Warum wurde britischer Politiker erstochen?
Ermittler vermuten islamistisches Terrormotiv. Die Tötung des Tory-Abgeordneten David Amess löst Sicherheitsdebatte aus.
London. Am Samstag eilte Boris Johnson in die Küstenstadt Leigh-on-Sea östlich von London. Der britische Premier legte wie sein Begleiter und Oppositionsführer Keir Starmer einen Blumenkranz vor der Belfairs Methodist Church ab. „Vereint in Trauer“, betitelte die Zeitung „The Sun“die Szene.
Das Gotteshaus in der Grafschaft Essex ist am Freitag Schauplatz eines Verbrechens geworden, das seither die Nation aufwühlt. Der konservative Abgeordnete David Amess wurde dort erstochen. Mittlerweile geht die Polizei von einem Terrorakt aus. Sie vermutet islamistischen Extremismus als Motiv. Ein 25-jähriger Mann wurde noch am Freitag wegen Mordverdachts festgenommen. Unbestätigten Berichten zufolge handelt es sich um einen Briten mit somalischen Wurzeln. Er soll mit einem Messer mehrfach auf den Politiker eingestochen haben, der in der Kirche eine Bürgersprechstunde abgehalten hat.
Die Polizei ging zunächst von einem Einzeltäter aus. Zunächst gab es keine sicheren Angaben darüber, ob die Behörden den Mann vor der Bluttat auf dem Radar hatten. Die Messerattacke befeuerte eine Debatte über den Schutz von Politikern und sie weckte Erinnerungen an das Jahr 2016, als Jo Cox, eine Abgeordnete der Labour-Partei, von einem Rechtsradikalen kurz vor dem Brexit-Referendum erschossen wurde. Auch diese Bluttat ereignete sich während einer „Surgery“, wie die meist wöchentlich stattfindenden Bürgersprechstunden genannt werden, die ein wichtiger Bestandteil der demokratischen Kultur in Großbritannien sind.
Der Tory-Politiker Tobias Ellwood, der mit seinem Erste-Hilfe-Einsatz am Rand des Anschlags in London 2017 zum Helden avancierte, forderte, physische Treffen mit Wählern vorerst einzustellen. Es gebe ja virtuelle Alternativen. Innenministerin Priti Patel ging das zu weit. Sie kündigte aber die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen für Abgeordnete an und würdigte Amess als einen „Mann des Volkes“. Der Brexit-Befürworter mit einem Faible für Tierschutz saß seit rund vier Jahrzehnten im Unterhaus. 2015 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen. Er hinterlässt eine Frau und vier Kinder.