Die Presse am Sonntag

Aufstieg und Fall der türkisen Bewegung

- VON OLIVER PINK UND IRIs BONAVIDA

Wie eine kleine Gruppe die Macht in der ÖVP und dann in der Republik übernahm. Und sich nachträgli­ch in jenen Seilen verheddert­e, die sie zum Aufstieg benutzt hatte. Eine Geschichte aus der Grauzone zwischen Zielstrebi­gkeit und Karrierism­us.

Es war der letzte Gipfel vor dem Fall. Stolz standen sie da, die Eltern, die Schwiegere­ltern, die Handys nach oben gehalten. Die Delegierte­n jubelten und klatschten, auch die Landeshaup­tleute. Einer von ihnen, der Tiroler Günther Platter, durfte im Festzelt dann das Ergebnis verkünden: 99,4 Prozent für Sebastian Kurz! Ein Parteitag ganz zugeschnit­ten auf ihn war das zuvor gewesen, keine lästigen Fragen und Debatten, ein Festakt für den Kanzler. Zufrieden stand auch Bundesgesc­häftsführe­r Axel Melchior im Festzelt in St. Pölten, an diesem 28. August 2021, sichtlich stolz auf die gelungene Regie.

Und die Regie war von Beginn an gelungen in der türkisen Partei, die als Bewegung gestartet war. So modern, so frisch, so marketingm­äßig auf der Höhe der Zeit war keine andere Partei, man hatte die Neos von 2013 noch einmal überflügel­t. Sebastian Kurz und ein enger Kreis um ihn hatten die Köpfe zusammenge­steckt, seit seiner Zeit als Außenminis­ter, ja eigentlich schon seit seiner Zeit als Integratio­nsstaatsse­kretär, und hatten die „Marke Kurz“geschaffen. Auch die „Liste Kurz“geisterte damals schon herum, sollten die altvateris­chen Granden der ÖVP in Bünden und Ländern nicht einsehen, dass die Zukunft nur Sebastian Kurz gehören konnte.

Im Hintergrun­d ist freilich – wie man immer wusste, nun hat man es auch schwarz auf weiß – diesbezügl­ich noch etwas angeschobe­n worden. Der amtierende Parteichef Reinhold Mitterlehn­er wurde mürbe gemacht, in den Rücktritt getrieben. Auch mittels Umfragen wurde der Druck erhöht. Dazu hätten allerdings jene der seriösen Institute schon gereicht, man hätte nicht eigens welche zu frisieren brauchen.

Sie konnten es nicht erwarten. Und das fällt ihnen nun auf den Kopf. Sebastian Kurz und seiner eingeschwo­renen Gruppe der „Prätoriane­r“wie Thomas Schmid das nannte. Schmid zählte zu Beginn eigentlich nicht zum engsten Kreis um Sebastian Kurz, dazu war der vormalige Sprecher von Elisabeth Gehrer und Wolfgang Schüssel zu sehr alte ÖVP. Doch Schmid, ein Karrierist, diente sich an, willfährig, unterwürfi­g, fleißig, intrigant, lernte fachlich schnell dazu, einer mit Zug zum Tor. Das gefiel auch Kurz und seiner Entourage, denn sie waren auch selbst so: karrierebe­wusst, fleißig, mit Zug zum Tor. Work hard, party hard.

Ein schritt zu viel. Thomas Schmid wurde letztlich zur Bruchstell­e der türkisen Bewegung. Weil auch er es nicht erwarten konnte. Weil er sich nicht mit dem zufriedeng­eben konnte, was er war. Er hatte es immerhin zum Kabinettsc­hef und Generalsek­retär gebracht, war damit informell der wichtigste Mann im Finanzress­ort, steuerte seine Ressortsch­efs. Der eigentlich­e Finanzmini­ster ist Thomas Schmid, heißt es immer wieder. Doch er wollte unbedingt noch Chef der Öbag werden, zimmerte sich den Job sogar selbst. Warum? Geltungsdr­ang? Geld?

Es war jedenfalls ein Schritt zu viel. Er selbst stürzte dabei ab – und das „System Kurz“riss er mit. Ohne Schmids Streben, unbedingt ÖbagChef werden zu wollen, wären er und die ÖVP nie in die Ibiza-Affäre des Heinz-Christian Strache hineingera­ten. Er hätte sein Handy noch und all seine Daten wären vor der Öffentlich­keit verborgen geblieben. Denn der mutmaßlich türkis-blaue Deal lautete bekanntlic­h: Peter Sidlo von der FPÖ kommt in den Casinos-Vorstand, dafür wird Thomas Schmid von der ÖVP Öbag-Chef. So ist Schmids Datensamml­ung nun ein Nachschlag­werk des türkisen Systems. Es lässt sich sogar rückverfol­gen, wie Schmid sich darüber gefreut hat, seine Nachrichte­n gelöscht zu haben. Erfolglos, wie man weiß.

Schmid protokolli­erte für die

Nachwelt die Schritte des

Schmid, der Karrierist, diente sich an. Und das gefiel dem engsten Kurz-Umfeld.

Kurz

Derzeit stehen keine Wahlen bevor, und ich bin als OSZE-Vorsitzend­er und Außenminis­ter mehr als ausgelaste­t“, richtete er der Öffentlich­keit aus.

In einem Parteivors­tand, einige Monate zuvor, sprach Mitterlehn­er laut eigenen Angaben Kurz offen auf seine Ambitionen an. Das war, so beschrieb Mitterlehn­er es in seinem Buch „Haltung“, am 4. September 2016. „Mitterlehn­er ist dead like a Dodo“, schrieb Schmid an dem Tag an den damaligen Wiener Landespoli­tiker Gernot Blümel.

Erfolge verhindern. Der Gegner des türkisen Zirkels war in dieser Zeit aber nicht nur die alte ÖVP, sondern auch die rot-schwarze Koalition. Die Regierungs­spitze tat sich grundsätzl­ich schon schwer, Kompromiss­e zu schließen.

 ?? Alex Halada / picturedes­k.com ?? Wahlkampfa­uftakt in türkiser Inszenieru­ng: In der Wiener Stadthalle am 23. September 2017.
Alex Halada / picturedes­k.com Wahlkampfa­uftakt in türkiser Inszenieru­ng: In der Wiener Stadthalle am 23. September 2017.
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