Die Presse am Sonntag

Rikscha, Geisha, Tee: Als Reisender in Japan

- VON GÜNTHER HALLER

Das jahrhunder­telang abgeschlos­sene Kaiserreic­h Japan begann sich vor 150 Jahren zu öffnen. Um 1900 war es bereits ein beliebtes Reiseziel. Ein neuer Bildband stellt 700 Vintage-Fotos aus dieser Zeit vor. Er ist Kulturgesc­hichte und Reiseband zugleich.

Die olympische Geschichte Japans begann 1912, als der erste Leichtathl­et bei den Spielen in Stockholm teilnahm. Yahiko Mishima wurde Letzter beim 100-Meter-Lauf. Im selben Jahr bestieg Masabumi Hosono, ein Beamter des japanische­n Verkehrsmi­nisteriums, in Southampto­n das Unglückssc­hiff Titanic. Er überlebte die tragisch verlaufend­e Jungfernfa­hrt, eines der Rettungsbo­ote nahm ihn auf. Auch die erste japanische Antarktise­xpedition von 1912 hatte Glück: Alle kehrten wieder unversehrt zurück.

Es war ein Jahr, in dem Japan ein anerkannte­s Mitglied der internatio­nalen Gemeinscha­ft mit allen Eigenschaf­ten einer Großmacht geworden war, mit Armee und Marine, die sich in zwei Kriegen, gegen China und Russland, siegreich geschlagen hatten, und die ein Kolonialre­ich besaß, zu dem das heutige Taiwan und die koreanisch­e Halbinsel gehörten.

Das war der Höhepunkt einer historisch­en Entwicklun­g, die 1868 mit der Ära des 45 Jahre regierende­n Kaisers Meiji begann und für Japan eine Zeit der intensiven Modernisie­rung und Öffnung zum Westen war. Die zwei Jahrhunder­te dauernde Politik der Abschottun­g von der Außenwelt war damit beendet und das Land aus einer Zeit alter Feudalordn­ung in eine aufgeklärt­e Ära hinübergef­ührt.

Erzwungene Öffnung. Signalhaft war die Öffnung der Häfen für fremde Schiffe 1859 durch die „Kanonenboo­tpolitik“des Westens. Ein aggressiv auftretend­es amerikanis­ches Geschwader, die sogenannte­n „Schwarzen Schiffe“unter Kommandant Matthew Perry, hatte unter Androhung militärisc­her Gewalt ein Handels- und Niederlass­ungsrecht erzwungen. Das setzte eine Spirale der Modernisie­rung in Gang. Das neue Schlagwort hieß nun „Japanische­r Geist – westliches Wissen“. Japan wurde ein leicht zu erreichend­es und attraktive­s Ziel für gut situierte Reisende.

Jules Vernes’ Bestseller von 1872, die „Reise um die Erde in 80 Tagen“, wurde durch die Entwicklun­g allmählich unterboten. Der Linienverk­ehr mit Dampfschif­fen rückte Japan näher an

„Japan 1900“Sebastian Dobson, Sabine Arqu´e

Hardcover 29x39,5 cm 536 Seiten

Texte deutsch, englisch und französisc­h

150 Euro

Taschen Verlag

taschen.com den Rest der Welt. Die europäisch­en Schifffahr­tslinien versprache­n den Passagiere­n, sie innerhalb von 40 Tagen durch den neuen Suezkanal nach Yokohama zu bringen. Abenteuerl­ustige Reisende konnten um 1900 mit der Eisenbahng­esellschaf­t Wagon-Lits in 17 Tagen von Paris nach Moskau fahren, weiter ging es mit der Transsibir­ischen Eisenbahn nach Wladiwosto­k, um von dort aus mit dem Dampfer über das Meer nach Japan zu gelangen.

Angehende japanische Hoteliers sondierten im Westen, welche Erwartunge­n ausländisc­he Besucher hatten, alte Gasthäuser wurden im westlichen Stil umgebaut. Seeleute erwarteten Bordelle, auch dafür wurde gesorgt. Das Land selbst war für Reisende sicherer geworden, erstmals kam man nun auch ins Landesinne­re, ab 1894 mussten die Touristen nicht mehr genau angeben, wohin sie wollten. Die wichtigen Städte, Yokohama, Tokio, Kobe, Osaka und Kyoto waren durch Eisenbahnl­inien verbunden. Die Behörden lockerten ihre Vorschrift­en.

Eine neue Branche reagierte schnell auf den Reiseboom. Es entstanden Fotostudio­s.

Für kürzere Ausflüge empfahl sich die Rikscha, eine Erfindung aus Yokohama, ebenso wie der Ausdruck „Globetrott­er“, der hier erstmals auftauchte. Der deutsche Japanreise­nde Curt Adolph Netto verwendete ihn in seinen Berichten ab 1870: „Globetrott­er, wörtlich Erdumtrabe­r, ist die technische Bezeichnun­g für ein Genus, dessen Auftreten in größeren Massen erst in der Neuzeit beobachtet worden ist“, schrieb er.

Schon ab den 1860er-Jahren prosperier­te eine technische Innovation, die schnell auf den neuen Markt der Reisenden reagierte: Die Fotografie. Mit Reisefotog­rafien wurden damals nicht Aufnahmen bezeichnet, die von Reisenden angefertig­t wurden, sondern solche, die Reisende erwerben konnten. Sie halten Sehenswürd­igkeiten, Landschaft­en und Genreszene­n Japans fest, die die Touristen nicht selbst fotografie­ren konnten.

Einer, der den Rest der Welt durch Fotografie­n mit Asien bekannt machte, war der Italiener Felice Beato. Er fotografie­rte die Schlachtfe­lder des Krimkriegs, den Sepoy-Aufstand in Indien, den Opiumkrieg in China und kam 1863 in der japanische­n Stadt Yokohama an, in der er ein Fotostudio gründete. Beatos Fotografie­n sind nicht nur wegen ihrer Qualität bemerkensw­ert, sondern auch, weil sie für Nichtjapan­er bis dahin unbekannte Landesteil­e gezeigt haben. Die Fotos wurden in der Tradition der japanische­n Aquarellma­lerei und des japanische­n Farbholz

schnitts oft handkolori­ert und zeigen Landschaft­en, Stadtbilde­r, Porträts und Genreszene­n. Beato bildete eine Reihe japanische­r Fotografen aus, die gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts eigene Studios gründeten.

Die Kameratech­nik war damals noch äußerst komplizier­t, zeitaufwen­dig und kostspieli­g. Man kaufte daher seine Erinnerung­sfotos in Fotoatelie­rs, die Tausende Motive in ihren Katalogen feilboten. Die Besucher konnten ihre Auswahl treffen oder gleich ein ganzes Album mit Lackmalere­ien auf dem Umschlag erwerben. Geschickte Fotografen hielten japanische Kleidung

bereit, mit der sich Touristen für ein Porträt kostümiere­n konnten. Es fehlte nicht an Requisiten, zum Beispiel eine Rikscha, Schärpe oder ein Wandschirm, um den Fotos japanische­n Flair zu verleihen.

Diesen Hang zu inszeniert­en Szenen merkt man auch an den 700 Vintage-Fotografie­n eines neuen Bildbandes. Zwei Experten, der Fotohistor­iker Sebastian Dobson und die Reisebucha­utorin Sabine Arque´, haben sie für eine der bekannt üppig ausgestatt­eten Buchersche­inungen des Taschen Verlags zusammenge­stellt. Das Buch besticht durch seine sorgfältig komponiert­en

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