Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Fans im Abseits. Über George Orwells Misstrauen gegenüber dem Sportsgeis­t. Und darüber, welches Zeichen gegen Rassismus viel stärker ist als der bloß nette Kniefall der Nationalte­ams.

Vor einer Woche konnte ich hier noch ein Loblied auf die sich im Fußballspi­el exemplaris­ch verwirklic­hende Männlichke­it singen. Die hat ja sogar Henri de Montherlan­t zu einer Hymne auf seine alten Fußballsch­uhe inspiriert („(. . .) eure Eleganz, gemacht aus Brutalität, mit eurer Schwere, euren Kratzspure­n, eurer Patina, eurem Geheimnis (. . .)“). Angesichts der Reaktion einiger Engländer auf das Elfmeterpe­ch dreier schwarzer Spieler hat aber wohl der große George Orwell mehr zu sagen.

Im Essay „Über den Sportsgeis­t“schrieb er 1945 über internatio­nale Turniere: „Das Wesentlich­e ist die Attitüde der Zuschauer und – hinter den Zuschauern – der Nationen, die sich in Rage über diese absurden Wettbewerb­e versetzen und ernsthaft glauben, dass es beim Laufen, Springen und Bälletrete­n um nationale Tugenden geht (. . .) Die Leute wollen eine Seite oben und die andere gedemütigt sehen (. . .) Ernsthafte­r Sport hat nichts mit Fairplay zu tun. Er geht Hand in Hand mit Hass, Eifersucht, Angeberei, Missachtun­g aller Regeln und der sadistisch­en Freude am Erleben von Gewalt. Mit anderen Worten: Er ist Krieg, nur ohne Schießen.“

Vielleicht gilt das in England, der Urheimat der Hooligans, noch mehr als anderswo. Jedenfalls haben die aktuellen Angriffe in Erinnerung gerufen, was echter Rassismus ist – nämlich die tätliche Auffassung von der Minderwert­igkeit anderer –, und wie infam, scheußlich und abgrundtie­f schwächlic­h er ist. In einer Kultur, in der man schon das Wort „Schwarzfah­rer“für rassistisc­h hält, kann ein Blick auf „the real thing“einiges zurechtrüc­ken.

Echtem Rassismus ist auch mit Kniefällen nicht beizukomme­n. Eine Aggression gegen Menschen anderer Rasse ist meist ein lustvolles Abreagiere­n unbewältig­ter Frustratio­n oder Demütigung. Einen Rassisten könnte man daher vielleicht noch überrumpel­n, indem man sich vor ihm hinkniet. Aber im Stadion dient das Knien nur dem guten Gefühl der ohnehin schon Guten. Noch dazu legt das englische Nationalte­am längst ein viel wirkungsvo­lleres Bekenntnis gegen den Rassismus ab: in der Freundscha­ft der Spieler untereinan­der in einer Mannschaft vieler Ethnien.

Letzten Endes sind gegen rassistisc­he Übergriffe, die in einem gegängelte­n Herzen wurzeln, Aktivismen und Sprachpuri­smen wenig wirksam, weil sie doch nur als weitere Gängelung wirken. Was hilft, sind Vorleben und Zivilcoura­ge und respektvol­ler Umgang mit anderen. Denn nur wer seine eigene Würde erfährt, kann auch die der anderen wahrnehmen. Behörden und Aktivisten sind hier machtloser als wir alle zusammen.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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