Aufstieg und Fall der türkisen Bewegung
Wie eine kleine Gruppe die Macht in der ÖVP und dann in der Republik übernahm. Und sich nachträglich in jenen Seilen verhedderte, die sie zum Aufstieg benutzt hatte. Eine Geschichte aus der Grauzone zwischen Zielstrebigkeit und Karrierismus.
Es war der letzte Gipfel vor dem Fall. Stolz standen sie da, die Eltern, die Schwiegereltern, die Handys nach oben gehalten. Die Delegierten jubelten und klatschten, auch die Landeshauptleute. Einer von ihnen, der Tiroler Günther Platter, durfte im Festzelt dann das Ergebnis verkünden: 99,4 Prozent für Sebastian Kurz! Ein Parteitag ganz zugeschnitten auf ihn war das zuvor gewesen, keine lästigen Fragen und Debatten, ein Festakt für den Kanzler. Zufrieden stand auch Bundesgeschäftsführer Axel Melchior im Festzelt in St. Pölten, an diesem 28. August 2021, sichtlich stolz auf die gelungene Regie.
Und die Regie war von Beginn an gelungen in der türkisen Partei, die als Bewegung gestartet war. So modern, so frisch, so marketingmäßig auf der Höhe der Zeit war keine andere Partei, man hatte die Neos von 2013 noch einmal überflügelt. Sebastian Kurz und ein enger Kreis um ihn hatten die Köpfe zusammengesteckt, seit seiner Zeit als Außenminister, ja eigentlich schon seit seiner Zeit als Integrationsstaatssekretär, und hatten die „Marke Kurz“geschaffen. Auch die „Liste Kurz“geisterte damals schon herum, sollten die altvaterischen Granden der ÖVP in Bünden und Ländern nicht einsehen, dass die Zukunft nur Sebastian Kurz gehören konnte.
Im Hintergrund ist freilich – wie man immer wusste, nun hat man es auch schwarz auf weiß – diesbezüglich noch etwas angeschoben worden. Der amtierende Parteichef Reinhold Mitterlehner wurde mürbe gemacht, in den Rücktritt getrieben. Auch mittels Umfragen wurde der Druck erhöht. Dazu hätten allerdings jene der seriösen Institute schon gereicht, man hätte nicht eigens welche zu frisieren brauchen.
Sie konnten es nicht erwarten. Und das fällt ihnen nun auf den Kopf. Sebastian Kurz und seiner eingeschworenen Gruppe der „Prätorianer“wie Thomas Schmid das nannte. Schmid zählte zu Beginn eigentlich nicht zum engsten Kreis um Sebastian Kurz, dazu war der vormalige Sprecher von Elisabeth Gehrer und Wolfgang Schüssel zu sehr alte ÖVP. Doch Schmid, ein Karrierist, diente sich an, willfährig, unterwürfig, fleißig, intrigant, lernte fachlich schnell dazu, einer mit Zug zum Tor. Das gefiel auch Kurz und seiner Entourage, denn sie waren auch selbst so: karrierebewusst, fleißig, mit Zug zum Tor. Work hard, party hard.
Ein schritt zu viel. Thomas Schmid wurde letztlich zur Bruchstelle der türkisen Bewegung. Weil auch er es nicht erwarten konnte. Weil er sich nicht mit dem zufriedengeben konnte, was er war. Er hatte es immerhin zum Kabinettschef und Generalsekretär gebracht, war damit informell der wichtigste Mann im Finanzressort, steuerte seine Ressortschefs. Der eigentliche Finanzminister ist Thomas Schmid, heißt es immer wieder. Doch er wollte unbedingt noch Chef der Öbag werden, zimmerte sich den Job sogar selbst. Warum? Geltungsdrang? Geld?
Es war jedenfalls ein Schritt zu viel. Er selbst stürzte dabei ab – und das „System Kurz“riss er mit. Ohne Schmids Streben, unbedingt ÖbagChef werden zu wollen, wären er und die ÖVP nie in die Ibiza-Affäre des Heinz-Christian Strache hineingeraten. Er hätte sein Handy noch und all seine Daten wären vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben. Denn der mutmaßlich türkis-blaue Deal lautete bekanntlich: Peter Sidlo von der FPÖ kommt in den Casinos-Vorstand, dafür wird Thomas Schmid von der ÖVP Öbag-Chef. So ist Schmids Datensammlung nun ein Nachschlagwerk des türkisen Systems. Es lässt sich sogar rückverfolgen, wie Schmid sich darüber gefreut hat, seine Nachrichten gelöscht zu haben. Erfolglos, wie man weiß.
Schmid protokollierte für die
Nachwelt die Schritte des
Schmid, der Karrierist, diente sich an. Und das gefiel dem engsten Kurz-Umfeld.
Kurz
Derzeit stehen keine Wahlen bevor, und ich bin als OSZE-Vorsitzender und Außenminister mehr als ausgelastet“, richtete er der Öffentlichkeit aus.
In einem Parteivorstand, einige Monate zuvor, sprach Mitterlehner laut eigenen Angaben Kurz offen auf seine Ambitionen an. Das war, so beschrieb Mitterlehner es in seinem Buch „Haltung“, am 4. September 2016. „Mitterlehner ist dead like a Dodo“, schrieb Schmid an dem Tag an den damaligen Wiener Landespolitiker Gernot Blümel.
Erfolge verhindern. Der Gegner des türkisen Zirkels war in dieser Zeit aber nicht nur die alte ÖVP, sondern auch die rot-schwarze Koalition. Die Regierungsspitze tat sich grundsätzlich schon schwer, Kompromisse zu schließen.