traum einer Sportkarriere erfüllt zu haben. Vor fünf Jahren segelte der Wiener gemeinsam mit Tanja Frank im Nacra17-Katamaran zu Bronze, es war zugleich die einzige ÖOC-Medaille, die es 2016 in Rio de Janeiro zu feiern gab. Dass er heuer ab 28. Juli im Hafen vor Tokio noch einmal nach Edelmetall jagen würde, war damals keineswegs abzusehen. „Vor Rio war mein Zugang immer der: Wenn ich die Medaille habe, habe ich alles erreicht“, erinnert sich der 35-Jährige zurück. Der Rücktritt wäre also die logische Folge gewesen und stand auch im Raum, die Trennung von Frank war bereits vollzogen. Doch etwas Abstand zum Wasser schärfte die eigene Perspektive. „Mein Antrieb ist die Sache selbst, nicht eine Vision zu erreichen. Ich segle, weil ich es liebe: die Arbeit am Boot, das Kribbeln in den Wettkampfsituationen.“
Der inneren Leidenschaft folgt Zajac mit nüchternem, rationalen Blick, wie er sagt. Von Glücksbringern oder Ritualen hält er nichts, er trachtet sogar bewusst danach, sich davon zu befreien. Denn gefeit vor abergläubischen Gewohnheiten ist auch er nicht. Als einmal bei einer EM in Barcelona Kakerlaken die zum Trocknen ausgestellten Schuhe eroberten, lernte er nach einigen ungustiösen Erlebnissen sie vor dem Anziehen auszuschütteln. Die Regatta lief so gut, dass er auch beim nächsten Mal ganz automatisch die Schuhe ausklopfte. „Jeder Mensch baut so etwas auf, um sich festzuhalten“, sagt der Heeressportler. „Aber ich habe immer Angst gehabt, das Ritual dann einmal nicht durchziehen zu können. Deshalb stelle ich das lieber gleich ab und konzentriere mich auf die Basics.“
Das Knöpfchen im Kopf. Nach all den Jahren im internationalen Segelsport weiß Zajac genau, was er braucht, um seine beste Leistung erbringen zu können. „Man muss wissen, wo das Knöpfchen sitzt, um sich zu aktivieren oder runterzuholen. Ich mache das nicht über Rituale, sondern über das Vorstellungsvermögen“, erklärt er. Ertappt er sich zu gechillt beim Wolkenstudium, stellt er sich kritische Situationen bei der Boje vor, wird umgekehrt die Anspannung zu groß, konzentriert er sich auf das Geräusch des Wassers, das auf den Rumpf trifft. „Ich steuere mich über diese Sachen und nicht dadurch, ob ich zuerst den linken oder rechten Schuh anziehe.“
Ursprünglich war der Plan, gemeinsam mit Vorschoterin Barbara Matz, 23, die Lehren des erfolgreichen Rio-Abenteuers für Tokio zu perfektionieren. Doch dann kam Corona. Flexibilität, Improvisation und gute Nerven waren gefragt, denn Sponsorenverträge liefen 2020 aus, das gekaufte Material verschliss sich auch ohne Einsatz über das Jahr. Statt sich wie üblich vor Ort im Hafen von Enoshima auf Strömungen, Wind, Land und Leute einzustimmen, saß das Duo zunächst im Binnenland Österreich fest. Dann galt es möglichst japanische Bedingungen in Europa zu finden. Seit Winter trainierte das Duo deshalb in Sardinien und Sizilien, jedoch ohne echten Wettkampfvergleich. Das Sparring mit den Trainingspartnern aus Italien, Großbritannien und Argentinien wurde auch zum Kraftakt für die eigene Motivationsfähigkeit.
Doch Zajac ist keiner, der mit Gegebenheiten hadert, sondern seine Möglichkeiten auslotet. In Kategorien wie Glück, Pech oder Schicksal denkt er nicht. Natürlich, gerade beim Segeln würden meteorologische Gegebenheiten über Sieg oder Niederlage mitentscheiden, „aber man sollte nie auf das Glück vertrauen. Ich beschäftige mich damit, warum Dinge passieren“, erklärt er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“seinen Zugang. „Ich akzeptiere auch Pech nicht einfach. Man findet immer Sachen, die man besser machen kann.“
Neue Energiequellen. Als wäre der Aufwand durch die ungewöhnliche Olympiavorbereitung nicht groß genug, sind für Zajac in den vergangenen Monaten neue Prioritäten hinzugekommen. Im Mai erblickte Tochter Liora das Licht der Welt, Partnerin Anna, selbst Seglerin, bringt Verständnis für das Leben im Leistungssport mit. „Wenn etwas Schönes dazu kommt, ist das energiespendend. Ich segle jetzt nicht nur für mich und die Nation, sondern auch für meine Tochter“, sagt der 35-Jährige. Zudem baut er für das Leben an Land vor und hat im vergangenen Herbst mit Freunden ein Lokal in Wien eröffnet. Im ersten Lockdown malte Zajac mit aus und baute auf, für den Endspurt nach Tokio hat er sich aber vorerst einmal zurückgenommen.
Die Entscheidung darüber, ob und wie es weitergeht, wird der Routinier nach den Sommerspielen entscheiden. Vom Ergebnis macht er sie nicht abhängig. „Eine Medaille kann man nicht planen“, sagt Zajac. Das Potenzial dafür sei auf jeden Fall vorhanden. „Es hängt aber nicht nur von einem selbst ab. Wenn die anderen eine Spur besser segeln, kann man sich wenig vorwerfen.“Die Erinnerung an das bronzene Highlight von Rio, sie wird jedenfalls noch einmal aufleben, wenn Zajac und Frank gemeinsam Österreichs Delegation bei der Eröffnungsfeier am Freitag als Fahnenträger anführen.