»Ich neige nicht zu Trübsal«
Thomas Vinterberg gehört zu den Haupt-Proponenten der Dogma-95-Bewegung und hat sich mit Werken wie „Das Fest“als zentrale Kinostimme Dänemarks nach Lars von Trier etabliert. Mit seinem neuen Film „Der Rausch“(seit 16. Juli im Kino) ist ihm ein sensibles, humorvolles Porträt einer Freundesgruppe in der Midlife-Crisis gelungen. Hauptdarsteller Mads Mikkelsen im Interview.
Was war Ihre erste Reaktion, als Thomas Vinterberg Ihnen erzählte, dass er mit Ihnen einen Film über Alkohol drehen will?
Mads Mikkelsen: Es ist schon ziemlich lang her, dass er mir seine ersten Ideen präsentierte. Das muss ein gutes Jahr nach unserem ersten gemeinsamen Film, „Die Jagd“, gewesen sein. Was ihm damals vorschwebte, war tatsächlich viel mehr ein Film über Alkohol, als es „Der Rausch“jetzt geworden ist. Und eine vollkommen andere Geschichte: Da sollte ich einen Fluglotsen spielen, und alles war eher auf Slapstick ausgerichtet. Daraus geworden ist ja jetzt ein Film, der weniger von Hochprozentigem erzählt als davon, dass man das Leben nicht an sich vorbeiziehen lassen, im Moment leben und alle seine Chancen nutzen sollte. Was mir gut gefällt.
Haben Sie durch die Rolle Ihren eigenen Alkoholkonsum oder Ihre Lebenseinstellung hinterfragt?
Nicht wirklich. Die Parallelen zwischen meinem Leben und dem der Männer im Film halten sich sehr in Grenzen. Bei denen ist der Zug abgefahren, und sie sind nicht rechtzeitig eingestiegen. Deswegen sind sie frustriert. Davon kann bei mir keine Rede sein, zum Glück ist mein Leben erfüllt und glücklich. Deswegen gab es da für mich nichts zu lernen. Auch nicht in Sachen Alkohol. Dass man sich nach ein oder zwei Gläsern mutiger, freier und manchmal sogar klüger fühlt, das wusste ich auch vorher schon. Und dass das nach dem dritten Glas auch nach hinten losgehen kann.
Erinnern Sie sich noch an Ihren besten Rausch?
Man erinnert sich ja meist nicht wirklich daran, oder? Es sind eher die anderen, die einem dann erzählen, wie betrunken man war. Aber eine meiner schönsten mit Alkohol verknüpften Erinnerungen war sicher der Tag meines Schulabschlusses. Wir haben alle gefeiert, 1965 wurde Mads Mikkelsen in Kopenhagen geboren.
2002 erlangte er mit seiner Rolle im Drama „Für immer und ewig“internationale Bekanntheit. Zahlreiche erfolgreiche Filme folgten, darunter auch internationale Produktionen wie „King Arthur“(2004) und „James Bond 007: Casino Royale“(2006).
2020 wurde er für seine Rolle in „Der Rausch“(Oscar als Bester internationaler Film) beim Europäischen Filmpreis als „Bester Darsteller“ausgezeichnet. dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt, fühlten uns frei wie nie und hatten zu viel getrunken. Wunderbar.
Insgesamt sagt man ja Skandinaviern nach, dem Trinken besonders zugeneigt zu sein. Falls es wirklich so ist, dann sicherlich, weil es bei uns im Norden so oft dunkel und deprimierend ist. Da trinkt man sich vielleicht die Abende schön. Aber insgesamt habe ich den Eindruck, dass überall auf der Welt mehr Vorsicht im Umgang mit Alkohol herrscht. In meiner Kindheit war es nicht ungewöhnlich, wenn die Erwachsenen zum Feierabend als Erstes zum Glas griffen oder sogar schon bei der Arbeit angefangen hatten zu trinken. Diese Zeiten sind vorbei.
Waren Sie jemals bei der Arbeit betrunken? Ich erinnere mich an einen Film, bei dem ich mal angetrunken vor der Kamera stand. Das war okay. Es war nicht so, dass ich nicht mehr hätte spielen können. Aber wenn man trinkt, nimmt man ja weniger um sich herum wahr. Ist also nicht ideal, wenn man auf Regieanweisungen reagieren soll.
An Vinterbergs Set floss also kein Alkohol? Nur im Vorfeld der Dreharbeiten. Da haben wir Schauspieler ein bisschen experimentiert und uns in verschiedenen Promille-Stadien gefilmt. Um zu sehen, wie sich unsere Sprache und Bewegungen verändern. Das haben wir dann später im Spiel genutzt.
Ist es schwierig, einen Betrunkenen zu spielen?
Der Trick ist, dass Betrunkene ja meistens versuchen, ihren Zustand zu verbergen. Man strengt sich sehr an, dass das niemand merkt, deswegen ist alles, was man macht oder sagt, ein bisschen zu langsam und präzise. Das kann man ganz gut spielen. Ein Vollrausch ist natürlich etwas anderes.
Sie haben eben schon gesagt, dass Ihnen persönlich der Midlife-Frust der Protagonisten in „Der Rausch“eher fern ist . . .
Ja, ich stehe morgens auf und freue mich, dass die Sonne aufgeht. Ich neige nicht zu Trübsal, sondern bin neugierig aufs Leben. Außerdem habe ich natürlich einen besonderen Job, der vor allzu viel Routine schützt.